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Darin blicken wir mit Ihnen hinter die Kulissen der Europäischen Union, bieten eine Übersicht wichtiger Politikbereiche der EU und geben Ihnen einen Einblick in aktuelle Themen und Europa-Aktionen. Exklusive Interviews mit Spitzenpolitikerinnen und -politikern sowie Einblicke in die EU-Institutionen zeigen anschaulich, wie die Europäische Union funktioniert. Vor allem wollen wir jedoch die Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte in Österreich in den Mittelpunkt stellen und ihnen eine Bühne für lokale und regionale Projekte und Aktivitäten bieten. Denn sie sind es, die Europa in die Gemeinden tragen und dort die Bürgerinnen und Bürger zur Mitgestaltung der Zukunft unseres Kontinents anregen.
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Von 6. bis 9. Juni 2024 waren über 358 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger – davon knapp 6,4 Millionen Wahlberechtigte in Österreich – dazu aufgerufen, die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu wählen. Sie bestimmten damit 720 Vertreterinnen und Vertreter, die sich während des nächsten institutionellen Zyklus von 2024 bis 2029 für die Interessen der europäischen Bevölkerung einsetzen werden.
EU-Spitzenfunktionen neu besetzt
Seit der Wahl zum Europäischen Parlament hat sich in Brüssel und Straßburg viel bewegt: Am 27. und 28. Juni 2024, bei der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel, haben die 27 EU-Staats und -Regierungschefinnen und -chefs zentrale Entscheidungen über die Spitzenämter für die nächsten Jahre getroffen: So wurde António Costa (Portugal) zum Präsidenten des Europäischen Rates gewählt. Als Nachfolger von Charles Michel tritt er das Amt am 1. Dezember 2024 an. Ursula von der Leyen (Deutschland) wurde erneut als Präsidentin der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Kaja Kallas (Estland) wurde für das Amt der Hohen Vertreterin der Union für Außen und Sicherheitspolitik als geeignete Kandidatin betrachtet. Als Hohe Vertreterin würde sie die Nachfolge von Josep Borrell antreten.
Zweite Amtszeit für Kommissionspräsidentin
Die Wiederwahl Ursula von der Leyens als Präsidentin der Europäischen Kommission erfolgte bei der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments, bei der die neu gewählten EU-Abgeordneten von 16. bis 19. Juli 2024 erstmals in Straßburg zusammentrafen. Von der Leyen wurde am 18. Juli 2024 mit einer deutlichen Mehrheit (401 zu 284 Stimmen) gewählt. Sie betonte nach der Wahl: "Ich möchte Ihnen unbedingt sagen, wie dankbar ich bin, dass mir die Mehrheit des Europäischen Parlaments das Vertrauen ausgesprochen hat." Sie werde nun das Team der Kommissarinnen und Kommissare für die nächsten 5 Jahre zusammenstellen, so von der Leyen. In Österreich nominierte die Bundesregierung Finanzminister Magnus Brunner als Mitglied der Europäischen Kommission für die Amtsperiode von 2024 bis 2029.
Präsidentin des Europäischen Parlaments wiedergewählt
Über eine erneute Wahl durfte sich auch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am 16. Juli 2024 freuen. Mit 562 der insgesamt 699 abgegebenen Stimmen trafen die EU-Abgeordneten eine klare Entscheidung zugunsten der Malteserin. Nach ihrer Wiederwahl legte Metsola im Plenum des Europäischen Parlaments ihre Ziele für die kommenden Jahre dar: "Gemeinsam müssen wir für eine Politik der Hoffnung einstehen, für unseren Traum von Europa. Ich möchte, dass die Menschen den Glauben an und die Begeisterung für unser Projekt wiedererlangen", erklärte Metsola.
"Strategische Agenda": frei, sicher, wettbewerbsfähig
Auch die Eckpfeiler für die inhaltliche Arbeit der europäischen Institutionen in den nächsten Jahren wurden bei der Tagung des Europäischen Rates im Juni 2024 festgelegt: die "Strategische Agenda". Das Grundlagendokument stützt sich auf 3 Säulen, die wie folgt formuliert sind: ein freies und demokratisches Europa; ein starkes und sicheres Europa; ein wohlhabendes und wettbewerbsfähiges Europa. Die "Strategische Agenda" sieht als eine der Zielsetzungen vor, europäische Werte innerhalb der Union zu wahren und ihnen auf globaler Ebene gerecht zu werden. Zentrale Bedeutung haben darin die Themen Sicherheit und Verteidigung ebenso wie die Suche nach Lösungen für Migration, Asyl und Grenzmanagement. Zudem soll die Wettbewerbsfähigkeit der Union gestärkt, der "grüne" und digitale Wandel vorangetrieben und ein innovatives Umfeld für Unternehmen gefördert werden. Den Spitzenvertreterinnen und -vertretern auf EU-Ebene kommt die herausfordernde Aufgabe zu, in den nächsten Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung dieser Zielsetzungen zu leisten.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission
Ursula von der Leyen (geboren 1958 in Ixelles/Elsene, Belgien) steht seit Dezember 2019 an der Spitze der Europäischen Kommission. Die promovierte Ärztin war zuvor unter anderem deutsche Familien-, Arbeits- und Sozialministerin sowie Verteidigungsministerin. Von November 2010 bis November 2019 war sie zudem stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands). Von der Leyen ist verheiratet und hat 7 Kinder.
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments
Die 1979 in San Ġiljan auf Malta geborene Roberta Metsola ist eine Politikerin der Partit Nazzjonalista. Sie studierte an der Universität Malta und am Europakolleg in Brügge, bevor sie zur Ständigen Vertretung Maltas bei der EU und später zum Europäischen Auswärtigen Dienst wechselte. Seit April 2013 ist sie Mitglied des Europäischen Parlaments, seit Jänner 2022 fungiert sie als dessen Präsidentin. Metsola ist verheiratet und hat 4 Kinder.
Kaja Kallas, EU-Außenbeauftragte und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission
Kaja Kallas kam 1977 in der estnischen Hauptstadt Tallinn zur Welt. Von 2021 bis 2024 war sie Premierministerin von Estland. Sie gehört der liberalen Estnischen Reformpartei (Eesti Reformierakond) an, deren Vorsitzende sie seit 2018 ist. Von 2014 bis 2018 war sie Mitglied des Europäischen Parlaments. Kallas ist verheiratet und hat 3 Kinder.
António Costa, Präsident des Europäischen Rates
António Costa wurde 1961 in Lissabon geboren. Von 2015 bis 2024 amtierte er als portugiesischer Premierminister. Costa war Generalsekretär der Sozialistischen Partei Portugals und als Minister in verschiedenen Regierungen tätig. Von 2007 bis 2015 übte er das Amt des Oberbürgermeisters von Lissabon aus. Costa ist verheiratet und hat 2 Kinder.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nach der Europawahl am 9. Juni 2024 formieren sich das Europäische Parlament und die Europäische Kommission neu. Für welche Themen und Anliegen soll sich Österreich aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren auf EU-Ebene vorrangig einsetzen?
Die EU muss sich auf die großen Fragen konzentrieren, bei denen sich die Bürgerinnen und Bürger zu Recht Fortschritte erwarten. Dazu zählen vor allem die Stärkung der europäischen Sicherheit und Verteidigung im Einklang mit der österreichischen Neutralität, der Kampf gegen illegale Migration sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Landwirtschaft.
Die Lage in unmittelbarer Nachbarschaft der EU hat sich mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine drastisch verändert. Was bedeutet dieses veränderte Sicherheitsumfeld für Österreich und die EU?
Die Ukraine verteidigt nun seit über 2 Jahren europäische Werte und das Prinzip einer regelbasierten internationalen Ordnung, das durch den völkerrechtswidrigen russischen Angriff fundamental verletzt wurde. Damit ist seit Tag eins des russischen Angriffskrieges auch klar, dass die EU dazu Stellung beziehen muss: Denn es geht hier um die europäische Sicherheit. Wir stehen daher auch als militärisch neutraler Staat an der Seite der Ukraine, denn militärische Neutralität bedeutet nicht Gesinnungsneutralität. Bei allem verständlichen Fokus auf die Ukraine dürfen wir aber nicht den geostrategischen Fehler begehen, auf den Westbalkan zu vergessen. Denn es muss uns bewusst sein: Entweder wir exportieren Stabilität, oder wir importieren Instabilität! Dabei ist der Schutz der österreichischen Bevölkerung im Sinne eines umfassenden Sicherheitsverständnisses unser oberstes Ziel. Das beginnt bei der Aufrechterhaltung unseres Rechtsstaates samt Grund- und Freiheitsrechten und reicht bis zur Sicherung der Souveränität und Handlungsfreiheit Österreichs. Wir müssen in der Lage sein, uns im Notfall selbst zu verteidigen. Dazu brauchen wir eine funktionsfähige Landesverteidigung mit den dafür notwendigen Ressourcen.
Eine Priorität in der Strategischen Agenda 2024–2029 – dem "Fahrplan" der EU für die nächsten 5 Jahre – nimmt das Thema Wettbewerbsfähigkeit ein. Wo sehen Sie diesbezüglich Österreichs Stärken? Wie kann und wie soll sich Europa gegenüber Staaten wie China, Indien oder den USA wirtschaftspolitisch positionieren?
Angesichts der globalen Wettbewerbsdynamik ist eine entschlossene Strategie zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität entscheidend. Wir brauchen eine Kurskorrektur, damit wir wieder auf einen soliden Wachstumspfad zurückkehren und dem massiven Konkurrenzdruck aus China und den USA standhalten können. Der EU-Binnenmarkt muss für Innovationen und Investitionen gestärkt werden. Wir müssen unseren Unternehmen durch Bürokratieabbau noch besser ermöglichen, unkompliziert und zielgerichtet ihren Geschäften nachzugehen – der Binnenmarkt soll ein Booster, keine Bremse sein. Österreichische Unternehmen können wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit der EU beitragen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Mikroelektronik, Batterien und Wasserstoff.
In den vergangenen Jahren hat es innerhalb der Union verstärkt Diskussionen über Reformen der EU gegeben. Welche konkreten Maßnahmen halten Sie für notwendig, um die EU fit für die Zukunft und für mögliche Erweiterungen um andere Länder zu machen?
Die Frage nach einer Erweiterung auf mehr als 30 Mitgliedstaaten wirft zweifellos auch die Frage nach der Zukunft der EU auf, vor allem betreffend finanzieller und institutioneller Aspekte. Sich dieser Frage zu stellen, und auch die Auswirkungen der Erweiterung zu analysieren, wird eine wichtige Aufgabe für die nächste Europäische Kommission werden. Aus meiner Sicht ist es wesentlich, dass die Reformdebatte den Erweiterungsprozess der Westbalkanstaaten nicht verzögert. Wir haben ein klares Interesse an der EU-Erweiterung in Richtung Westbalkan, um die europäische Zone der Stabilität, des Wohlstands und der Demokratie zu vergrößern. Hier müssen wir weiter dranbleiben und auch das Konzept der "graduellen Integration" forcieren, also der Annäherung in bestimmten Bereichen – Schluss mit dem Denken, entweder Vollmitglied oder kein Mitglied zu sein.
Seit 2010 engagieren sich Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in ganz Österreich – aktuell sind es annähernd 1.600 Personen – ehrenamtlich für die Vermittlung von EU-Themen auf lokaler und regionaler Ebene. Welche Bedeutung haben Initiativen wie diese aus Ihrer Sicht?
Solche Initiativen sind von immenser Bedeutung. So vieles, was uns unmittelbar betrifft, wird auf europäischer Ebene diskutiert und beschlossen – da ist es wichtig, dass die Menschen eingebunden werden. Die Gemeinde ist die Keimzelle der Demokratie, nirgendwo ist Politik so unmittelbar spürbar wie auf der kommunalen Ebene. Die EU-Politik scheint oft sehr weit weg zu sein. Daher ist das Engagement der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte so bedeutend, um wichtige EU-Themen auf lokaler und regionaler Ebene erlebbar zu machen. Ich bin sehr stolz darauf, dass diese österreichische Initiative von der Europäischen Kommission als Vorbild für andere Mitgliedstaaten herangezogen wird.
In wenigen Monaten, am 1. Jänner 2025, jährt sich der EU-Beitritt Österreichs zum 30. Mal. Worin bestehen die wesentlichen Errungenschaften und Vorteile unserer EU-Mitgliedschaft? Und da es auch kritische Stimmen gibt: In welchen Bereichen gibt es Ihrer Meinung nach Handlungs- und Verbesserungsbedarf?
Bei aller teils auch berechtigten Kritik an der EU haben wir als Österreich in den vergangenen 3 Jahrzehnten stark von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Der Beitritt Österreichs war einer der wichtigsten Momente der jüngeren österreichischen Geschichte und eine der weitreichendsten Entscheidungen überhaupt, das lässt sich auch in Zahlen darstellen. 1,2 Millionen Arbeitsplätze sind dazugekommen. Die Europäische Union ist heute unsere wichtigste Exportregion und der größte Treiber unseres Wohlstands. 70 Prozent unseres Außenhandels entfallen auf EU-Länder. Wie jeder Organismus ist natürlich auch die EU nicht vor Fehlern gefeit, die es zu adressieren und korrigieren gilt, etwa im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit oder der illegalen Migration. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es hier europäische Lösungen braucht. Wenn wir über die Zukunft sprechen, sollte allerdings auch insgesamt wieder mehr Pragmatismus einkehren. Das heißt, dass es künftig wieder mehr Subsidiarität gibt. Die Europäische Kommission soll sich auf die Kernthemen konzentrieren, die es wirklich auf europäischer Ebene zu lösen gilt.
Zum Zeitpunkt des EU-Beitritts waren Sie 22 Jahre alt. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben, wenn Sie an dieses historische Ereignis zurückdenken?
Ich erinnere mich besonders an die europafreundliche und hoffnungsvolle Stimmung, die damals in ganz Österreich herrschte. Der Slogan der Beitrittskampagne "Besser gemeinsam als einsam" gilt heute mehr denn je.
In Ihrer Funktion als Bundeskanzler nehmen Sie regelmäßig an den Treffen der EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs in Brüssel ("Europäischer Rat") teil. Was bringt Österreich auf EU-Ebene im Speziellen ein? Und welche persönlichen Erfahrungen nehmen Sie aus diesen Tagungen mit?
Obwohl Österreich ein verhältnismäßig kleines Mitgliedsland ist, bringen wir unsere Interessen auf EU-Ebene stark ein. Im Kampf gegen illegale Migration war es Österreich, das das Thema zurück auf die europäische Agenda gebracht hat. Man muss nicht immer im Mainstream mitschwimmen, oft braucht es Kante und Hartnäckigkeit, damit europäische Lösungen erreicht werden. Auch wenn es etwa um sensible Bereiche wie unsere Neutralität geht, zeigt sich, dass diese nicht im Widerspruch zur EU stehen – nein, wir bringen diese wichtigen Bestandteile der österreichischen DNA täglich in die europäische Debatte und Entscheidungsfindung ein. Selbstverständlich bringen andere Mitgliedstaaten ihre eigenen Interessen ebenso ein, daher dauert es bei EU-Gipfeltreffen oft bis in die frühen Morgenstunden, bis ein Kompromiss gefunden wird. Das erfordert viel Ausdauer. Aber es ist wichtig, dass die Entscheidungen von allen Ländern mitgetragen werden, denn nur so kann ein effektiver Wandel gelingen.
Welches Europa wünschen Sie sich für Ihre Kinder und deren Generation?
Ein Europa, das auch in Zukunft Garant für Frieden, Stabilität und Wohlstand ist.
Karl Nehammer
Der gebürtige Wiener wurde nach der Matura und seinem Einjährig-Freiwilligen Präsenzdienst beim Bundesheer zum Infanterie- und Informationsoffizier ausgebildet. Anschließend wirkte Nehammer als Trainer für strategische Kommunikation und Rhetorik. Von 2013 bis 2015 war er für die Österreichische Volkspartei (ÖVP) Niederösterreich als Abteilungsleiter Kommunal und für den Österreichischen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund (ÖAAB) als Generalsekretär-Stellvertreter und Generalsekretär tätig. 2017 wurde Nehammer Abgeordneter zum Nationalrat, 2018 Generalsekretär der ÖVP. Seit Jänner 2020 Bundesminister für Inneres, wurde Karl Nehammer, der verheiratet ist und 2 Kinder hat, im Dezember 2021 als österreichischer Bundeskanzler angelobt.
Bei der Verleihung der "EU-Bio-Awards" im September 2023 in Brüssel hatte Österreich seinen großen Auftritt: Gleich 3 Preise gingen an heimische Akteurinnen und Akteure. Das Burgenland sicherte sich die Auszeichnung als "beste Bio-Anbauregion". Mit der Strategie "Bioland Burgenland" hat das Bundesland beispielsweise den Anteil von Bio-Lebensmitteln in der öffentlichen Verpflegung deutlich erhöht. Das Rennen um die Auszeichnung als "beste Bio-Stadt" machte Wien mit der Lebensmittelmarke "Wiener Gusto". Auch das "beste Bio-Restaurant" Europas befindet sich in Wien: "Luftburg – Kolarik im Prater" ist das größte zertifizierte Bio-Restaurant der Welt und stellt ökologische und soziale Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt seiner Geschäftsphilosophie.
Projekte mit Strahlkraft
Diese 3 Initiativen stehen stellvertretend für die ausgezeichnete Bio-Landwirtschaft in Österreich, die europaweit ihresgleichen sucht. Der Flächenanteil der biologischen Landwirtschaft liegt mit 27,7 Prozent weit über dem EU-Durchschnitt von 10 Prozent. 23 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich haben sich der biologischen Landwirtschaft verschrieben – Tendenz steigend: Von 2001 bis 2022 hat sich der Anteil der Bio-Betriebe von 11 auf 22 Prozent (25.081 Betriebe) verdoppelt. 26 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Österreichs wurden 2022 biologisch bewirtschaftet, 2001 waren es noch 16 Prozent. Der Anteil von Bio-Betrieben ist in Salzburg am höchsten (etwa 50 Prozent), gefolgt von Wien (etwa 33 Prozent) und dem Burgenland (zirka 29 Prozent).
Das "Bio-Aktionsprogramm 2023+"
Um diese hervorragende Position noch weiter zu stärken, setzt das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft aktuell das "Bio-Aktionsprogramm 2023+" um. Zu den wichtigsten Zielen zählen dabei die Steigerung der Nachfrage nach Bio-Produkten, die Erreichung der Vorgaben des europäischen "Green Deals" sowie die Unterstützung von Betrieben bei der Umsetzung der EU-Bio-Verordnung. Das Wissen über den Biolandbau in der Bevölkerung und entsprechende Informationen für Konsumentinnen und Konsumenten gelten ebenfalls als Schlüsselbereiche und werden im Rahmen des Programms gezielt gefördert. Erfahrungswerte haben auch die Bedeutung von Kooperationen aufgezeigt: Eine ständige Abstimmung zwischen landwirtschaftlichen Betrieben, Interessenverbänden sowie den in der Verarbeitung und Vermarktung Beschäftigten, der Wissenschaft und anderen Akteurinnen und Akteuren ist für eine positive Weiterentwicklung des Bio-Segments erfolgsentscheidend.
25 Prozent Bio-Landwirtschaftsfläche für die EU
Auch auf europäischer Ebene hat der Ausbau der biologischen Landwirtschaft einen hohen Stellenwert: Mit dem "Aktionsplan zur Förderung der Bio-Produktion" soll der Anteil biologisch bewirtschafteter Flächen in der EU bis 2030 auf mindestens 25 Prozent erhöht werden. Der Plan umfasst 23 Maßnahmen, verteilt auf 3 Schwerpunkte: erstens die Ankurbelung der Nachfrage und Stärkung des Vertrauens seitens der Konsumentinnen und Konsumenten, zweitens Maßnahmen zur Umstellung der gesamten Wertschöpfungskette sowie drittens der Beitrag des biologischen Landbaus zur ökologischen Nachhaltigkeit.
Unterstützung für Bio-Betriebe (Auswahl)
Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern müssen anpassungsfähig und innovationsbereit sein, um sich durch Modernisierung und technische Optimierung für die Zukunft zu rüsten und am Puls der Zeit zu bleiben. Dafür gibt es finanzielle Unterstützung, unter anderem durch folgende Maßnahmen:
- Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) – Maßnahme "Biologische Wirtschaftsweise"
- Investitionsbeihilfen für Modernisierung
- Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete
- Gelder für Absatzförderung, Vermarktungseinrichtungen und Innovationen
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Interview
Norbert Totschnig, Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft
Österreich ist Bioland Nummer 1 in der EU. Worauf ist das zurückzuführen?
Die Bio-Erfolgsgeschichte Österreichs ist das Resultat der harten Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern sowie unserer Agrarpolitik. Wir setzen Anreize, um die biologische Produktion in unserem Land weiter zu stärken und attraktiver zu gestalten. Eine marktkonforme Weiterentwicklung ist dafür jedoch unerlässlich.
Welche Ziele verfolgt das "Bio-Aktionsprogramm 2023+" des Landwirtschaftsministeriums?
Das Programm dient als strategischer Leitfaden, um die positive Entwicklung im Bio-Sektor weiterhin zu begleiten. Damit Österreich auch in Zukunft Spitzenreiter bleibt, wollen wir unter Berücksichtigung der Nachfrage den Bio-Flächenanteil bis 2030 auf 35 Prozent ausweiten.
Oft klagen Bäuerinnen und Bauern über zu hohen Verwaltungsaufwand, Auflagen und steigende Kosten. Was wird unternommen, damit Jobs in der Landwirtschaft attraktiv bleiben?
Unsere Bäuerinnen und Bauern sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Mit der Umsetzung des europäischen "Green Deals" wächst aber nicht der Wohlstand in der EU, sondern die Bürokratie. Mit ideologiegetriebenen Einschränkungen und Verboten gefährden wir die Versorgungssicherheit und den Wohlstand all jener, die am Land leben und arbeiten. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass Klimaschutz und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen und wir dabei Anreize statt Verbote setzen.
Als Bürgermeister der Marktgemeinde Ollersdorf im Burgenland weiß Bernd Strobl, wie wichtig gute Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern ist – bei Fragen des Alltags, aber auch, wenn es um komplexe EU-Themen geht. Das ist einer der Gründe, warum er nicht nur Bürgermeister, sondern auch Europa-Gemeinderat ist, und das seit Beginn der Initiative im Jahr 2010. "Ich war von Anfang an von diesem Projekt begeistert und wollte die Gelegenheit nutzen, europäische Abläufe und komplizierte Gesetzesentstehungsprozesse näher an die Menschen in Ollersdorf zu bringen. Mir geht es darum, die EU greifbar zu machen und dafür zu sorgen, dass man versteht, was genau in Brüssel beschlossen wird. Niemand soll sich hier ausgeschlossen fühlen."
Die EU wirkt im Burgenland
Zu verdanken hat seine Region der EU viel. Durch deren finanzielle Unterstützung entstanden eine Therme, 4 Hotels sowie ein Golfplatz – und die rund 950 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Marktgemeinde wurde an das Glasfasernetz und High-Speed-Internet angeschlossen. EU-Mittel trugen auch zur Schaffung eines Gemeindeschutzgebiets und zu Platzgestaltungen bei. Dank der Initiative "WiFi4EU" konnten fast flächendeckend öffentlich zugängliche WLAN-Hotspots eingerichtet werden. Mit Blick auf all diese Errungenschaften betont Strobl die Wichtigkeit, sich der EU-Mitgliedschaft und ihrer Möglichkeiten immer wieder aufs Neue bewusst zu werden: "Ich werde niemals müde, über die vielen Vorteile der EU zu sprechen. Oft vergessen die Leute zu schnell, was durch die Union an Positivem passiert. Stattdessen bleiben ihnen Kleinigkeiten in Erinnerung, die nicht ganz optimal gelaufen sind."
Aktiv Vorbild sein
Um gerade diese Menschen für EU-bezogene Projekte zu begeistern, gibt es für den Ollersdorfer Bürgermeister nur einen Weg: "Man muss immer selbst ins Tun kommen. Wenn man sich engagiert und seinen Mitmenschen zeigt, dass man seine Zeit und eigene Ressourcen investiert, folgen sehr viele nach." So konnte Strobls Engagement für erneuerbare Energie nicht nur einen großen Teil des Ortes "mitreißen", sondern hob Ollersdorf auch auf die europäische Bühne.
Energie im Wandel
Schon früh war Strobl klar, dass in erneuerbarer Energie die Zukunft liegt und man mit gutem Beispiel vorangehen muss, um sie voranzutreiben. 2014 rief die Gemeinde das Projekt "Nachhaltiges Ollersdorf" ins Leben, womit durch Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungsmodelle mehr als 50 Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Bauten, Firmen- und Vereinsgebäuden sowie auf privaten Wohnhäusern errichtet werden konnten. Maßgebend für den Erfolg des Projekts war die große Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – letztlich machten 200 von ihnen mit, also ein Fünftel der Bevölkerung. "Uns ist klar, dass wir dieses Projekt nur umsetzen konnten, weil so viele Leute bereit waren, mitzumachen. Wir hatten aber auch großartige Partner, auf die wir uns immer verlassen konnten. Schlussendlich haben wir so zeigen können, was alles möglich ist, wenn man zusammenarbeitet", so Strobl.
Kleiner Ort ganz groß
Das Projekt brachte Ollersdorf neben einer nachhaltigen Stromversorgung und der Auszeichnung mit dem Umweltpreis "Energy Globe Award" im Jahr 2020 noch etwas anderes, nämlich Aufmerksamkeit: "Dank des Projekts wurden wir über die Landesgrenzen hinweg für unseren Innovationsgeist und unseren Weitblick bekannt und haben so auch die Chance bekommen, an einem von der EU geförderten Projekt teilzunehmen", erzählt Strobl. Dabei handelt es sich um "LocalRES", ein aktuell laufendes Projekt, das aus Mitteln von "Horizon 2020", dem EU-Programm für Forschung und Innovation, finanziert wird. "Hier geht es darum, den vor Ort produzierten Strom über Energiegemeinschaften zu handeln und zu erheben, ob eine 'Blackout'-Versorgung anhand eines Quartierspeichers möglich ist und wie diese aussehen könnte." Mit seiner Teilnahme gehört Ollersdorf zu einem erlesenen Kreis: Neben Kökar in Finnland, Berchidda und Osima in Italien sowie Ispaster in Spanien ist man eine von nur 5 Gemeinden, die sich am Projekt beteiligen.
Durchhalten und immer weitermachen
Wenn es darum geht, andere Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte an seiner Erfahrung teilhaben zu lassen, ist Strobl ähnlich engagiert wie bei seinen Projekten vor Ort: "Ich sage ganz klar, dass man immer darauf konzentriert sein sollte, Projekte umzusetzen, die langfristig möglichst vielen Menschen helfen und deren Leben besser machen", erklärt der Bürgermeister. "Das Wichtigste aber ist und bleibt, durchzuhalten und auch nach Rückschlägen immer wieder aufzustehen. Man sieht in Ollersdorf gut, was man mit dieser Einstellung alles bewirken kann."
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Bernd Strobl
Seit fast 30 Jahren ist der gebürtige Burgenländer für seine Gemeinde tätig, seit 1998 als Gemeindeamtsleiter und seit 2012 auch als Bürgermeister. Seit 2008 ist Strobl zudem Obmann-Stellvertreter des Burgenländischen Schiedsrichterkollegiums (Österreichischer Fußball-Bund) und wurde 2023 zum Bezirksparteiobmann der Österreichischen Volkspartei in Güssing gewählt. Als Europa-Gemeinderat fungiert Strobl seit Beginn der Initiative im Jahr 2010.
Kontakt
Von 6. bis 9. Juni 2024 waren über 358 Millionen Wahlberechtigte in allen 27 EU-Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, ihre Vertreterinnen und Vertreter im Europäischen Parlament zu wählen. Das Votum ist zugleich der Auftakt für weitere Entscheidungen über einige Spitzenfunktionen.
Bildung von Fraktionen im Europäischen Parlament
Unmittelbar nach der Wahl nehmen die insgesamt 720 Mitglieder des Europäischen Parlaments – davon 20 aus Österreich – Verhandlungen über die sogenannten Fraktionen und deren Führungen auf. Jede Fraktion muss aus wenigstens 23 Abgeordneten bestehen, die in mindestens 7 EU-Mitgliedstaaten gewählt wurden. Es gibt jedoch auch Abgeordnete, die fraktionslos sind. Von 16. bis 19. Juli 2024 findet die konstituierende Sitzung der neuen, 10. Legislaturperiode des Europäischen Parlaments statt. In dieser wählen die Abgeordneten ihre Präsidentin oder ihren Präsidenten, die Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten sowie die Quästoren.
Neuzusammensetzung der Europäischen Kommission
Nach einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der 27 EU-Mitgliedstaaten am 17. Juni 2024 wird auf der formellen Tagung des Europäischen Rates (27. bis 28. Juni 2024) über ein Paket hochrangiger Ämter verhandelt, darunter jenes der Präsidentin / des Präsidenten der Europäischen Kommission, der Präsidentin / des Präsidenten des Europäischen Rates sowie der Hohen Vertreterin / des Hohen Vertreters. Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament mit qualifizierter Mehrheit (das heißt, 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten und 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung) eine Kandidatin / einen Kandidaten für das Amt der Präsidentin / des Präsidenten der Europäischen Kommission vor, wobei er das Ergebnis der Europawahl berücksichtigt. Danach wählt das Europäische Parlament die Kandidatin / den Kandidaten mit der Mehrheit der EU-Abgeordneten in geheimer Abstimmung. Der Rat der EU nimmt auf Vorschlag der EU-Mitgliedstaaten und im Einvernehmen mit der gewählten Kommissionspräsidentin / dem gewählten Kommissionspräsidenten eine Liste der designierten Kommissionsmitglieder an. Jedes nominierte Mitglied der Kommission stellt sich einer Anhörung im Europäischen Parlament. Nach den Anhörungen stellen sich die designierte Präsidentin / der designierte Präsident sowie die nominierten Kommissarinnen und Kommissare gemeinsam als Europäische Kommission dem Europäischen Parlament zur Wahl (einfache Mehrheit). Danach wird die neue Europäische Kommission vom Europäischen Rat ernannt.
Europäischer Rat ebenfalls mit neuer Führung
Die neue Präsidentin / der neue Präsident des Europäischen Rates wird rechtzeitig vor ihrem, seinem Amtsantritt am 1. Dezember 2024 vom Europäischen Rat (das heißt den 27 EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs) mit qualifizierter Mehrheit für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt.
Wahlergebnisse in Österreich und auf EU-Ebene
"Mit Ihrer Stimme bei der Europawahl entscheiden Sie, in welche Richtung sich die EU bewegt und dass die Interessen Österreichs bestens vertreten sind. Es geht um unseren Alltag, unsere Demokratie – und es geht um unser Europa." Bereits einige Monate vor der Europawahl am 9. Juni 2024 wandte sich Europaministerin Karoline Edtstadler mit diesen Worten per Video an die Österreicherinnen und Österreicher. Um möglichst viele Menschen für den Gang zur Wahlurne zu begeistern und gleichzeitig auch zu vielschichtigen EU-Themen zu informieren, startete das Bundeskanzleramt bereits zu Jahresbeginn 2024 "Unser Europa. Unsere Wahl.".
"Europa-Bus" tourte durch Österreich
Ein ganz besonderes Element der Kampagne war der "Europa-Bus": eine fahrende Informationszentrale mit umfangreichem Europa-Wissen im Gepäck. Von Februar bis Juni 2024 war der Bus in ganz Österreich unterwegs und konnte auch von Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten für Veranstaltungen angefragt werden. Das Angebot wurde gerne angenommen, wie zum Beispiel im niederösterreichischen Poysdorf. Hier zog der "Europa-Bus" dank des großen Engagements vor Ort dutzende Bürgerinnen und Bürger an, die sich bei Kaffee und Krapfen über die Europawahl informierten und zu aktuellen europäischen Themen austauschten. Europaministerin Karoline Edtstadler ergänzte diese Aktivitäten ihrerseits mittels einer Informationstour durch die Bundesländer. Bis zum Wahltag machte der "Europa-Bus" an 29 Orten in Österreich Station und legte insgesamt 7.677 Kilometer zurück.
Informiert mit wenigen Klicks
Um unsere Demokratie im Zeitraum vor wichtigen Wahlen gegen "Fake News" und Desinformation zu schützen, lag der Online-Schwerpunkt von "Unser Europa. Unsere Wahl." im Speziellen auf Information und Know-how. Neben "100 Fakten zur EU" – die auf der Website und auf Social Media in kompakter Form die vielen Vorteile Österreichs als EU-Mitgliedstaat beleuchteten – sorgte die Rubrik "Kampf gegen Desinformation" für ein besseres Verständnis dieses Phänomens. Die Seite bot zudem Kontakt zu Ansprechpersonen sowie Tipps und Hinweise, woran sich Desinformation erkennen lässt und wie man am besten dagegen vorgeht.
Gemeinsam über Europa reden
Das wichtigste Instrument, wenn es darum geht, Menschen für etwas zu begeistern, ist und bleibt allerdings das persönliche Gespräch. Für Europaministerin Karoline Edtstadler stand diese Form des Austauschs im Vordergrund, wie zum Beispiel bei der Tagung der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in Wien. Denn gerade der direkte Dialog stärkt nicht zuletzt den europäischen und damit den demokratischen Gedanken: "Unsere Demokratie muss jeden Tag aufs Neue gepflegt werden. Dafür muss man nicht immer einer Meinung sein, aber immer an einem Strang ziehen. Gestern, heute und auch morgen", so Edtstadler.
Mehr Informationen
Auf den Tag genau 200 Jahre nach der Uraufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven erfolgte am 7. Mai 2024 die bereits achte Verleihung des Europa-Staatspreises. Die berühmte Melodie der "Ode an die Freude" aus dem vierten Satz ist heute die offizielle Europahymne. Passend dazu sorgte ein Streichquartett des Jugendorchesters der Europäischen Union (European Union Youth Orchestra, kurz EUYO) für die musikalische Begleitung der feierlichen Veranstaltung. Europaministerin Karoline Edtstadler begrüßte hochrangige Gäste aus Politik, Wirtschaft, Diplomatie, Kunst und Kultur, Medien, Verwaltung und der Zivilgesellschaft in den Wiener Sofiensälen. Im Mittelpunkt der Europa-Gala standen jedoch die vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Projekten Europa erklären und greifbar machen.
Die Europäische Union gemeinsam weiterentwickeln
Dass sich große Herausforderungen nur gemeinsam lösen lassen, griff Europaministerin Karoline Edtstadler in ihrer Begrüßung auf: "Die EU ist nicht in Brüssel oder Straßburg. Sie ist dort, wo die Menschen leben, arbeiten und ihren Alltag gestalten. Genau dort wirken die eingereichten, nominierten und ausgezeichneten Projekte", so Edtstadler. Unzählige Initiativen würden den europäischen Gedanken in die Praxis umsetzen: "Sie zeigen, dass die EU in allen Bundesländern und Bezirken – an Schulen, in Gemeinden, Vereinen und Unternehmen – präsent ist. Und sie laden dazu ein, sich aktiv an der Mitgestaltung der Zukunft in der EU zu beteiligen", zeigte sich die Europaministerin von den zahlreichen Einreichungen begeistert. Aus den vorgelegten Projekten wählte eine hochkarätig besetzte Fachjury die Preisträgerinnen und Preisträger in den 5 Kategorien des Europa-Staatspreises 2024 aus. Entscheidend waren dabei insbesondere die Wirksamkeit der Projekte, die Erreichung der Zielgruppen sowie Nachhaltigkeit, Kreativität und starke Multiplikatoreffekte.
Starke Frauen aus Europa
Im feierlichen Rahmen wurde die Fotoausstellung "Mothers of Europe" vorgestellt, die sich bedeutenden Frauen im europäischen Integrationsprozess widmet. Mit Carmen Possnig kam zudem ein echtes Vorbild auf der Bühne zu Wort: Die Österreicherin gehört seit 2022 zur Astronautinnen- und Astronautenreserve der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und gewährte spannende Einblicke in ihre Arbeit: "Nirgendwo ist internationale Kooperation so entscheidend wie im Weltraum und Europa ist hier ein wichtiger Partner. Österreich leistet dabei einen beachtlichen Beitrag", sagte die österreichische Medizinerin und Ersatzastronautin.
Die Gewinner-Projekte
Kategorie "Europa in der Gemeinde"
Projekt "Europäische Toleranzgespräche"
Projektverantwortliche: Denk.Raum.Fresach – Europäisches Toleranzzentrum
Seit 2011 tragen die "Europäischen Toleranzgespräche" im Kärntner Bergdorf Fresach dazu bei, kontroversielle Themen zu diskutieren, umfassend zu beleuchten und wissenschaftlich aufzubereiten. Eingebettet in den "Kärntner Kulturfrühling", umfasst die Veranstaltungsreihe auch eine Sonderausstellung im Evangelischen Museum. "Das Dialogforum leistet mit wissenschaftlich gut aufbereiteten Ergebnissen einen tollen Beitrag zur demokratischen Bildung und zum politischen Diskurs", begründete die Bundesleiterin der Landjugend, Valentina Gutkas, die Juryentscheidung.
Kategorie "Europa in der Bildung"
Projekt "MariaReginaInternational und CLUB_ERIC"
Projektverantwortliche: Martina Schwarz
Seit 2016 sind am Gymnasium Maria Regina in Wien Europa-Themen besonders verankert. Angeboten werden ein Basiskurs für die 8. Schulstufe, eine unverbindliche Übung und ein Wahlpflichtgegenstand (European Relationships & International Cooperation, kurz ERIC). Außerdem wird das Curriculum mit Studienreisen, Workshops und Vorträgen seit dem Vorjahr durch ein Alumni-Netzwerk, den "CLUB_ERIC", ergänzt. "Die Lehrveranstaltungen machen Europa-Themen nicht nur maturafähig. Mit dem Alumni-Netzwerk geht das Engagement auch über die Schulzeit hinaus", sagte Fariha Khan, European Youth Delegate und Jurymitglied.
Kategorie "Europa in Kunst & Kultur"
Projekt "Europäische Initiativen im ländlichen Raum"
Projektverantwortlicher: Museumsverein Klostertal
Der Museumsverein Klostertal setzt seit 20 Jahren wissenschaftlich fundierte Initiativen zur Vermittlung von Themen der Geschichte und der Gegenwart um. Mit den EU-geförderten Projekten erhalten die Bewohnerinnen und Bewohner des Klostertals Einblicke in die Auswirkungen von Europa auf ihr Leben. "Für den Museumsverein Klostertal haben wir uns wegen seiner Kontinuität und der Bandbreite des Umgesetzten, von Wissenschaft und Kunst bis hin zum Tourismus, entschieden. Lokales Handeln und offen für das Internationale zu sein ist eine wunderbare Ergänzung", begründete Helga Rabl-Stadler, Sonderberaterin für Auslandskultur im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, die Entscheidung der Jury.
Kategorie "Grenzenloses Europa"
Projekt "Europäisches Netzwerk und interkulturelle Kompetenz durch landwirtschaftliche Praktika"
Projektverantwortliche: Landjugend Österreich
Über europäische Partnerorganisationen und Bildungseinrichtungen hilft die Landjugend umfassend bei der Organisation und finanziellen Abwicklung landwirtschaftlicher Praktika durch das "Erasmus+"-Programm. Die Teilnehmenden leben während der Praktika bei Gastfamilien, wodurch neben Einblicken in Arbeitsweisen der internationalen Landwirtschaft auch interkulturelle Kompetenzen erworben sowie Sprachbarrieren überwunden werden. "Dieses Projekt ist besonders spannend, denn gegen die stärksten Grenzen – jene im Kopf – braucht es Ermutigerinnen und Ermutiger, und damit hat man bei diesem Projekt schon 26 Jahre Erfahrung", sagte Ursula Plassnik, Außenministerin außer Dienst, zur Juryentscheidung.
Kategorie "Europa erklären"
Projekt "EU Quiz Tour"
Projektverantwortlicher: Verein EUth
Spielerisches Lernen gilt als besonders erfolgversprechend. Mit interaktiven Quizfragen und anschließender Auflösung sorgt die "EU Quiz Tour" für ein besseres Verständnis komplexer EU-Themen und bringt diese unterhaltsam an die Stammtische in Österreichs Regionen und Gemeinden: "Die 'EU Quiz Tour' hat einen tollen Weg gefunden, weil sie bei den Menschen vor Ort ist und die Botschaft direkt ankommt. Das Europawissen ist bei diesem Projekt besonders nachhaltig, weil es selbst erarbeitet wird", so Andreas Lieb, EU-Korrespondent der "Kleinen Zeitung", zur Entscheidung der Jury.
Über den Europa-Staatspreis
Der Europa-Staatspreis ist eine besondere Anerkennung für engagierte Menschen und spannende Projekte, die das Europaverständnis in Österreich fördern und das Bewusstsein für ein geeintes Europa stärken. Der Preis wurde 2015 anlässlich der 20-jährigen Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union ins Leben gerufen und war 2024 insgesamt mit 25.000 Euro dotiert.
Von 6. bis 9. Juni 2024 wählten die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Für Bundeskanzler Karl Nehammer steht fest, dass auch in der nächsten Funktionsperiode (2024 bis 2029) vor allem die Bekämpfung der illegalen Migration sowie die Stärkung des europäischen Wirtschaftsstandorts von zentraler Bedeutung sein werden.
Kampf gegen illegale Migration hat Priorität
Besonders das gemeinsame Vorgehen gegen illegale Migration müsse auf EU-Ebene mehr Gewicht bekommen, ist Bundeskanzler Nehammer überzeugt. Dazu braucht es aus Sicht des Regierungschefs neben einem robusten Schutz der EU-Außengrenzen beziehungsweise des Schengen-Raums auch die Möglichkeit, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchzuführen, sowie eine konsequente Durchsetzung von Rückführungen. Zusätzlich müsse der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Schlepperei noch mehr in den Fokus gerückt werden: "Wir müssen gemeinsam entschlossen vorgehen und durch restriktive Migrationspolitik mehr Sicherheit schaffen", betont Nehammer.
Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich
Wie kontrollierte Zuwanderung aussehen könnte, zeigt Großbritannien: Geplant ist, dass Asylsuchende, die auf illegalem Weg ins Land gekommen sind, in das ostafrikanische Ruanda ausgeflogen werden, wo Asylanträge gestellt werden können. Um sich über dieses Modell und andere wichtige Themen, wie den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Lage am Westbalkan oder den Konflikt im Nahen Osten, auszutauschen, lud Bundeskanzler Nehammer am 21. Mai 2024 Rishi Sunak, Premierminister des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland, zu Gesprächen nach Wien ein. "Großbritannien spielt in dieser Frage eine wichtige Rolle. Wir sind strategische Partner, wenn es darum geht, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchführen zu können", erklärte Nehammer. Zudem würden solche Asylverfahren auch für den Wegfall gefährlicher Schmuggelrouten sorgen: "Wenn wir das schaffen, bedeutet das, dass das Sterben im Mittelmeer ein Ende finden kann und wir das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören können", so der Bundeskanzler.
Abkommen mit Drittstaaten als erster Schritt
Ein weiterer wichtiger Faktor, wenn es um Möglichkeiten zur Eindämmung illegaler Einwanderung geht, sind Abkommen und Partnerschaften, die über die europäischen Grenzen hinausgehen. Beispielhaft steht hierfür das Abkommen mit Ägypten, zu dessen Verhandlungen Bundeskanzler Nehammer im März 2024 mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni sowie den Amtskollegen aus Griechenland und Belgien, Kyriakos Mitsotakis und Alexander De Croo, und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis nach Kairo reiste. Vor Ort wurde ein Migrationsübereinkommen mit einem Volumen von 7,4 Milliarden Euro geschlossen, welches die Migration nach Europa regulieren – durch die Schaffung legaler Zuwanderung, etwa um dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen – und zugleich die ägyptische Wirtschaft stärken soll. "Uns war ein Übereinkommen auf Augenhöhe wichtig, da Ägypten ein wichtiger Partner in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen ist. Auch vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs ist eine Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern essenzieller denn je", sagt Nehammer.
Ein starker Wirtschaftsstandort bedeutet Wohlstand in Europa
Neben der Migrationspolitik ist auch die Stärkung der europäischen Wirtschaft von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Union. Bei einer außerordentlichen Tagung am 17. und 18. April 2024 in Brüssel ging es genau darum. Im Kreise der Amtskolleginnen und -kollegen aus den EU-Staaten betonte der Bundeskanzler deshalb vor allem die Notwendigkeit von Deregulierung, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erhöhen. Der Standort Europa solle wieder Priorität auf der europäischen Agenda haben, sodass Unternehmerinnen und Unternehmer mehr Freiheiten erhalten. Die Verbotskultur und Regulierungsflut solle beendet werden, damit Unternehmen auch wieder frei wirtschaften können. Nur so könne der Wohlstand in Europa auch in Zukunft gesichert werden. Darüber hinaus hob Nehammer die Bedeutung der europäischen Landwirtschaft hervor: "Wir brauchen die Lebensmittelversorgungssicherheit und die Qualität der europäischen Lebensmittel. Es braucht Möglichkeiten für die Landwirtinnen und Landwirte in der EU, um fair produzieren und von ihren Produkten leben zu können."
"In Brüssel erlebt man allerorts den 'European Spirit'! Das merkt man schon bei der Ankunft", zeigte sich Ralf Hachmeister zu Beginn der dreitägigen Bildungsreise begeistert. Neben Treffen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der EU-Institutionen und der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel bot die Studienreise vor allem Erkenntnisse über die Rolle der Gemeinden im großen europäischen Kontext.
Der Europäische Rat öffnet seine Türen
Mit einem Besuch im Gebäude des Europäischen Rates/Rates der EU startete die Tour durch das "Zentrum Europas". Für Ralf Hachmeister "ein sehr informativer Tag für unsere Arbeit vor Ort. Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter erläuterten uns die Arbeit der EU für die Gemeinde-Ebene." Johanna Adlaoui-Mayerl ergänzte: "Der Besuch im Rat hat gezeigt, dass Österreich in der EU stark vertreten ist." Der Nachmittag stand dann im Zeichen der Vernetzung. Bedienstete der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU, allen voran der Stellvertretende Ständige Vertreter, begrüßten die Gruppe in ihren Räumlichkeiten und boten Einblicke in die Arbeitsweisen und Aufgaben der österreichischen "EU-Botschaft". Für Hachmeister bestätigte sich der Eindruck, dass die Arbeit der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sehr geschätzt wird – "die Kernbotschaft aller Vortragenden" an diesem Tag. Beim anschließenden Empfang bot sich die Gelegenheit zum Austausch mit dem Ständigen Vertreter, Botschafter Thomas Oberreiter, sowie Vertreterinnen und Vertretern der Verbindungsbüros der Bundesländer in Brüssel. "Es blieb natürlich auch Zeit, um die Innenstadt zu erkunden und die berühmte belgische Schokolade zu genießen", merkte Ralf Hachmeister an.
"Der Tag der Spezialistinnen und Spezialisten"
Praxisnah gestaltete sich am Tag darauf der Besuch bei der EU-Kommission. "Für mich war das der Tag der Spezialistinnen und Spezialisten", sagte Hachmeister. "Die Kommission hat ein vitales Interesse daran, mit Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren", berichtete Johanna Adlaoui-Mayerl. "Wir haben erfahren, was die Kommission alles macht und kann" – ein wichtiger Input für die Europa-Gemeinderätin aus dem 5. Wiener Gemeindebezirk. "Bei der Kommission wurde die Vielfalt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichtbar – etwa durch zahlreiche junge Menschen, die an Projekten der EU arbeiten und so für Fortschritt in Europa sorgen." Neben Informationen über die Europawahl oder die 4 großen EU-Fonds kam es auch zum Austausch mit EU-Kommissar Johannes Hahn, der im Gespräch auf die aktuellen Herausforderungen der EU Bezug nahm. Ein Highlight der Reise, nicht nur für Ralf Hachmeister: "Man nahm sich seitens der EU-Spitzenvertreterinnen und -vertreter sichtlich viel Zeit für uns."
Ich finde es gut, Europa zur gemeinsamen Sache aller Kräfte zumachen. Das nehme ich auch von dieser Reise nach Brüssel mit nach Hause.
Johanna Adlaoui-Mayerl, Wien
Dialog im Europäischen Parlament
Am letzten der 3 Besuchstage standen Diskussionsrunden mit den österreichischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments der verschiedenen Fraktionen auf dem Programm. Bei den EU-Abgeordneten spüre man den europäischen Gedanken, resümierte Adlaoui-Mayerl: "Ich finde es gut, Europa zur gemeinsamen Sache aller Kräfte zu machen. Das nehme ich auch von dieser Reise mit." Nach einem Rundgang durch das Paul-Henri-Spaak-Gebäude am Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel stand bereits die Rückreise an, mit reichlich Information und einzigartigen Eindrücken im Gepäck. Das Fazit? "Klar sichtbar wurde für mich, dass man in Europa über den nationalen Tellerrand hinausdenken sollte. Europäisch denken heißt an die Zukunft denken", so Johanna Adlaoui-Mayerl weiter. Für Ralf Hachmeister stand zusätzlich das Vernetzen im Mittelpunkt: "Schon während der drei Tage entwickelte sich ein eigenes kleines Europa-Gemeinderätinnen- und Europa-Gemeinderäte- Netzwerk unter den Teilnehmenden, das über die gemeinsame Reise hinaus besteht. Der Besuch in Brüssel ist ein echtes Erlebnis – informativ, unterhaltsam und spannend!"
Durch diese Reise konnten wir ein Netzwerk aufbauen, das über die Erlebnisse in Brüssel hinaus bestehen bleiben wird.
Ralf Hachmeister, Deutsch-Wagram
Das Europäische Parlament (EP) mit seinen Arbeitsstandorten in Brüssel (Belgien), Straßburg (Frankreich) und Luxemburg ist das einzige der 7 EU-Organe, dessen Mitglieder alle 5 Jahre direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der 27 EU-Mitgliedstaaten gewählt werden. Heuer ist es wieder so weit: Am 9. Juni stimmen die Österreicherinnen und Österreicher über die künftige Zusammensetzung ab. Wie auch bei Nationalratswahlen gilt das Verhältniswahlrecht und es können Vorzugsstimmen für die kandidierenden Personen abgegeben werden. Wahlberechtigt sind alle Personen mit österreichischer Staatsangehörigkeit, die spätestens zum Wahltag das 16. Lebensjahr erreicht haben. 2007 war Österreich der erste Mitgliedstaat, der das Wahlalter auf 16 herabgesetzt hat; "Wählen mit 16" ist auch in Belgien, Deutschland, Griechenland und Malta möglich. Österreicherinnen und Österreicher, die im Ausland wohnen, haben die Möglichkeit, per Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Derzeit besteht das Europäische Parlament aus 705 Abgeordneten, allerdings erhöht sich die Zahl in der Funktionsperiode 2024-2029 auf 720, um der Bevölkerungszunahme in einigen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen. Österreich erhält einen Sitz mehr als bisher, somit werden die Österreicherinnen und Österreicher künftig von 20 Abgeordneten im EP vertreten.
Unser Europa. Unsere Vertretung.
Zu den Hauptaufgaben des Europäischen Parlaments (EP) zählen die Gesetzgebung und der Beschluss des EU-Haushalts. Das EP kann zwar selbst keine Gesetzesentwürfe einbringen; dafür stimmt es mit dem Rat der EU (in dem die EU-Mitgliedstaaten vertreten sind) über Gesetzesvorschläge der Kommission ab und kann auch Änderungen verlangen. Vorschläge der Kommission für die langfristige Budgetplanung ("Mehrjähriger Finanzrahmen") bedürfen der Zustimmung des Parlaments wie auch des Rates der EU. Das EP und der Rat der EU müssen sich zudem auf das jährliche EU-Budget einigen. Die dritte wesentliche Funktion des EP besteht in der Kontrolle der übrigen EU-Organe, allen voran der Europäischen Kommission. Das EP kann der Kommission sein Misstrauen aussprechen und dadurch den Rücktritt der Kommission veranlassen.
Unser Europa. Unser Alltag.
Die politischen Entscheidungen, die auf EU-Ebene unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments getroffen werden, haben konkrete Auswirkungen auf die Regionen und Gemeinden in den Mitgliedstaaten. Das gilt beispielsweise für Themen wie Konsumentinnen- und Konsumentenschutz, Chancen für Unternehmen, Mobilität, Infrastruktur, Digitalisierung, Handel oder Maßnahmen gegen den Klimawandel. Zahlreiche erfolgreiche EU-geförderte Projekte in ganz Österreich, wie "Community Nursing", LEADER-Tourismusregionen oder Auslandspraktika-Programme, sind im alltäglichen Leben der Österreicherinnen und Österreicher sichtbar und erlebbar.
Unser Europa. Unsere Demokratie.
Die Europawahl beeinflusst auch die künftige Zusammensetzung der Europäischen Kommission: Denn das Europäische Parlament wählt auf Vorschlag des Europäischen Rates, der dabei das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen muss, die künftige Präsidentin beziehungsweise den künftigen Präsidenten der Europäischen Kommission. Das EP stimmt zudem über die designierten Kommissionsmitglieder ab. Die Stimmabgabe bei der Europawahl steht für die demokratische Teilhabe der Bevölkerung. Jede und jeder von uns kann daran direkt mitwirken – weil jede Stimme zählt.
Wie ist Österreich im Europäischen Parlament vertreten?
Künftig kommen 20 EU-Abgeordnete aus Österreich. Die Zahl der Abgeordneten hängt von der Bevölkerungsgröße des jeweiligen Landes ab. Österreich entsendet aktuell 19 und fortan 20 Abgeordnete in das Europäische Parlament – eine oder einen mehr als bisher. Denn die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament wird nach der Europawahl 2024 für die Funktionsperiode 2024-2029 von 705 auf 720 erhöht, um der Zunahme der Bevölkerung in einigen EU-Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen.
Welche Aufgaben hat das Europäische Parlament?
Das Europäische Parlament stimmt gleichberechtigt mit dem Rat der EU über Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission ab. Es darf keine eigenen Gesetzesentwürfe vorlegen, kann aber Änderungen an den Vorschlägen der Kommission verlangen.
Gleiches gilt für den EU-Haushalt: Auch hier kommt der Vorschlag für die langfristige Budgetplanung ("Mehrjähriger Finanzrahmen") von der Europäischen Kommission, und auch dieser braucht die Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie des Rates der EU. Zudem müssen sich das EP und der Rat der EU auf das jährliche Budget einigen.
Des Weiteren wählt das Europäische Parlament die Präsidentin oder den Präsidenten der Europäischen Kommission und stimmt im Block über die Mitglieder der Kommission ab. Das Europäische Parlament kann der Europäischen Kommission das Misstrauen aussprechen. Zu den Aufgaben des EP zählt zudem die Kontrolle der Arbeit der EU-Organe, insbesondere der Europäischen Kommission.
"Unser Europa. Unsere Wahl."
Das Bundeskanzleramt hat zu Jahresbeginn eine umfangreiche Informationskampagne gestartet, um möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Das gemeinsame Ziel der Aktivitäten unter dem Motto "Unser Europa. Unsere Wahl." ist eine möglichst hohe Wahlbeteiligung und die bestmögliche Information der Bürgerinnen und Bürger.
Die Website www.unsereuropa2024.at ist dafür die zentrale Plattform. Neben Informationen über das Europäische Parlament und die Europawahl finden sich auf der Seite auch ein Folder zur Europawahl, Links und EU-relevante Angebote. "100 Fakten über die EU" informieren von Jänner bis Juni 2024 über die Errungenschaften der EU und konkrete Vorteile für Österreich, etwa EU-geförderte Projekte in den Bundesländern. Auch die Social-Media-Kanäle des Bundeskanzleramts setzen auf Facebook und Instagram einen Europawahl-Schwerpunkt. Für Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte steht ein "Europa-Bus" mit Informationsmaterial und Give-aways zur Verfügung. Und im Rahmen einer Bundesländertour gibt es die Möglichkeit, mit Europaministerin Karoline Edtstadler ins Gespräch zu kommen.
Mehr Informationen
Frau Präsidentin, an der Europawahl 2019 haben sich im EU-Schnitt knapp 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger beteiligt; in Österreich waren es knapp 60 Prozent. Was plant das Europäische Parlament, um das Ziel einer möglichst hohen Beteiligung auch 2024 zu erreichen?
Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind von großer Bedeutung, weil sie die Richtung vorgeben, die Europa in den nächsten 5 Jahren einschlagen wird. Auf EU-Ebene werden Gesetze verabschiedet, die uns alle betreffen – von der Digitalisierung über Gesundheit und Migration bis hin zu Klima und Sicherheit. Wir müssen zeigen, dass Europa wichtig ist, und darüber informieren, was wir bis dato erreicht haben – aber auch ehrlich sagen, wo wir besser hätten sein oder mehr hätten tun können. Dazu ist es notwendig, die bedeutende Rolle der 19 und künftig 20 österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments und die konkreten Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu erklären. Das ist das Ziel der Wahlkampagne des Europäischen Parlaments, und aus diesem Grund bin ich auch oft vor Ort. Im Vorfeld der Wahlen besuche ich die Mitgliedstaaten, um die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere junge Menschen, zur Stimmabgabe zu ermutigen. Ich möchte die Bürgerinnen und Bürger persönlich treffen und mir ihre Sorgen und Erwartungen anhören. Denn Europa ist ebenso sehr Salzburg oder Wien wie Brüssel oder Straßburg. Ich möchte bei den Menschen wieder ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und Begeisterung für Europa wecken – ein Europa für alle, ein Europa der Möglichkeiten und der Hoffnung.
Sie sind Mutter von 4 Kindern. Wie stellen Sie sicher, dass die Stimmen von jungen Menschen im Europäischen Parlament Gehör finden? Und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Möglichkeit des "Wählens mit 16 Jahren", das in Österreich schon 2007 eingeführt wurde?
Als junge Politikerin habe ich den Satz "Die Jugend ist die Zukunft" nicht gerne gehört. Denn die Jugend ist die Gegenwart. Junge Menschen haben das Recht, an der Entscheidungsfindung beteiligt zu werden. Aus diesem Grund habe ich mich schon früh in der Politik engagiert, da ich die Entscheidungen, die meine Generation betreffen, mitgestalten wollte. Ich setze mich seit langem dafür ein, dass Bürgerinnen und Bürger bereits mit 16 Jahren das Recht haben, an Europawahlen teilzunehmen, wie es etwa in Österreich und meinem Heimatland Malta der Fall ist. Es reicht jedoch nicht, unserer Jugend "nur" die Möglichkeit zu geben, zu wählen. Wir müssen sie aktiv in politische Prozesse einbeziehen, denn es ist wichtig, ihre einzigartigen Sichtweisen zu berücksichtigen. Ich bin Mutter eines Erstwählers: Mein ältester Sohn wird dieses Jahr zum ersten Mal an Wahlen teilnehmen. Wenn ich mit ihm spreche, sehe ich, vor welchen Herausforderungen junge Menschen punkto Beteiligung an politischen Prozessen stehen. Meine wichtigste Botschaft diesbezüglich lautet: Diese Wahlen sind eine Gelegenheit für Österreichs Jugend, die Zukunft unserer Union und das Europa, das sie sich wünschen, mitzugestalten! Es ist ihre Chance mitzubestimmen und ihr Recht, gewählte Vertreterinnen und Vertreter zur Verantwortung zu ziehen.
Im "Superwahljahr" 2024 – gewählt wird unter anderem in den USA, in Indien und der EU – spielt die Integrität der Wahlprozesse eine große Rolle. Welche Maßnahmen setzt das Europäische Parlament angesichts der Herausforderungen im Bereich Desinformation, Stichwort "Fake News"?
Mehr als 2 Milliarden Menschen werden dieses Jahr wählen; das entspricht einem Viertel der Weltbevölkerung. Die etwa 65 auf der ganzen Welt stattfindenden Wahlgänge lassen Auswirkungen auf die globale Politik und die aktuellen Herausforderungen erwarten. Daher wird 2024 für die Zukunft der Demokratie von entscheidender Bedeutung sein. Gleichzeitig beobachten wir aber auch Versuche, unsere Demokratie durch Desinformation zu untergraben. Das Europäische Parlament unterstützt den gesamtgesellschaftlichen Ansatz zur Bekämpfung von Desinformation. Der Kampf gegen Desinformation oder "Fake News" ist ein wesentlicher Aspekt der Strategie des Europäischen Parlaments für die Europawahlen. Unsere Dienststellen arbeiten eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, um hybriden Bedrohungen bestmöglich zu begegnen. Das Europäische Parlament hat gemeinsam mit dem Rat der EU Rechtsvorschriften verabschiedet, die zur Bekämpfung von Desinformation beitragen. So legt das Gesetz über digitale Dienste, der "Digital Services Act" (DSA), Vorschriften für die Entfernung unzulässiger Inhalte fest, während das weltweit erste Gesetz über künstliche Intelligenz, der "AI Act", Regeln für Systeme schafft, die für die Erstellung und Verbreitung solcher Inhalte genutzt werden können. Wir arbeiten zudem sehr eng mit den Online-Plattformen zusammen, um die Verbreitung von Desinformation und "Fake News" zu bekämpfen. Weitere Aspekte sind die Förderung von Medienkompetenz und Sensibilisierungsmaßnahmen, um mehr Bewusstsein für Desinformationsnarrative und die Mechanismen dahinter zu schaffen. Das Europäische Parlament unterstützt zudem die Tätigkeit unabhängiger Medien und arbeitet mit "Fact-Checkerinnen und -Checkern" zusammen, um gegen Informationsmanipulation vorzugehen und gegebenenfalls auf gefälschte Nachrichten beziehungsweise absichtlich irreführende Informationen zu reagieren. Was Cybersicherheit angeht, so trifft das Europäische Parlament alle notwendigen Vorkehrungen. Unsere Dienststellen überwachen permanent Bedrohungen der Cybersicherheit und mögliche Cyberangriffe. Die Hauptverantwortung für die Gewährleistung der Cybersicherheit bei den Europawahlen liegt bei den EU-Mitgliedstaaten. Denn für die Europawahlen werden in jedem EU-Mitgliedstaat die nationalen IT-Infrastrukturen genutzt, im Einklang mit den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften – aber zu Terminen und nach Kriterien, die auf EU-Ebene festgelegt wurden. Eine enge Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Informationsaustausch sind daher von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass alle wichtigen Akteurinnen und Akteure in der EU über potenzielle Bedrohungen informiert sind und, wenn möglich, neue Erkenntnisse zur Bewertung und Eindämmung von Cybersicherheitsrisken gewinnen können.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass politische Skandale und "Skandälchen" in den EU-Mitgliedstaaten, aber auch auf EU-Ebene (etwa im Zusammenhang mit Spenden aus Drittländern) das Vertrauen in die demokratischen Institutionen erschüttern und die Menschen von den Wahlurnen fernhalten könnten?
Mit diesbezüglichen Enthüllungen oder Behauptungen muss korrekt umgegangen werden, um das Vertrauen unserer Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen. Die Reaktion auf solche Situationen ist meiner Meinung nach das Wichtigste. Im Europäischen Parlament haben wir sofort gesagt: keine Straffreiheit, kein "Unter-den-Teppich-Kehren" und kein "business as usual". Das Europäische Parlament arbeitet, wenn nötig, uneingeschränkt mit den nationalen Behörden zusammen, und in den vergangenen Monaten ist es gelungen, eine interne Reform auf den Weg zu bringen, um sicherzustellen, dass sich Missstände nicht wiederholen. In diesem Zusammenhang darf ich die EU-Bürgerinnen und -Bürger einladen, uns nach unserer Reaktion auf derartige Missstände zu beurteilen – und nicht nach dem Fehlverhalten einiger weniger. Korruption zahlt sich nicht aus und wir werden alles tun, um diese zu bekämpfen. Die Menschen in ganz Europa erwarten vom Europäischen Parlament, dass es eine Führungs- und Orientierungsfunktion einnimmt. Für sie muss ein modernes und selbstbewusstes Europäisches Parlament da sein. Bedauerlicherweise lassen sich derartige Fälle nicht verhindern – aber es geht darum, wie wir damit umgehen. An dieser Stelle möchte ich die Unionsbürgerinnen und -bürger auf die wichtige Funktion der Wahlteilnahme hinweisen: Das Wahlrecht ist nicht nur das Recht, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen, sondern auch eine Möglichkeit, die Vertreterinnen und Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte bildet in Österreich eine wichtige kommunikative Brücke zwischen der europäischen und der regionalen sowie lokalen Ebene. Welche Bedeutung hat diese Initiative Ihrer Meinung nach mit Blick auf die Europawahl?
Jede Politik ist lokale Politik. Es sind die lokalen und regionalen Entscheidungsträgerinnen und -träger, die am besten wissen, was vor Ort geschieht. Schauen Sie sich die EU-Fonds und -Förderprogramme an: Niemand weiß besser über die Auswirkungen der EU auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger Bescheid als die regionalen und lokalen Behörden. Daher ist es sinnvoll, sie in die Tätigkeiten der EU und die bevorstehenden Europawahlen einzubeziehen. Diese Kommunikationswege sind wichtig, um zu verstehen, wie sich unsere Politik tatsächlich auf lokaler und regionaler Ebene auswirkt. Insgesamt ist die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte ein wichtiger Schritt nach vorne, um sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird. Gemeinsam mit dem Europäischen Ausschuss der Regionen möchten wir diese Botschaften verstärkt vermitteln.
Sie sind seit über 2 Jahren Präsidentin des Europäischen Parlaments. Was motiviert Sie persönlich, sich für die europäische Integration und ein starkes Europäisches Parlament einzusetzen?
Es ist zweifellos ein herausforderndes Mandat gewesen. Am 18. Jänner 2022 hätte ich nicht vorhersagen können, dass es erneut Krieg auf dem europäischen Kontinent geben würde. Aber die Verpflichtungen, die ich in meiner ersten Rede als Präsidentin eingegangen bin, bleiben weiterhin aufrecht: Ich möchte das Europäische Parlament modernisieren und mich stärker für die Bewältigung der Herausforderungen der EU-Bürgerinnen und -Bürger einsetzen. Außerdem möchte ich, dass das Europäische Parlament jede Region in der EU sowie jede Europäerin und jeden Europäer erreicht – denn wir sind Europa als Ganzes, nicht nur Brüssel und Straßburg. Oberstes Ziel ist es aktuell, die russische Invasion in der Ukraine zu stoppen. Gleichzeitig müssen wir weiter hart arbeiten, um Herausforderungen wie die Bewältigung des Klimawandels, die Durchsetzung einer einheitlichen Migrationspolitik, den Aufbau einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft anzugehen. Die Stärke unserer Union beruht auf ihrer Einigkeit. Die europäische Integration ist notwendig, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern. Wir wissen, dass wir gemeinsam stärker und sicherer sind – und mehr erreichen, wenn wir zusammenhalten.
Roberta Metsola
Die Spitzenpolitikerin wurde 1979 auf Malta geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften (Universität Malta) und einem Postgraduate-Studium am Collège d'Europe in Brügge war sie an der Ständigen Vertretung Maltas bei der EU sowie als juristische Beraterin beim Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel tätig. Für die Fraktion der Europäischen Volkspartei war sie ab 2013 Mitglied des Europäischen Parlaments und ab November 2020 Erste Vizepräsidentin. Seit Jänner 2022 fungiert Metsola als Präsidentin des Europäischen Parlaments. Sie ist verheiratet und hat 4 Söhne.
"In sale et in sole omnia consistunt", auf Deutsch: "Alles begründet sich auf Salz und Sonne". Diese Inschrift prangt auf der geschichtsträchtigen Bad Ischler Trinkhalle, die einst als Kuranlage gedient hat. Nun ist sie Veranstaltungs- und Ausstellungsstätte, beherbergt die Kurdirektion sowie den Tourismusverband. Mit Bad Ischl als Bannerstadt trägt die Region Salzkammergut 2024 den Titel "Kulturhauptstadt Europas" – gemeinsam mit Tartu in Estland und Bodø in Norwegen.
Regionale Vergangenheit, Internationale Zukunft
Am 20. Jänner 2024 eröffnete Bad Ischls Bürgermeisterin Ines Schiller mit den Worten "Es wird ein Jahr, das wir niemals vergessen!" den "Kulturhauptstadt"-Veranstaltungsreigen. Umrahmt wurde die feierliche Eröffnung unter anderem von einer musikalischen Darbietung des aus der Region stammenden Hubert von Goisern und seinem "Chor der 1000". Unter dem Motto "Kultur ist das neue Salz" verbindet die Auszeichnung als "Kulturhauptstadt Europas" heuer 23 Gemeinden des Salzkammerguts unter einem gemeinsamen Dach. Erstmals stellt eine inneralpine, ländlich geprägte Region die "Kulturhauptstadt". Geboten werden 2024 über 300 Projekte – eine bunte Mischung von Ausstellungen regionaler wie internationaler Künstlerinnen und Künstler, von Aufführungen und Diskursen, von Tradition und Moderne. Die Aktivitäten beschäftigen sich dabei mit dem Verstehen und Hinterfragen von Identitäten, aber auch mit den Auswirkungen des Tourismus auf Region und Umwelt.
Im Laufe des Jahres folgen gemeindeübergreifende Programm-Highlights, welche die Kommunen untereinander vernetzen und den kreativen Austausch fördern. So werden etwa alle 23 Dorf- und Ortszentren bei einer "Fête de la Musique" mit vielfältigen Musikrichtungen bespielt. Lokal anders gedacht: Mithilfe des Koch-Kollektivs "Healthy Boy Band" soll das Projekt "Wirtshauslabor Salzkammergut 2024" der gastronomischen Kultur der Region neues Leben einhauchen. Und unter dem Titel "Curating Space" werden Leerstände in den Gemeinden erhoben und saniert, um Raum für Kunst und Kulturveranstaltungen zu schaffen, ohne die Bodenversiegelung voranzutreiben. Um die Einzigartigkeit jeder der 23 Gemeinden aufzuzeigen, steht alle 2 Wochen eine Gemeinde mit eigenen Projekten im Rampenlicht, beginnend mit der Bannerstadt Bad Ischl.
Tartu: Moderne Ausstrahlung in traditionellem Gewand
Nachhaltigkeit steht 2024 allerdings nicht nur im Salzkammergut im Vordergrund. Auch Tartu, die "Kulturhauptstadt Europas" in Estland, bemüht sich darum, Erfolgsgeschichten im Bereich des nachhaltigen Tourismus zu schreiben. Die Bemühungen, drei Viertel des Verkehrs bis 2040 auf Fahrräder umzustellen, brachten der ältesten Stadt im Baltikum unter anderem eine Aufnahme durch die globale Organisation "Green Destinations" in die Reihen der Top 100 der "grünen Städte" in den Jahren 2020-2023 ein. Mit dem Fahrrad lässt sich die estnische "Kulturhauptstadt Europas" auch am besten erkunden. Denn mit rund 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Tartu zwar nicht groß, hat als Universitätsstadt mit Dorfcharakter aber einiges an Kultur und Flair zu bieten. Mit den 4 thematischen Schwerpunkten Erde, Menschheit, Europa und Universum möchte Tartu seinen Gästen 2024 einen nachhaltigen Lebensstil, menschliche Nähe, europäische Vielfalt sowie Chancen und Gefahren moderner Technologien vermitteln. Dafür sorgen Programm-Highlights wie das "Tõrva Loits"-Festival rund um die estnische Mythologie oder die internationale Diskussionsveranstaltung "Hybrid European Democracy Festival".
Bodø: im Gezeitenstrom der Nachhaltigkeit
Um nachhaltigen Tourismus ist auch das nordnorwegische Städtchen Bodø bemüht. Die dritte "Kulturhauptstadt Europas" trägt das Gütesiegel "Sustainable Destination" ebenso stolz, wie sie die Geschichte und Traditionen der Region verkörpert. "Bodø2024" möchte heuer mit mehr als 1.000 verschiedenen Veranstaltungen Besucherinnen und Besucher in den hohen Norden locken. Neben einer Kulturwoche zur Feier des Volkes der Samen, einem Auftritt des kanadischen Musikers Bryan Adams oder einem Musik-Festival von, für und mit jungen Menschen gibt es in der "Mini-Metropole des Nordens" auch zeitlose Naturschauspiele zu bestaunen: Mitternachtssonne, Nordlichter sowie der weltweit größte und dichteste Seeadlerbestand werden nur vom stärksten Gezeitenstrom der Welt, dem Saltstraumen, 30 Straßenkilometer südöstlich von Bodø gelegen, übertroffen. Sein Name bedeutet übersetzt "Salzströmung" – und schlägt damit den Bogen zur österreichischen "Kulturhauptstadt Europas", dem Salzkammergut.
Interview
Elisabeth Schweeger, Künstlerische Geschäftsführerin der Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024
Welche Auswirkungen hat das "Kulturhauptstadt"-Jahr?
Es fördert Kunst und Kultur in der Region, Gemeinden vernetzen sich international. Der europäische Dialog ermöglicht, die Vielfalt als Stärke zu erkennen, daraus Impulse für die eigene Entwicklung zu ziehen und Probleme wie Abwanderung, Personalmangel oder Klimawandel zu bewältigen.
Was ist Ihr Programm-Highlight?
Alle Projekte legen Zeugnis davon ab, dass eine Auseinandersetzung mit der Region stattfindet. Sehenswert ist Chiharu Shiotas Installation im Stollen von Ebensee, die sich der Erinnerungskultur widmet, sowie die Ausstellung "sudhaus – kunst mit salz & wasser".
Wie soll es gelingen, nachhaltige Perspektiven für Bevölkerung und Region zu schaffen?
Kunst revitalisiert Leerstände, belebt die Wirtshauskultur, erneuert Museen und Theater, schafft neue Kulturzentren, fördert das Handwerk sowie internationale Vernetzungen und gibt der Jugend Raum zum Selbstgestalten. Durch Workshops zur Vermeidung von Bodenversiegelung schaffen wir zudem ein Bewusstsein dafür, den ländlichen Raum klimageschützt zu entwickeln. Kunst dient also als Wertschöpfung, welche die Region das ganze Jahr über interessant und lebenswert macht, und bringt damit den Tourismus weg von klimaschädlichen und kaum ertragreichen Eintagestouren.
Mehr Informationen
Als der österreichische Regierungschef am 11. November 2023 im Rahmen eines Arbeitsbesuchs nach Kundl kam, gab es einen Erfolg zu feiern: Es war zuvor gelungen, den einzigen vollintegrierten Penicillin-Produktionsstandort Europas nicht nur zu erhalten, sondern auch zu modernisieren und zu erweitern. Die Produktion in Kundl deckt sämtliche Herstellungsprozesse ab – von der Gewinnung des Wirkstoffs bis hin zum fertigen Produkt einer Antibiotikum-Tablette.
Bundeskanzler Nehammer: "Meilenstein-Projekt"
45 Millionen Euro stellte die österreichische Bundesregierung und 5 Millionen Euro das Land Tirol zur Verfügung, weitere 100 Millionen Euro hat der Generika-Hersteller Sandoz selbst in seine erneuerte Produktionsstätte investiert. Die Europäische Kommission hatte dem Vorhaben im Juli des vergangenen Jahres zugestimmt. "Damit hat das Unternehmen einen Meilenstein gesetzt und bewiesen, dass die Penicillin-Herstellung in Europa kostendeckend stattfinden kann", unterstrich der österreichische Bundeskanzler in Kundl. Die Stärkung der inländischen Medikamentenproduktion ist auch als Reaktion auf die Lieferengpässe in den vergangenen Jahren zu sehen. Wie problematisch sich unterbrochene Lieferketten insbesondere auf die Gesundheitssysteme auswirken können, haben die Covid-19-Pandemie und die durch Kriege, Konflikte und Krisen etwa in der Ukraine, im Nahen Osten oder im Roten Meer verursachten Störungen von Handelswegen deutlich gezeigt.
EU Stärkung einer unabhängigeren EU
Durch die Herstellung von Arzneien in Europa soll die Gesundheitsversorgung unabhängiger und resilienter werden – ein erklärtes Ziel der EU. Der langfristige Fahrplan lautet "offene strategische Autonomie": Durch die Reduzierung von Abhängigkeiten soll die EU auf internationaler Ebene als starker Player auftreten können. Dies erfordert Zusammenarbeit und Koordination in verschiedenen Bereichen, nicht zuletzt im Gesundheitssektor. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt der 1946 gegründete Standort Kundl, wo durch gezielte Investitionen ein neuer Technologie- und Life-Science-Park und somit ein attraktiver Forschungs- und Produktionsstandort für orale Antibiotika im Herzen Europas entstanden ist. Penicillin ist einer der wichtigsten Wirkstoffe in der Behandlung bakterieller Infektionen. Der Unternehmensstandort in Tirol leistet somit einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in Österreich und Europa – und bei den Bemühungen, unabhängiger von globalen Lieferketten zu werden. Lange Zeit ist der Trend in die entgegengesetzte Richtung gegangen: Gerade bei unverzichtbaren patentfreien Medikamenten ist der Preisdruck auf die Hersteller hoch, was viele Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten dazu veranlasst hat, ihre Produktionsstätten in Staaten außerhalb der EU zu verlagern.
Österreichische Erfolgsgeschichte
Demgegenüber beweist der Standort Kundl, dass eine kostendeckende Produktion auch in Europa möglich ist. Von einer starken heimischen Produktion profitieren nicht zuletzt auch die österreichische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt. Allein durch die Vollinbetriebnahme der modernisierten Produktionsstätte in Kundl entstehen 60 zusätzliche Arbeitsplätze. "Es ist nicht nur ein Leitbetrieb für Forschung und Innovation, sondern ein Leitbetrieb für die Versorgungssicherheit", so Bundeskanzler Nehammer. Um eventuell auftretende Engpässe zu überbrücken, arbeitet die österreichische Bundesregierung laufend an Verbesserungen bei der Wirkstoffeinlagerung. "Insgesamt müssen Österreich und die Europäische Union noch krisenresilienter werden", betonte Bundeskanzler Karl Nehammer anlässlich seines Besuchs.
Interview
Thomas Czypionka, Wissenschaftler am Institut für Höhere Studien (IHS)
Was muss sich im Bereich der Gesundheits- und Arzneimittelversorgung in der Europäischen Union noch verbessern?
Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, müssen wir an einer Reihe von Bereichen ansetzen, vor allem bei Informationssystemen, dem Großhandel, bei Apotheken und der Industrie, sowie vorausschauende Strategien entwickeln.
Wie kann es der EU gelingen, Abhängigkeiten zu verringern und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?
Es wird nicht möglich sein, alle Arzneimittel in Europa zu produzieren. Wichtig wäre, die einzelnen Arzneigruppen zu betrachten und entsprechend ihrer Eigenschaften jeweils Lösungen zu finden. Das Spektrum reicht ja von weniger wichtigen und gut substituierbaren bis zu unverzichtbaren und ausschließlich aus einer Quelle kommenden.
Welche Rolle kann Österreich bei der Stärkung der "offenen strategischen Autonomie" der EU einnehmen?
Angesichts der Tatsache, dass sich die meisten Versorgungsengpässe auf nationaler Ebene nicht lösen lassen, sollte Österreich sein Know-how und seine Kontakte in einen europäischen Prozess einbringen, wie dies schon bei anderen Initiativen in dem Bereich (zum Beispiel bei der gemeinsamen Beschaffung) geschehen ist.
Rue de la Loi/Wetstraat, Europäischer Rat/Rat der EU. Gleich zu Beginn beeindruckt ist die Gruppe der österreichischen Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte vom architektonisch beachtlichen Europa-Gebäude, dessen Kernstück die "Laterne" genannt wird und das viele Sitzungsräume – darunter auch das Büro von Ratspräsident Charles Michel – beherbergt. Die Österreicherin Nicole Bayer, Direktorin in der Generaldirektion Kommunikation und Information, streckt ihre Hand den Gästen aus der Heimat weit entgegen: "Es ist Ihre Aufgabe, unter die Menschen zu bringen, wie die Dinge hier in Brüssel passieren, deshalb ist auch der Besuch so wichtig. Eine der Trainees hat einmal bei der Bewerbung für ein Praktikum geschrieben, sie möchte hier arbeiten, um die Magie und den Zauber des Rates zu erleben. Hier werden tagtäglich Entscheidungen getroffen, die jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger in Österreich, in der gesamten EU und teilweise auch außerhalb der EU betreffen. Es gilt die Faszination und Begeisterung für die Tätigkeit der EU mitzunehmen, sie auf Gemeinde-Ebene weiterzuvermitteln und vor Ort für Fragen zur Verfügung zu stehen. Die EU funktioniert, bringt Ergebnisse und macht großen Spaß!"
Vor allem möchte ich von dieser Reise Informationen mitnehmen, die ich meinen Gemeinde-Mitbürgerinnen und -Mitbürgern mitgeben kann – und ihnen ein bisschen mehr vermitteln, was die EU uns bringt.
Susanne Ramharter aus Ferlach, Kärnten
Ein Stück Österreich in Brüssel
Avenue de Cortenbergh/Kortenberglaan, Ständige Vertretung Österreichs bei der EU. Am ersten Tag in Brüssel öffnet zudem die Ständige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union den Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten die Tür des Hauses mit 180 Bediensteten. An der Ständigen Vertretung haben die Gemeinden auch eine direkte Ansprechpartnerin für ihre Anliegen. Daniela Fraiß, Leiterin des Büros des Österreichischen Gemeindebundes in Brüssel, erklärt: "Europa fängt nicht nur in der Gemeinde an, sondern hört auch dort auf, da es eine Fülle an Themen gibt, die sie umsetzen müssen, deren rechtliche Basis aber in Brüssel beschlossen wird. Das reicht von der Trinkwasserversorgung über das Abfallmanagement bis hin zur kommunalen Infrastruktur mit Schulen, Kindergärten oder dem öffentlichen Verkehr."
Ich freue mich, mit der Brüssel-Reise Kontakte in ganz Österreich zu knüpfen oder auch – wie in der Ständigen Vertretung Österreichs – viel Hintergrundwissen, viel Neues zu erfahren.
Michael Hinterleitner aus St. Peter am Wimberg, Oberösterreich
Ein Blick hinter die EU-Kulissen
Rue de la Loi/Wetstraat, Europäische Kommission. Am zweiten Tag spaziert die Gruppe zur Europäischen Kommission ins Charlemagne-Gebäude. Doris Mangold von der Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung stellt die 4 Fonds der EU-Kohäsionspolitik vor, die für politisch Verantwortliche auf regionaler und kommunaler Ebene von besonderer Relevanz sind: den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds sowie den Fonds für einen gerechten Übergang. Richard Kühnel, Direktor in der Generaldirektion Kommunikation, hat 2010 persönlich an der Entstehung der Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in Österreich mitgewirkt. Er freut sich, dass sich – dem österreichischen Vorbild folgend – mittlerweile ein europäisches Netzwerk in der ganzen EU etabliert hat. Das Highlight des Besuchs im Charlemagne-Gebäude ist jedoch das Zusammentreffen mit Kommissar Johannes Hahn, in der Europäischen Kommission für Haushalt und Verwaltung zuständig. Sein Wunsch an die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte: "Eine Debatte mittragen über die Rolle Europas in der Welt! Wichtig ist die Auseinandersetzung, was wir in der EU tun müssen, institutionell, politisch, organisatorisch und finanziell, um uns global zu behaupten. Das ist aus meiner Warte die Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte." Für Hahn zählen zu diesen Themen jedenfalls der "European Green Deal" als Wachstumsstrategie für Europa, die Migrationspolitik der EU sowie die Positionierung Europas angesichts der zahlreichen globalen Konflikte.
Austausch mit Europaministerin Edtstadler
Der Terminkalender macht es möglich, dass Europaministerin Karoline Edtstadler zu den "Abgesandten" aus Österreich stoßen kann; Gruppenfoto inklusive. Edtstadler nimmt am zeitgleich stattfindenden Rat "Allgemeine Angelegenheiten" teil, den regelmäßigen Tagungen der für EU-Angelegenheiten zuständigen Regierungsmitglieder der 27 EU-Staaten. Ein unglücklicher Umstand verhindert ein längeres Treffen – Auflösung folgt –, aber ein Gruppenfoto ist natürlich Ehrensache.
Die Europawahl im Fokus
Rue Wiertz/Wiertzstraat, Europäisches Parlament. 6 Monate vor der Europawahl (6. bis 9. Juni 2024) ist das Zusammentreffen mit österreichischen Mandatarinnen und Mandataren fast aller Fraktionen von besonderer Bedeutung. Der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, vergleicht dabei die Europäische Union mit einem vierblättrigen Kleeblatt. "Der Stängel sind die Bürgerinnen und Bürger. Ein Blatt steht für die Gemeinde, eines für die Region, eines für die Nation und das vierte Blatt für die Europäische Union. Die Bürgerinnen und Bürger halten diese 4 politischen Ebenen zusammen, da sie auf allen Ebenen wahlberechtigt sind und mitentscheiden können."
Spannende Einblicke in ihre Tätigkeit geben die EU-Abgeordneten Theresa Bielowski (SPÖ; S&D-Fraktion), Thomas Waitz (Die Grünen; Fraktion der Grünen), Angelika Winzig (ÖVP; Fraktion der EVP) sowie Georg Mayer (FPÖ; Fraktion Identität und Demokratie). Neben der Europawahl kommen auch der "Green Deal" und die EU-Klimaziele, die Regionalpolitik, Energiefragen, Asyl und Migration sowie wirtschaftliche Themen zur Sprache. Und wäre das Programm nicht schon ambitioniert genug, gibt es zum Abschluss der Reise dann auch noch ein wenig Aufregung. Ein Bahnstreik in Deutschland verunmöglicht der Gruppe die Heimfahrt mit dem Nachtzug nach Österreich. Was folgt: Umbuchungen auf Flug statt Bahn, Anspannung, ob alle auch Plätze bekommen, und ein verhinderter feierlicher Empfang mit der Europaministerin. Wird bei Gelegenheit nachgeholt!
Brüssel-Informationsreise für Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte
Die Reise der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte nach Brüssel (12. bis 15. November 2023) wurde von der Europäischen Kommission – Vertretung in Österreich und vom Europäischen Parlament – Verbindungsbüro in Österreich gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt und dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten organisiert. Im "Europäischen Jahr der Kompetenzen" 2023 lag der Fokus auf Mobilität, Aus- und Weiterbildung sowie Wissenserwerb.
Sie sind kleiner als 5 Millimeter, mit bloßem Auge oft gar nicht erkennbar und doch überall – kleinste Kunststoffpartikel. Der Schaden, den diese Partikel auslösen können, ist erheblich: In Mikroplastik sind schädliche Zusatzstoffe wie Weichmacher enthalten, die bei der Zersetzung in die Umgebung, also in das Wasser, in den Boden, in die Luft und letztlich – zum Beispiel in Lebensmitteln oder im Trinkwasser – in den menschlichen Körper, gelangen. Zudem können andere in der Umwelt vorhandene Schadstoffe an den Teilchen anhaften und sich in Organismen anreichern.
Von Kosmetik bis Kunstrasen
Einerseits kommt Mikroplastik ungewollt in die Umwelt: etwa beim Reifenabrieb auf den Straßen oder beim Waschen, wenn kleine Fasern synthetischer Textilien in das Abwasser gelangen. Manche Produkte werden aber bewusst mit Mikroplastik angereichert: Dazu zählen beispielsweise Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Kosmetika, Haushalts- und Industriewaschmittel sowie Farben. Kunststoffpartikel finden auch als weiches Füllmaterial auf Kunstrasenplätzen Einsatz. In Konsumgütern kommen Mikroplastikteilchen vor allem als Schleifmittel vor, etwa in Form von Mikroperlen in Peelings und Poliermitteln.
Interview
Sharon McGuinness, Exekutivdirektorin der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA)
Warum ist das Verbot von Mikroplastik ein umweltpolitischer Meilenstein?
Es handelt sich um eine Beschränkung mit enormen Auswirkungen auf die Umwelt. Sie soll die Freisetzung von 500.000 Tonnen Mikroplastik in unsere Umwelt innerhalb von 20 Jahren verhindern.
Was bedeutet die neue Verordnung konkret für die Bürgerinnen und Bürger?
Die neuen Vorschriften verbieten den Verkauf von Mikroplastik als solchem und von Produkten, die absichtlich zugesetztes Mikroplastik bei der Verwendung freisetzen. Die Bürgerinnen und Bürger werden also Produkte vorfinden, die sicherer für die Umwelt sind und kein Mikroplastik enthalten.
Seit einem Jahr stehen Sie an der Spitze der ECHA. Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für Sie persönlich?
Für mich zeigt die Entscheidung, wie intensiv wir alle, die an der Chemikaliengesetzgebung beteiligt sind, gemeinsam daran gearbeitet haben, unsere Umwelt zu schützen und sauberes Wasser zu gewährleisten. Und ich hoffe, dass dies der erste von vielen Versuchen ist, entschiedene Maßnahmen gegen ganze Gruppen von umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien zu ergreifen.
Zeit für Alternativen
Laut der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) setzt die Industrie allein in der EU diversen Produkten schätzungsweise 42.000 Tonnen Mikroplastik zu. Ein großer Teil davon landet letztlich in der Umwelt. Hier setzt die EU mit einer neuen Verordnung an: Seit 15. Oktober 2023 ist der Verkauf von Produkten wie losem Glitter oder Mikroperlen bereits untersagt. Für andere Güter wird das Verkaufsverbot erst ab einem späteren Zeitpunkt gelten. Damit gibt die EU den betroffenen Unternehmen und anderen Akteurinnen und Akteuren einige Jahre Zeit, um Alternativen zu entwickeln und auf diese schrittweise umzusteigen. Von den Vorschriften ausgenommen sind Produkte, die an Industriestandorten verwendet werden. Auch für Arzneien sowie Lebens- und Futtermittel gibt es bestimmte Ausnahmen.
Umfassende EU-Kunststoffstrategie
Die Bekämpfung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik ist ein wichtiger Baustein des "European Green Deal" der Kommission und des neuen europäischen Aktionsplans für Kreislaufwirtschaft. Die Beschränkung von Mikroplastik ist auch Teil der EU-Kunststoffstrategie, die auf einfacheres Trennen und Recycling von Kunststoffen abzielt. Die Vorschläge zu den konkreten Handlungsmaßnahmen wurden von der ECHA ausgearbeitet, die im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit im Auftrag der Kommission besonders bei bewusst zugesetztem Mikroplastik großen Handlungsbedarf ortete.
Meilenstein für den ökologischen Wandel
Die Einschränkungen für Mikroplastik tragen laut Thierry Breton, dem für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständigen EU-Kommissar, zum ökologischen Wandel in der europäischen Industrie bei. Denn durch die neue Regelung wird die Entwicklung von innovativen Produkten, die ohne schädliche Kunststoffpartikel auskommen, gefördert – und damit auch die Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit der EU gestärkt. Langfristig soll die neue Regelung allen zugutekommen: "Die EU-Bürgerinnen und -Bürger werden Zugang zu sichereren und nachhaltigeren Produkten erhalten", erklärt Breton.
Die ECHA: Im Einsatz für eine sichere Verwendung von Chemikalien
Die Europäische Chemikalienagentur (European Chemicals Agency, kurz ECHA) ist eine dezentrale Behörde der EU. Eine ihrer wesentlichen Aufgaben besteht darin, die EU-Chemikalienrechtsvorschriften in die Praxis umzusetzen, welche die menschliche Gesundheit sowie den Umweltschutz fördern und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken. Unter Berücksichtigung technischer, wissenschaftlicher und administrativer Aspekte regelt sie die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien innerhalb der EU. Der Standort der ECHA ist in Helsinki, sie zählt rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die EU ist mit großen Herausforderungen konfrontiert: Vom Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine über die Lage im Nahen Osten bis hin zu hybriden Konflikten wie weltweiten Cyber-Angriffen oder Desinformation. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Die rasanten Veränderungen und besorgniserregenden Trends, die wir in ganz Europa beobachten, rechtfertigen voll und ganz die im Strategischen Kompass vom März 2022 verankerten Leitlinien. Die klare und unmissverständliche Botschaft an die Europäische Union besteht darin, sich der Anforderungen voll bewusst zu sein, ein globaler Sicherheitsanbieter zu werden, und bereit zu sein, mit Partnern oder bei Bedarf auch allein, zur Unterstützung ihrer Interessen zu handeln. Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen! Sowohl die Europäische Union als auch die Mitgliedstaaten sind sich der Dringlichkeit bewusst, entschlossen zu handeln, wie die rasche und nachhaltige Unterstützung der Ukraine deutlich zeigt.
Wo sehen Sie das Potenzial und auch die (künftigen) notwendigen Schritte der Europäischen Union – gerade angesichts der Krisen, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft der EU abzeichnen?
Wir setzen die notwendigen Schritte, um das Ziel einer schnellen Eingreiftruppe der Europäischen Union zeitgerecht umzusetzen. Dabei geht es um die Anpassung der EU-Einsatzführungsstrukturen, die Überarbeitung unserer Einsatzszenarien (zum Beispiel in einer nicht feindfreien Umgebung) und um eine verbesserte Handlungsfähigkeit, insbesondere durch vorbereitete Module und Unterstützungselemente etwa im Sanitäts- und Transportbereich. Hinzu kommen ein neues Übungskonzept und die Entwicklung der erforderlichen militärischen Kapazitäten.
Sie wurden im Mai 2021 zum Vorsitzendenden des Militärausschusses der Europäischen Union gewählt. Welche wesentlichen Vorhaben konnten bisher umgesetzt werden und was ist in naher Zukunft geplant?
Als Vertreter der 27 Generalstabchefs ist es meine Aufgabe, unsere Expertise und Beratung für die verschiedenen im Kompass erfassten Arbeitsbereiche bereitzustellen. Ich möchte den engen Zusammenhang hervorheben, der zwischen den aktuellen operativen Bemühungen und der Vorbereitung auf künftige Verteidigungsbedürfnisse besteht. Das betrifft insbesondere den von der Europäischen Verteidigungsagentur geleiteten Plan zur Fähigkeitsentwicklung. Der ermittelte Bedarf und die gemachten Erfahrungen tragen dazu bei, unsere Planungen zu überarbeiten und bahnbrechende Initiativen wie den Europäischen Verteidigungsfonds voranzutreiben. Die militärische Wirklichkeit von morgen muss durch die Feststellung des militärischen Bedarfs mit der Entwicklung künftiger Fähigkeiten synchronisiert werden.
Zu Ihren Aufgaben zählt auch die Beratung des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, sowie des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees, aber auch die Planung und Durchführung von Militärmissionen und -operationen. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten in diesem Bereich?
Der Ausschuss ist das höchste militärische Gremium der EU und erteilt seine Militärischen Ratschläge einstimmig. Diese Ratschläge betreffen vorwiegend Einsätze und Fähigkeitsentwicklung. Insgesamt ist festzustellen, dass gerade nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine die Nachfrage nach militärischer Expertise und deren Bedeutung stark gewachsen sind. Der entscheidende Aspekt meiner Position ist aber genau der: die Fähigkeit, die Vielfalt der Interessen der Mitgliedstaaten zu verstehen und sie im Wege von Konsultationen, bei denen die militärisch-technischen Aspekte im Vordergrund stehen, auszugleichen.
Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Vertreter des neutralen Österreich in so eine hohe europäische militärische Funktion berufen wurde?
Österreich hat sich zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verpflichtet und hat sich an dieser in vollem Umfang aktiv zu beteiligen. Mit Artikel 23j der Bundesverfassung wurde eine besondere Rechtsgrundlage für die Mitwirkung an der GASP geschaffen, durch die Österreich an militärischen und polizeilichen Aktivitäten der EU ebenso wie an Wirtschaftssanktionen mitwirken kann. Als integraler Bestandteil der GASP ist die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu sehen. Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit außerhalb der Union, an der sich Österreich aktiv beteiligt. Österreich ist ein anerkannter Leistungsträger im Rahmen der GSVP, ist einer der stärksten Truppensteller, nimmt seit Jahren an GSVP-Missionen und Operationen teil, ist seit einigen Jahren aktiv beteiligt an der Bereitstellung von Gefechtsverbänden und wirkt an 7 der 68 Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit-Projekte (Permanent Structured Cooperation/PESCO) mit. Somit sehe ich meine Berufung als Vorsitzender des EU-Militärausschusses als nichts Ungewöhnliches.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten unterstützen die Ukraine auf politischer Ebene, aber auch mit finanziellen, militärischen und materiellen Ressourcen. Vor welchen Herausforderungen steht die EU, wenn es um die (künftige) Unterstützung auf militärischer Ebene geht?
Die EU unterstützt die Ukraine mit Entschlossenheit und pragmatischen Lösungen, insbesondere durch die gezielte Nutzung der Europäischen Friedensfazilität (EPF), die Lieferungen von Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung vergütet. Der Europäische Auswärtige Dienst machte den Vorschlag für einen speziellen Ukraine-Hilfsfonds mit EPF-Mitteln mit einer Gesamtobergrenze von 20 Milliarden (2024-2027) in jährlichen Tranchen von 5 Milliarden, um die Vorhersehbarkeit zu gewährleisten und eine ordnungsgemäße Beschaffungsplanung zu ermöglichen. Die EU hat zudem ein sehr weitreichendes Sanktionsregime gegen die russische Wirtschaft verhängt. Weiters prüft die EU bereits mögliche Maßnahmen, um die Ukraine auch noch "übermorgen" zu unterstützen. Der Europäische Auswärtige Dienst arbeitet an Optionen, die auf politischer Ebene von den Mitgliedstaaten erörtert werden sollen, und der EU-Militärausschuss steht bereit, diese Bemühungen durch militärische Expertise und Beratung zu unterstützen.
Sie waren als Kommandant des österreichischen Kontingents in Kosovo sowie als Kommandant der EUFOR-Truppe in Bosnien und Herzegowina tätig. Die österreichische Bundesregierung setzt sich seit Jahren für eine baldige Aufnahme der Westbalkan-Staaten in die EU ein. Welche Bedeutung hat die europäische Perspektive für diese Staaten?
Die EU bekennt sich klar und unmissverständlich dazu, die Westbalkan-Staaten in die Union zu integrieren. Als Militärs müssen wir die sicherheitspolitische Lage am Westbalkan unabhängig von anderen Krisen, die derzeit im Vordergrund stehen, aufmerksam verfolgen und als Teil des integrierten Ansatzes die militärische Absicherung und Unterstützung bereitstellen, damit sich diese Länder voll und ganz auf die Beitrittsperspektive konzentrieren und die dafür nötigen wirtschaftlichen und politischen Reformen umsetzen können.
Deutschland führte zuletzt die Diskussion, ob die von der ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel begründete und von Bundeskanzler Scholz bekräftigte Sicherheit Israels als Staatsräson letztlich auch den Einsatz deutscher Truppen im Nahen Osten bedeuten würde. Wie sehen Sie das für die EU?
Bevor wir über die "Entsendung von Truppen in den Nahen Osten" nachdenken, sollten wir bedenken, dass eine ganze Reihe von EU-Mitgliedstaaten bereits in der Region präsent ist, sei es unter UN-Flagge (UNIFIL im Libanon) oder in der "Koalition der Willigen" gegen den Islamischen Staat (IS) oder in der NATO-Trainingsmission im Irak. Das Wichtigste zuerst: Die EU muss entscheiden, was sie mit den verfügbaren Instrumenten und mit welchen Partnern erreichen möchte. Dieser Prozess ist im Entstehen, aber ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht, mit der Ausarbeitung noch nicht definierter Maßnahmen oder Optionen zu beginnen.
Sie können auf eine langjährige militärische Karriere im In- und Ausland zurückblicken. Gab es während dieser Zeit einen persönlichen "Europa-Moment", der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Etwas, das mir sicher in Erinnerung bleiben wird, ist meine derzeitige Funktion. Seit meinem Antritt konnte und kann ich nach wie vor die ständigen komplexen Herausforderungen der EU-Entwicklungen im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich beobachten und mitgestalten.
Robert Brieger
Der gebürtige Wiener begann seine militärische Laufbahn 1975. Von 1976 bis 1979 besuchte er die Militärakademie und wurde 1982 Kompaniekommandant im Panzerbataillon 33. Von 1985 bis 1988 absolvierte er die Generalstabsausbildung. Danach war er unter anderem in der Funktion als Stabschef der 9. Panzergrenadierbrigade in Götzendorf tätig. Er war 12 Jahre lang in verschiedenen Leitungsfunktionen im Verteidigungsministerium für die militärstrategische Führung sowie die Planung und Vorbereitung der Einsätze des Bundesheeres im In- und Ausland verantwortlich. Unter seiner Führung erfolgten die Planung und Vorbereitung für den Tschad-Einsatz 2008-2010. 2012 war er Kommandant der EU-geführten Operation "ALTHEA" in Bosnien und Herzegowina. Er war maßgeblich am Transformationsprozess des Österreichischen Bundesheeres sowie an der Ausarbeitung und Umsetzung der Streitkräfteplanung ÖBH 2010 beteiligt. Vor seiner Zeit als Generalstabschef diente er als Stabschef des Verteidigungsministers.
Das Jahr 2023 brachte viele Herausforderungen, sowohl auf globaler wie nationaler Ebene. Neben dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie der Eskalation des palästinensisch-israelischen Konflikts nach dem Terrorakt der Hamas in Israel drohen steigende Zahlen bei der illegalen Migration sowie Unsicherheiten auf den Energiemärkten. Um das bewältigen zu können, braucht Österreich starke Partner und verlässliche Allianzen – auch außerhalb der EU – sowie einen regelmäßigen Austausch mit anderen europäischen Spitzenpolitikerinnen und -politikern.
EU-Ebene: Strategische Fragen diskutieren
Beim Treffen einer Kleingruppe von EU-Staats- und -Regierungschefinnen und -chefs am 13. November 2023 in Berlin brachte Bundeskanzler Nehammer die Prioritäten Österreichs für die strategische Ausrichtung der EU ein. Der Fokus lag dabei auf einem Paradigmenwechsel im Bereich der Migration, auf der Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit sowie auf einem ehrlichen und fairen Ansatz für die Erweiterung der Union. Die EU solle sich eher auf die großen Aufgaben konzentrieren und sich bei kleineren Fragen zurücknehmen, sagte Nehammer: "Die EU muss wieder das werden, wofür sie gegründet wurde: Eine Wirtschaftsunion, die Frieden und Wohlstand auf dem Kontinent schafft und uns global wettbewerbsfähig macht."
Norwegen: Energieversorgungssicherheit garantieren
Bei seinem Arbeitsbesuch in Oslo Ende September standen für Bundeskanzler Nehammer vor allem energiepolitische Themen im Vordergrund, gehört doch Norwegen zu den größten Erdöl- und Erdgasexporteuren der Welt. Des Weiteren verfügt das Land über eine stabile politische und wirtschaftliche Verfassung sowie ein beträchtliches Ressourcenpotenzial – ein Faktor, der mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine noch bedeutender geworden ist. "Norwegen ist hier nicht nur Partner, sondern auch Vorreiter in Umwelt- und Energietechnologie", sagte Nehammer. Wichtig sei auch die Versorgungssicherheit, insbesondere eine größere Unabhängigkeit von russischem Gas. Zugleich nutzte der Bundeskanzler die Gelegenheit, sich bei dem skandinavischen Land zu bedanken, denn: "Norwegen war ein treuer und starker Freund für Österreich sowie die Europäische Union und hat in der Krise mit der Erhöhung der norwegischen Gasproduktion tatsächlich Abhilfe geschafft." So gehört Norwegen zu den Pionieren des sogenannten CCUS ("Carbon Capture, Use and Storage"), eines Prozesses, bei dem CO2 aus industriellen Abgasen sowie aus der Luft gewonnen und langfristig gespeichert wird. In Österreich und 8 weiteren EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, sind Speicherungen dieser Art untersagt. Doch in Anbetracht des Klimawandels werden in ganz Europa Stimmen lauter, das Verbot zu kippen: "Wir müssen beginnen, Verbote abzuschaffen, statt über neue Verbote zu reden. Denn nur durch Technologieoffenheit können wir Österreich und Europa stärker, besser und wettbewerbsfähiger machen", so der Bundeskanzler.
Türkei: Migration und Wirtschaft thematisieren
Beim Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara standen unter anderem migrations- und wirtschaftspolitische Themen im Mittelpunkt, wie Bundeskanzler Nehammer betonte: "Der Fokus unseres Besuches in der Türkei lag klar darauf, Migrationsrouten weiter zu schließen und Tore für die Wirtschaft weiter zu öffnen. In diesem Sinne wollen wir die Beziehungen mit der Türkei auf pragmatischem Weg stärken und unsere Zusammenarbeit durch offene, ehrliche und konstruktive Gespräche ausbauen. Wir brauchen eine engere Zusammenarbeit im Kampf gegen illegale Migration, um Schlepperei zu bekämpfen und Hilfe vor Ort zu leisten." Auch in wirtschaftlichen Fragen wurden große Fortschritte erzielt: Ein Wirtschaftsforum bot die Gelegenheit, sich mit dem türkischen Industrieminister Mehmet Fatih Kacır über aktuelle ökonomische Herausforderungen auszutauschen.
Israel: Solidarität zum Ausdruck bringen
Nach dem Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war es Bundeskanzler Karl Nehammer ein besonderes Anliegen, dem vom Terror erschütterten Land die Anteilnahme der österreichischen Bundesregierung auszusprechen und die Unterstützung unserer Republik für Israel persönlich zu bekräftigen. Zu diesem Zweck reiste der Bundeskanzler gemeinsam mit dem tschechischen Premierminister Petr Fiala nach Tel Aviv. Dort stand neben einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Jitzchak Herzog und dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu auch ein Gespräch mit der Familie einer österreichisch-israelischen Geisel, die von der palästinensischen Terrororganisation nach Gaza verschleppt wurde, auf der Agenda.
Österreichs Standpunkt sei klar, unterstrich der Bundeskanzler: "Wir stehen felsenfest an der Seite Israels, und die israelische Bevölkerung kann sich auf Österreich verlassen. Der brutale und barbarische Terrorangriff der Hamas auf Israel ist durch nichts zu rechtfertigen und diese klare Verurteilung wollten wir auch durch unseren Besuch ausdrücken." Die Reise fand kurz vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs Mitte Oktober in Brüssel statt, bei dem die Entwicklungen im Nahen Osten ebenfalls ausführlich thematisiert wurden. Bundeskanzler Nehammer betonte dabei einmal mehr die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit: "Der Terror der Hamas muss enden und dafür braucht es einen Schulterschluss aller Kräfte, um einen möglichen Flächenbrand zu verhindern. Dafür werden wir alle unseren Beitrag leisten."
Seit Beginn der Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte unter dem Motto "Europa fängt in der Gemeinde an" steht für Europaministerin Karoline Edtstadler das Anliegen im Vordergrund, die Europäische Union für Bürgerinnen und Bürger nicht nur verständlicher, sondern auch aktiv zugänglich zu machen. Mit Erfolg: Aktuell engagieren sich bereits über 1.600 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in ganz Österreich als wichtige Brückenbauerinnen und Brückenbauer zwischen ihren Gemeinden und der Europäischen Union.
Europa früh vermitteln
Ebenso wichtig ist es, die EU jungen Menschen – Österreichs Schülerinnen und Schülern – näherzubringen. Die Initiative "Schulklassen nach Brüssel" fördert Reisen von Schülerinnen- und Schülergruppen ab der 9. Schulstufe in die europäische "Hauptstadt" und hat bereits Hunderten von Jugendlichen einen Besuch bei den europäischen Institutionen ermöglicht. Vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen ist die Initiative seit ihrem Start im Jahr 2022 noch wichtiger geworden: "Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen, auch von großen Krisen. Diese können wir nur gemeinsam lösen. Gemeinsam heißt: innerhalb der Europäischen Union. Einer Gemeinschaft, die auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit setzt und uns Frieden, Freiheit und Sicherheit gewährt. Und diese Europäische Union müssen wir auch jungen Menschen vermitteln", so Europaministerin Karoline Edtstadler.
Initiative wird ausgebaut
Im Rahmen einer Pressekonferenz am Wiener Hauptbahnhof stellten Europaministerin Karoline Edtstadler, Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm und Eva Buzzi, Geschäftsführerin von ÖBB Rail Tours, Anfang Juli 2023 Neuerungen für die Zukunft der Initiative vor, die noch mehr Schülerinnen und Schülern ermöglichen sollen, Europa kennen und verstehen zu lernen. So wird das Budget 2023 von jährlich 125.000 Euro auf 200.000 Euro und im Jahr 2024 auf 250.000 Euro aufgestockt. Wichtige Partner sind hierbei die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU, deren Besuchs- und Informationsdienst bei der Programmgestaltung unterstützt, und die ÖBB, die eine umweltfreundliche Anreise mittels Nightjet ermöglichen. Gerade in Zeiten des verstärkten Klimaschutzes ein essenzieller Bestandteil der Initiative, wie auch Claudia Plakolm betont: "Ich bedanke mich bei den ÖBB für die gute Partnerschaft und Zusammenarbeit. Viele Organisationen und Menschen arbeiten hier zusammen, um der Jugend die Arbeit der europäischen Institutionen erlebbar und greifbar zu machen."
Wir leben in Zeiten großer Herausforderungen, auch von großen Krisen. Diese können wir nur gemeinsam lösen. Gemeinsam heißt: innerhalb der Europäischen Union.
Karoline Edtstadler, Europaministerin
Europa in der Schule
Ein weiteres Projekt, das österreichischen Schülerinnen und Schülern die Europäische Union hautnah vermittelt, bringt die EU direkt in die Klassenzimmer: Im Rahmen der Aktion „Europa an deiner Schule – Back to School“ besuchen Österreicherinnen und Österreicher mit beruflichem EU-Bezug im ganzen Land Schulen und erzählen von ihrem Werdegang und dem spannenden Arbeitsalltag in Brüssel. Neben aktiven EU-Bediensteten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union, der Bundesländerbüros und der europäischen Interessenvertretungen beteiligen sich auch ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EU-Institutionen sowie von der Bundesregierung entsandte Expertinnen und Experten an der Aktion. Das Projekt wurde 2009 vom Bundeskanzleramt in Kooperation mit der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union (Abteilung Bundeskanzleramt), dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, „Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule“ und der Europäischen Kommission ins Leben gerufen. Die Initiative sorgt auch 2023 für interessante Einblicke in die EU und bietet jungen Menschen in ganz Österreich die Gelegenheit, über aktuelle europäische Themen zu diskutieren.
Interview
Claudia Plakolm, Staatssekretärin für Jugend und Zivildienst
Welche Zielsetzungen verfolgt die Initiative "Schulklassen nach Brüssel"?
Die Arbeit der europäischen Institutionen soll sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Lehrlinge erlebbar sein. Daher haben wir gemeinsam mit den ÖBB eigene Reisepakete und Programme entwickelt, mit denen wir Lehrkräfte umfassend unterstützen möchten. Als stolze Mühlviertlerin und Europäerin bin ich froh, dass wir das mit unserer Initiative jungen Menschen ermöglichen.
Wie profitieren Jugendliche Ihrer Meinung nach vom Vor-Ort-Erleben der "EU-Hauptstadt"?
Die Europäische Union ist für junge Menschen so selbstverständlich wie das Handy in der Hosentasche und doch irgendwie nicht ganz greifbar. Vor Ort haben sie die Chance, brennende Fragen zu stellen, hinter die Kulissen zu blicken und zu sehen, wofür die Institutionen der EU zuständig sind – und wofür nicht.
Was bedeutet die Europäische Union für Sie persönlich?
Sie ist Teil meiner Identität. Die Europäische Union und die europäische Idee ermöglichen es uns Jungen, im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos zu lernen, zu arbeiten und zu leben.
Mit einem Landesüblichen Empfang startete am 22. Juni 2023 der 69. Österreichische Gemeindetag in Innsbruck. Die Schützenkompanie und die Bundesmusikkapelle Grinzens sowie Abordnungen weiterer Tiroler Traditionsverbände sorgten für einen stimmungsvollen Auftakt. Organisiert wurde die Tagung vom Österreichischen Gemeindebund gemeinsam mit dem Tiroler Gemeindeverband. An 2 Tagen diskutierten mehr als 2.000 Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter im Beisein von Repräsentantinnen und Repräsentanten der Bundespolitik unter dem Motto "Lokal. Regional. Europäisch. Gemeinden im Herzen Europas" kommunalpolitische Themen. Das Treffen bildete damit den passenden Rahmen für die Premiere der Tagung der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte. "Das zeigt, wie eng verzahnt diese beiden Ebenen, die europäische und die kommunale, sind", betonte Europaministerin Karoline Edtstadler in ihrer Rede vor den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
"Nahe an den Bürgerinnen und Bürgern"
Über 100 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte folgten der Einladung zum bisher größten Vernetzungstreffen. Europaministerin Edtstadler bedankte sich bei ihnen für ihre Arbeit: "Ihr macht die Europäische Union vor Ort erlebbar, spürbar und sichtbar." Und sie fuhr fort: "'Europa fängt in der Gemeinde an', so lautet der Leitspruch der Initiative seit ihrem Beginn. Denn die EU befindet sich nicht in Brüssel oder Straßburg, sondern dort, wo die Menschen leben und arbeiten. Genau dort setzt die Initiative an, nahe an den Bürgerinnen und Bürgern." Gerade in puncto Austausch und Vernetzung, Fortbildung und Unterstützung, etwa bei der Beantragung von EU-Fördergeldern, würden die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte wichtige Aufgaben übernehmen, sagte Karoline Edtstadler: "Euer Engagement ist Garant dafür, dass der europäische Gedanke aktiv gelebt wird – durch konkrete Projekte, durch persönliche Gespräche, kurz: durch euren Einsatz und Enthusiasmus!"
Das abwechslungsreiche Programm für die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte lieferte eine Menge Input: Exklusive Einblicke in das europäische Geschehen gab Peter Launsky-Tieffenthal, im Juni 2023 Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten im Außenministerium (BMEIA), in seiner Rede "Inside Europa". Wie notwendig eine bürgerinnen- und bürgernahe Kommunikation ist, betonten die Mitglieder des Europäischen Parlaments Theresa Bielowski, Barbara Thaler, Monika Vana und Angelika Winzig in ihren Statements und Impulsreferaten. Angesprochen wurden in diesem Zusammenhang unter anderem die Themen Digitalisierung, Verkehr, Landwirtschaft und Regionalentwicklung – wertvolle Inputs für die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte, die auch in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern thematisiert werden. Von 6. bis 9. Juni 2024 finden in allen EU-Mitgliedstaaten die Europawahlen statt, und die Europa Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erzielen.
Erfolgreiche Projekte als Inspiration
Wie die Umsetzung von EU-Projekten auf lokaler und regionaler Ebene gelingen kann, berichteten 4 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte aus unterschiedlichen Bundesländern. So präsentierte Gerda Schnetzer-Sutterlüty (Sulz, Vorarlberg) im Rahmen der Tagung ihr Buch "Briefe an Angelika Kauffmann – Zeilen in die europäische Vergangenheit". Die Schreiben verschiedener Menschen in die Vergangenheit wurden von der Herausgeberin um eigene Gedanken zur Gegenwart ergänzt und spannen so den Bogen in das heutige, geeinte Europa. Robert Hirsch (Arnfels, Steiermark) stellte seine Projekte "Café Europa", "EU-Familienradwandertag" und die "EU-Damenfreundschaft" vor. Letztere ist eine Art grenzüberschreitender Stammtisch, bei dem Frauen aus Österreich und Slowenien miteinander in Kontakt treten. Die Bernsteiner Bürgermeisterin Renate Habetler (Burgenland) berichtete, wie sich die Vorteile der Europäischen Union in den Fokus rücken lassen, etwa EU-Fördermittel, mit denen eine Reihe von Projekten im Burgenland realisiert werden konnte. Felix Hell (Telfs, Tirol) unterstrich ebenfalls die Bedeutung von EU-Mitteln für die Umsetzung diverser Projekte, etwa im schulischen Bereich durch Comenius (Erasmus+) oder im Rahmen des Vereins Regionalmanagement Innsbruck Land (LEADER – Programm für die Entwicklung des ländlichen Raums). Einen Überblick über die Entstehung der Initiative im Jahr 2010 gab Richard Kühnel, "Direktor für die Vertretung und Kommunikation in Mitgliedstaaten" in der Europäischen Kommission. Zudem ging er auf ihre zukünftige Entwicklung ein. Denn Österreich hat Vorbildwirkung: Die Initiative wird, anhand der heimischen Erfolgsgeschichte und unter dem Leitspruch "Europa fängt in der Gemeinde an", aktuell auch in anderen EU-Mitgliedstaaten ausgerollt. Das deklarierte Ziel ist auch dort, eine kommunikative Brücke zwischen den Anliegen der Menschen auf lokaler und regionaler Ebene und den europäischen Institutionen aufzubauen.
Einen stärkeren EU-Außengrenzschutz schaffen und illegale Migration effizient bekämpfen: Dies sind wesentliche Zielsetzungen, auf die sich die EU Innenministerinnen und -minister am 8. Juni 2023 im Rat der EU mehrheitlich geeinigt haben. Die Übereinkunft stellt die Basis für Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament dar.
Bundeskanzler Nehammer: Maßnahmen "längst überfällig"
Bundeskanzler Karl Nehammer bezeichnete die Einigung der EUInnenministerinnen und -minister als "längst überfällig". Denn: "Verpflichtende Asylverfahren an der EU-Außengrenze sind ein erster wichtiger Schritt. Damit wird eine Forderung Österreichs umgesetzt, für die wir auf allen Ebenen gekämpft haben." Innenminister Gerhard Karner betonte: "Allein im vergangenen Jahr sind zumindest 2.500 Migrantinnen und Migranten im Meer ertrunken. Das zeigt dramatisch, dass das derzeitige Asyl-System auf EU-Ebene nicht funktioniert."
Bekämpfung von Missbrauch und Sekundärmigration
Die Einigung vom 8. Juni 2023 betrifft 2 Rechtsakte und zielt unter anderem darauf ab, den EU-Außengrenzschutz effizienter zu gestalten. Durch Verfahren direkt an der EU-Außengrenze soll rasch festgestellt werden können, ob Anträge unbegründet oder unzulässig sind. Die Höchstdauer des Asyl- und Rückkehrverfahrens an der Grenze sollte bei maximal 6 Monaten liegen. Mit der Asylverfahrensverordnung wird in der gesamten EU ein gemeinsames Verfahren eingeführt, das die Mitgliedstaaten einhalten müssen, wenn Personen um internationalen Schutz ansuchen. Sie strafft die Verfahrensmodalitäten (zum Beispiel die Dauer des Verfahrens) und soll einen Missbrauch des Systems verhindern, da für Antragstellerinnen und Antragsteller klare Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit den Behörden während des gesamten Verfahrens festgelegt werden. Die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement enthält Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch durch Asylwerberinnen und Asylwerber sowie zur Vermeidung von Sekundärmigration (wenn eine Migrantin, ein Migrant das Land verlässt, in dem sie, er zuerst angekommen ist, um woanders Schutz zu suchen oder eine dauerhafte Neuansiedlung zu erreichen). Die Verordnung sieht beispielsweise vor, dass Asylwerberinnen und Asylwerber im Mitgliedstaat der ersten Einreise oder des rechtmäßigen Aufenthalts einen Antrag stellen müssen. Sekundärbewegungen sollen somit verhindert werden.
Zusammenarbeit mit Drittstaaten essenziell
Österreich und die EU setzen zudem auf die verstärkte Kooperation mit wesentlichen Herkunfts- und Transitländern. So hat die EU am 16. Juli 2023 eine Absichtserklärung ("Memorandum of Understanding") mit Tunesien geschlossen; weitere Abkommen sollen laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen folgen. In 5 Säulen, unter anderem bei Bildung, Handel und erneuerbaren Energien, soll intensiver kooperiert werden; vor allem in der Bekämpfung der irregulären Migration. Im Gegenzug stellt die EU Investitionen in Millionenhöhe und legale Einwanderungsmöglichkeiten in Aussicht. Eine ähnliche Vereinbarung hat Bundeskanzler Karl Nehammer im Zuge seiner Reise bereits im Februar 2023 mit dem Premierminister des Königreichs Marokko geschlossen: Eine "Joint Declaration" ermöglicht einerseits die Rückübernahme vor allem straffällig gewordener Marokkanerinnen und Marokkaner aus Österreich, erlaubt aber andererseits einen geordneten Zuzug in den Arbeitsmarkt Österreichs.
Österreich als Tempomacher auf EU-Ebene
Die österreichische Bundesregierung tritt seit Monaten für Fortschritte im Bereich Migration und Asyl ein: Am 9. Februar 2023 kamen die EU-Staats- und -Regierungschefinnen und -chefs insbesondere auf Drängen Österreichs zu einem Sondertreffen zusammen, um über das Thema auf höchster Ebene zu beraten. Vereinbart wurden die finanzielle Unterstützung für den EU-Außengrenzschutz, ein Pilotprojekt im Bereich Außengrenzverfahren – zu diesem Zweck hatte Bundeskanzler Nehammer bereits bei einem bilateralen Besuch mit Bulgarien ein Projekt lanciert – und Registrierung von Migrantinnen und Migranten sowie eine effektive und einheitliche Rückführungspolitik. Die geballte Kraft der Wirtschaftsmacht der EU sollte eingesetzt werden, um mit den Herkunftsstaaten besser zusammenzuarbeiten, aber auch um den Visa-Hebel effektiv umzusetzen, sollten diese Länder bei den Rückführungen nicht kooperieren. Auch beim Europäischen Rat am 29. und 30. Juni 2023 standen diese Fragen ganz oben auf der Agenda. In den Schlussfolgerungen von Ratspräsident Charles Michel wird Migration als "europäische Herausforderung, die eine europäische Antwort erfordert", bezeichnet. Auch beim dritten Migrationsgipfel mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić am 7. Juli 2023 in Wien stand die Kooperation der 3 Länder im Kampf gegen irreguläre Migration im Mittelpunkt. Es sei gelungen, auf EU-Ebene für ein erhöhtes Problembewusstsein zu sorgen, und die gesetzten Maßnahmen würden Wirkung zeigen, betonte Nehammer. So habe die Rücknahme der Visaliberalisierung gegenüber Indien und Tunesien seitens Serbien zu einem deutlichen Rückgang der Asylantragszahlen in Österreich geführt. Ungarn müsse verstärkt zu einem "Sicherheitspartner" beim Thema Migration werden, so Nehammer, der zugleich dafür plädierte, die Westbalkan-Staaten enger einzubinden.
Maßnahmen wichtig für Vertrauen in die EU
Für die Zukunft der EU sei es von großer Bedeutung, dass man mit konkreten, glaubwürdigen Maßnahmen agiere, betonte Bundeskanzler Nehammer: "Denn nur, wenn wir einen glaubhaften Außengrenzschutz sowie schnelle Asylverfahren haben und für Ordnung und Sicherheit innerhalb der Europäischen Union sorgen können, gewinnen wir das Vertrauen der Menschen in das europäische Projekt."
Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie mit der "Agenda 2025" angekündigt, die europäische Raumfahrt dynamischer, robuster und autonomer machen zu wollen. Welche Schritte sind bislang gelungen?
Wir haben die Kooperation mit der Europäischen Union auf ein neues Fundament gestellt und innerhalb von 4 Monaten nach meinem Amtsantritt das Partnerschaftsabkommen mit der EU unterzeichnet, wobei der ESA mehr als 9 Milliarden Euro zur Implementierung des globalen Satellitennavigationssystems "Copernicus" und des Erdbeobachtungssystems "Galileo" übertragen werden. Um die Kommerzialisierung des Weltraums in Europa voranzutreiben, habe ich ein Direktorat geschaffen, das mit seinen emporstrebenden Start-ups die Weltraumwirtschaft unterstützt. Dabei habe ich mit meinem Team Verträge mit Risikogeldgebern abgeschlossen, um unsere europäische Industrie mit externen Finanzierungsquellen zu unterstützen. In diesem Jahr konzentrieren wir uns auf die Modernisierung der ESA. Wir haben Prozesse implementiert, um die Dauer der Vertragsabwicklung mit externen Industriepartnern zu halbieren. Sie können sich vorstellen, dass die Transformation der ESA, in der etwa 5.500 höchst talentierte Expertinnen und Experten arbeiten, ein tiefgreifendes Unterfangen ist.
Der Weltraum wandelt sich immer mehr zu einem Wirtschaftsraum mit enormen Zukunftschancen. Welche Schritte unternimmt die ESA, um Europas wirtschaftliche – und damit geostrategische – Rolle zu stärken?
Der Weltraum hat ein riesiges ökonomisches Potenzial. Der Markt könnte bis Ende der 2030er Jahre von 360 Milliarden auf eine Billion Dollar anwachsen. Davon muss sich Europa einen Teil sichern. Und wir haben die erforderlichen "Zutaten": Wissenschaftliche und technische Exzellenz, bestens ausgebildete und hochmotivierte Fachkräfte sowie Erfahrung im Management von komplexen Weltraumprojekten. Im Umgang mit neuen Technologien und Trends können wir noch besser werden. Das gilt auch für die Förderung innovativer Unternehmen. Schlussendlich braucht es aber auch hier substanzielle und langfristige politische Unterstützung.
Die ESA hat die Ziele des "European Green Deal" in ihre "Agenda 2025" integriert. Worin bestehen die Herausforderungen?
Das ist ein Themenkomplex, der uns sehr am Herzen liegt. Es gibt eine Reihe einschlägiger Missionen und Projekte der ESA, etwa die Initiative zum Klimawandel oder die CO2-Beobachtungsmission, die wir im Rahmen des "Copernicus"-Programms entwickeln. Einer unserer sogenannten Akzeleratoren trägt den Titel "Space for a Green Future". Dabei geht es darum, die Akteurinnen und Akteure und Nutzanwendungen des Weltraums synergetisch und effektiv zusammenzubringen. Denn die Zersplitterung der Szene mit vielen Handelnden, Vorhaben und Bestrebungen ist eine Herausforderung. Da gilt es, Kohärenz herzustellen. Das Zauberwort lautet Partnerschaft. Immer mit dem übergeordneten Ziel im Blick: das Wohl unseres Planeten sowie seiner Bewohnerinnen und Bewohner. In der ESA haben wir festgelegt, dass wir den CO2-Ausstoß unserer Aktivitäten bis 2023 um 46 Prozent verringern wollen. Wir animieren auch unsere Weltraumindustrie, sich an nachhaltiger Produktion zu beteiligen.
Die Raumfahrt hat sich als Instrument globaler, nationenübergreifender Zusammenarbeit erwiesen – gerade in Krisenzeiten. Welche Aspekte des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine wirken sich auf die ESA aus?
Die Raumfahrt war bei aller Konkurrenz immer ein Politikfeld des Dialogs. Umso bedauerlicher ist, dass wesentliche Teile des Dialogs und der Kooperation jetzt aufgrund des Angriffskrieges Russlands entfallen. Europa nutzt die russische Sojus-Rakete nicht mehr, die zuvor ein fester Bestandteil des europäischen Zugangs zum All war. Auch das Programm "ExoMars" zur Erforschung des Roten Planeten musste ohne russische Beteiligung neu konfiguriert werden. Lediglich im Rahmen der Internationalen Raumstation (ISS) kooperieren wir weiter mit Russland, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten.
Über 120 österreichische Unternehmen sind im Raumfahrtsektor tätig. In welchen Bereichen kann Österreich punkten?
Österreich verfügt über hervorragendes Know-how im Weltraum – nicht nur industriell, sondern auch akademisch und institutionell. Österreich spielt auf den Gebieten von Antriebssystemen, Navigationsempfängern oder Quantenschlüsselverteilung weltweit vorne mit. Eine wichtige Rolle hat Österreich auch im Akzelerator "Space for a Green Future" durch Demonstratoraktivitäten bei den "Green Transition Information Factories". Das ist eine cloudbasierte Umgebung, welche die Herausforderungen und Chancen des Übergangs zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft illustriert. Österreich sollte auch weiterhin seine Exzellenz in ausgewählten zukunftsträchtigen Themenfeldern behalten und ausbauen. Politische Unterstützung ist dabei unabdingbar.
Inwiefern profitieren die Bürgerinnen und Bürger von Raumfahrttätigkeiten und -anwendungen?
Telefonie, Internet und Fernsehen wären ohne Satelliten heute nicht vorstellbar, ebenso wenig wie Navigation und präzise Wettervorhersagen. Satelliten erkennen aber auch frühzeitig Brände, geben Orientierung bei Naturkatastrophen, ermöglichen Rettungseinsätze und spüren Umweltverschmutzung auf. Selbst unsere Stromversorgung und Finanztransaktionen sind auf Satellitensignale angewiesen. Unser moderner Lebensstil wäre ohne Weltraumnutzung unmöglich.
Franz Viehböck war der erste und bis dato einzige Österreicher im Weltraum. Wann könnte es wieder so weit sein?
Vielleicht schon sehr bald. Ich habe Ende letzten Jahres nach einem überaus anspruchsvollen Auswahlverfahren eine neue Astronautinnen- und Astronauten-Klasse vorgestellt. Mit dabei ist eine junge Österreicherin, Carmen Possnig. Der Himmel steht ihr buchstäblich offen, denn sie könnte als erste Österreicherin ins All reisen.
Was hat Ihre Begeisterung für die Raumfahrt geweckt? Gibt es einen persönlichen europäischen "Raumfahrt- Moment" für Sie?
Für meine persönliche Raumfahrtbegeisterung war ganz klar die Landung des ersten Menschen auf dem Mond entscheidend. Mich beeindruckt die Kontinuität, mit der in der Erforschung des Weltraums Spitzenleistungen erbracht werden. Allein in diesem Jahr hat die ESA 2 faszinierende Wissenschaftsmissionen gestartet: JUICE zur Erkundung von Jupitermonden und EUCLID zur Erforschung von dunkler Materie und dunkler Energie. Und auch international sind wir ein unerlässlicher Partner. Astronautenstarts sind natürlich Höhepunkte, die ich besonders genieße, da sie die Faszination Weltraum versinnbildlichen.
Josef Aschbacher
Der gebürtige Tiroler Josef Aschbacher studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck. In der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) startete er mit einem Traineeprogramm, ab 1990 arbeitete er am Europäischen Weltraumforschungsinstitut (ESRIN) in Italien. Nach Stationen am Asian Institute of Technology in Bangkok und am Joint Research Centre der EU in Italien – dort wirkte er an der Entwicklung des bekannten EU-Erdbeobachtungsprogramms "Copernicus" mit – erfolgte 2001 ein Wechsel ins ESA-Hauptquartier in Paris. Von 2016 bis 2021 leitete er dann ESRIN. Seit März 2021 fungiert Josef Aschbacher als Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation.
Die EU in den Vordergrund rücken und sichtbar machen, anhand konkreter Projekte und Initiativen: Das ist die Zielsetzung des Europa-Staatspreises, der im Rahmen einer Europa-Gala am Europatag, dem 9. Mai 2023, in 5 Kategorien verliehen wurde. Zur Veranstaltung in den Wiener Sofiensälen konnte Europaministerin Karoline Edtstadler zahlreiche Ehrengäste aus Kunst, Wirtschaft, Diplomatie, Politik und Medien begrüßen, allen voran Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Durch die Veranstaltung führte als Moderator Roland Adrowitzer, der ehemalige Leiter des ORF-Korrespondentenbüros in Brüssel. Die musikalische Umrahmung gestaltete ein Streichquartett des European Union Youth Orchestra. Gastgeberin Karoline Edtstadler nahm einleitend Bezug auf den Europatag und dessen Bedeutung: "Die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 bildete den Grundstein für unsere Europäische Union. Die damalige Vision der europäischen Integration und der friedlichen Zusammenarbeit könnte heute, angesichts immenser Herausforderungen für unseren Kontinent, aktueller nicht sein." In seiner Festrede betonte der Bundespräsident: "Was uns Sicherheit gibt, ist das solide Fundament der europäischen Grundwerte, auf dem wir stehen: Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit und die Würde des Menschen." Anschließend wandte sich Van der Bellen direkt an die Nominierten sowie die Preisträgerinnen und Preisträger: "Wir brauchen ganz dringend solche Ideengeber wie Sie! Wir brauchen ganz dringend jene schöpferische Energie, mit der Sie ans Werk gehen. Sie stimmen mich zuversichtlich!" Auch Europaministerin Edtstadler würdigte dieses große europäische Engagement: "Ob in Schulen und Bildungseinrichtungen, in Österreichs Gemeinden und Regionen, bei grenzüberschreitenden Vorhaben oder in Form von Medienbeiträgen oder Kunstprojekten: Das Motto der EU – 'In Vielfalt geeint' – spiegelt sich in all diesen Projekten und Initiativen auf beeindruckende Art und Weise wider."
Der Europa-Staatspreis 2023: 5 Kategorien und über 90 Einrichtungen
Der Europa-Staatspreis 2023 würdigte die innovativsten Projekte in 5 verschiedenen Kategorien: "Europa in der Gemeinde", "Europa in der Bildung", "Europa in Kunst & Kultur", "Grenzenloses Europa" sowie "Europa erklären". Bis April 2023 waren über 90 Einreichungen im Bundeskanzleramt eingetroffen, die von 5 kategoriespezifischen Jurys bewertet wurden. Ins Finale – und damit zu einer Europa-Staatspreis-Nominierung – schafften es 18 Projekte; 5 davon konnten sich schließlich über die Auszeichnung freuen.
Kategorie "Europa in der Gemeinde"
"Digitale und europäische Kompetenzen in Großsteinbach" (Diana und Christian Groß in Kooperation mit der Gemeinde Großsteinbach)
Kinder und Jugendliche fit für die digitale Welt von morgen und fit für Europa machen – das war die gemeinsame Zielsetzung mehrerer Bildungseinrichtungen in der steirischen Gemeinde Großsteinbach. Vom Kindergarten bis zur Mittelschule wurde spielerisch digitales Wissen vermittelt und gleichzeitig das EU-Know-how ausgebaut, während Lehrkräfte im Rahmen von Job Shadowings Erfahrungen in anderen EU-Staaten sammeln konnten. "Uns ging es darum, mit unseren Pädagoginnen und Pädagogen durch das Kennenlernen anderer europäischer Bildungseinrichtungen neues Wissen in die Gemeinde zu bringen und die Kinder dann mit diesem Wissen nicht nur für digitale Inhalte, sondern auch für europäische Inhalte zu begeistern", sagte Christian Groß, der den Preis entgegennahm.
Kategorie "Europa in Kunst & Kultur"
"StoryTelling:Europe!" (Brunnenpassage & Das Projektteam"
Die Brunnenpassage initiierte mit "StoryTelling:Europe!" 2022 ein Kunstprojekt, das transmedial und generationsübergreifend ein solidarisches und vielfältiges Europa am Beispiel des Wiener Brunnenmarktes darstellen sollte. Die Ausstellung "A’Wiener Karavanserei" und die mit Kindern sowie Marktstandlerinnen und Marktstandlern ko-kreierten "StoryWalks" legten den Fokus auf konkrete, persönliche Geschichten vom Brunnenmarkt, etwa in Form von Video-Porträts, Führungen, Hörstationen sowie einer Präsentation im Volkskundemuseum Wien. "Wir sind überglücklich über den Gewinn des Europa-Staatspreises, der uns sehr in unserer Arbeit bestätigt. Wir haben mit diesem Projekt sehr vielschichtig im Mikrokosmos des Brunnenmarktes mit dem Abbild Europas gearbeitet", so die Kuratorin der Brunnenpassage, Fariba Mosleh, die gemeinsam mit ihrem Projektteam, darunter Natalia Hecht, Asma Aiad und Melika Ramić, den Preis entgegennahm.
Kategorie "Europa in der Bildung"
"Citizen Advice Project" (Stephan Schweighofer)
Ausgangspunkt für das in mehreren Bundesländern umgesetzte Projekt waren Überlegungen, wie die EU für Schülerinnen und Schüler greif- und erfahrbar werden kann. Mittels Workshops und der Design-Thinking-Methode setzten sich die Jugendlichen mit Themen wie europäischen Werten, ihrer Identität als EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sowie Partizipation auseinander. "Unsere Schülerinnen und Schüler haben in unserem Projekt Empfehlungen für eine ideale europäische Bürgerschaft erarbeitet und diese Empfehlungen in weiterer Folge noch einmal wissenschaftlich auf Werte und Wertvorstellungen analysiert", erklärte der Projektverantwortliche Stephan Schweighofer. Abschließend konnten die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler ihre Ideen mit Politikerinnen und Politikern, Diplomatinnen und Diplomaten, Expertinnen und Experten sowie Studierenden in gemeinsamen Runden, in sogenannten Fireside Chats, diskutieren.
Kategorie "Grenzenloses Europa"
"#EUROPAgegenCovid19" (Das Team von #EUROPAgegenCovid19)
Was kann der Verbreitung von Falschinformationen erfolgreich entgegengesetzt werden? Seit März 2020 hat sich "#EUROPAgegenCovid19" als gemeinnützige europäische Non-Profit-Initiative – getragen von zahlreichen Partner-Organisationen – für die faktenbasierte Bearbeitung von Aspekten rund um die Covid-19-Pandemie eingesetzt. Diverse Online-Formate wie Podcasts oder Webinare kamen zum Einsatz, um per Infotainment vor allem meinungsbildende Gruppen wie Jugendliche zu erreichen. "Es war und ist uns ein großes Anliegen, dass wir mit faktenbasierter Wissens- und Wissenschaftskommunikation Aufklärung über Europa und gegen Fake News, Verschwörungstheorien und antidemokratische Kommunikationsmaßnahmen leisten können", unterstrich Nana Walzer, die den Preis zusammen mit Daniel Gerer im Namen des Teams entgegennahm, noch einmal die Mission des Projekts.
Kategorie "Europa erklären"
"EU bist auch DU" (EUROPE DIRECT Kärnten)
Ein Workshop der besonderen Art mit dem Titel "EU bist auch DU" zielte im Juni 2022 im Haus "PRO Ausblick" der Diakonie De La Tour in Kärnten darauf ab, einer Gruppe von Jugendlichen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen ein authentisches, aufklärendes Bild von Europa und der EU zu vermitteln. Die jungen Menschen näherten sich in kreativer Gruppenarbeit, unter Verwendung von Holzpuzzles und anderen Materialien, Themen wie gesunden Lebensmitteln und den Vorteilen der friedlichen Zusammenarbeit in Europa an. Die beiden in Kooperation mit dem Landesjugendreferat Kärnten umgesetzten Workshop-Tage gelten als Pilotprojekt und wurden von der Fachhochschule Kärnten wissenschaftlich begleitet. Ein Ansatz, den sich Projektleiter Marc Germeshausen auch außerhalb Kärntens vorstellen kann: "Für uns ist es wichtig, Europa leicht und niederschwellig erklären zu können. Den Europa-Staatspreis zu erhalten ist eine große Ehre und wir glauben, dass dieses Projekt auch in den übrigen Bundesländern ein Erfolg wäre."
Es ist – gemessen am Durchschnittsalter der Bevölkerung – der "jüngste" Kontinent und der sowohl nach Ausdehnung als auch nach Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner zweitgrößte Erdteil. Afrika ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, eröffnet jedoch auch eine Vielzahl von Möglichkeiten für Österreich und die EU. Von der enormen Dynamik konnte sich Bundeskanzler Karl Nehammer im Rahmen einer Arbeitsreise überzeugen, die ihn – begleitet von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und einer Wirtschaftsdelegation – von 24. bis 27. April 2023 nach Angola, Ghana und Ägypten führte.
Perspektiven für den "Kontinent der Zukunft"
"Sicherheit und Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent sind im beiderseitigen Interesse – für Afrika und Europa", hatte der Bundeskanzler im Vorfeld betont. Denn Perspektiven für die Menschen vor Ort würden dazu beitragen, Fluchtursachen zu bekämpfen und irregulärer Migration sowie damit verbundenen kriminellen Geschäftsmodellen entgegenzuwirken. Insbesondere der Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung – als in vielen afrikanischen Ländern wichtigsten Wirtschaftssektoren – komme eine Schlüsselrolle zu. Daher sei auch der Ausbau der ökonomischen Zusammenarbeit eine "Win-win-Situation für Afrika und Europa", so Nehammer über die Beziehungen zu dem "Kontinent der Zukunft".
Angola: Wirtschaftsbeziehungen ausbauen
Nach seinem Arbeitstreffen mit dem angolanischen Präsidenten João Lourenço in der Hauptstadt Luanda, der ersten Station der Reise, unterstrich Österreichs Regierungschef, dass man eine "Zusammenarbeit auf Augenhöhe, getragen von Wertschätzung", anstrebe. "Bei unseren Gesprächen ging es darum, Brücken zu bauen. Das geschieht auch wortwörtlich durch ein Unternehmen, das in Angola bereits mehr als 80 Brücken errichtet hat. Zudem hat das Land sehr gute Voraussetzungen zur Produktion von 'grünem' Wasserstoff", erläuterte Nehammer. Österreich beteiligt sich außerdem über die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) finanziell am "Zentrum für erneuerbare Energien und Energieeffizienz für Zentralafrika" (CEEREAC).
Ghana: Hilfe vor Ort leisten
In der Hauptstadt Ghanas, Accra, traf Bundeskanzler Karl Nehammer Präsident Nana Akufo-Addo zu einem Arbeitsgespräch, in dessen Rahmen er die Eröffnung einer Botschaft in Ghana ankündigte. Weitere Themen auf der Agenda waren die Stärkung der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit sowie die landwirtschaftliche Entwicklung in dem westafrikanischen Land. "Hilfe vor Ort ist für Österreich keine leere Worthülse", so Nehammer mit Verweis auf Mittel in Höhe von 7,5 Millionen Euro aus dem Sondertopf für internationale Nahrungsmittelhilfe für das "World Food Programme" (WFP) in Afrika. Der österreichische Regierungschef besuchte zudem die "Ghana National Dog Academy" und das "Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre"; beide Institutionen kooperieren mit dem Österreichischen Bundesheer.
Ägypten: Asyl und Migration trennen
Beim Treffen mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi standen die Themen Wirtschaft, Migration und Sicherheit im Fokus. "Für Europa ist es wichtig, Asyl und Migration zu trennen", unterstrich Nehammer. Mit Indien konnte Österreich im Mai 2023 ein Abkommen über eine umfassende Migrations- und Mobilitätspartnerschaft unterzeichnen, das einerseits auf rasche und effiziente Rückführungen abzielt, andererseits legale und geregelte Zuwanderung ermöglichen soll. Eine ähnliche Vereinbarung sei auch mit Ägypten erstrebenswert, so der Bundeskanzler. Österreich könnte vom großen Arbeitskräftepotenzial – nach Nigeria und Äthiopien ist Ägypten das bevölkerungsreichste Land in Afrika – profitieren. Im Rahmen eines bilateralen Wirtschaftsforums unterzeichneten die österreichischen Unternehmen Voestalpine Railway Systems GmbH und Plasser & Theurer Verträge mit den Ägyptischen Eisenbahnen (Egyptian National Railways). Gute Aussichten und konkrete Chancen für heimische Firmen sind bei der Realisierung von Infrastruktur- und Verkehrsprojekten zu orten, etwa beim Bau einer neuen Hauptstadt östlich von Kairo oder bei der Erweiterung des Suezkanals. Großes Potenzial stellt zudem die Produktion von "grünem" Wasserstoff dar – in den Worten des Bundeskanzlers "eine Zukunftsfrage für die Energieversorgung".
Afrika-Strategie der Bundesregierung
Der außenpolitische Schwerpunkt wird in den nächsten Monaten weiter vertieft: So wird eine Afrika-Strategie der Bundesregierung der Zusammenarbeit in wichtigen Zukunftsbereichen wie Energie oder Sicherheit einen klaren Rahmen geben; im Fokus steht eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Ein Afrika-Beauftragter der Bundesregierung soll die umfassende Vernetzung und Koordinierung sicherstellen.
Wie würden Sie den Aufgabenbereich der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte beschreiben?
Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) ist das unabhängige Referenz- und Kompetenzzentrum für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte in der EU. Wir bieten unabhängige, faktengestützte Analysen und Beratung für die Politik sowie Entscheidungsträgerinnen und -träger. Zu diesem Zweck führt die Agentur beispielsweise umfangreiche Erhebungen zu Themen wie Antisemitismus und Gewalt gegen Frauen durch. Unsere Daten bilden unter anderem die Grundlage für den EU-Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, und wir sind auch vor Ort aktiv, um Regierungen in der gesamten EU bei der Wahrung der Menschenrechte zu unterstützen.
Die EU fußt auf gemeinsamen Werten wie Achtung der Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit. Wie profitieren aus Ihrer Sicht die EU-Bürgerinnen und -Bürger konkret davon?
Wir alle haben die gleichen Rechte, unabhängig von unserer Hautfarbe, unserem Glauben oder unserer sexuellen Orientierung. Aber in Wirklichkeit haben wir noch einen langen Weg vor uns, um diese Rechte für alle zu verwirklichen. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist eine Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Für die Menschen in Europa bedeutet dies: jede und jeder, die oder der vor Gericht muss, hat das Recht, von einer unabhängigen Richterin oder einem unabhängigen Richter gleichbehandelt zu werden. Es bedeutet auch, dass die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Medien gewährleistet werden sowie Oppositionsparteien die Regierung kritisieren können. Im Moment gibt es jedoch besorgniserregende Anzeichen für eine Erosion der Rechtsstaatlichkeit an einigen Orten in der EU. Wir müssen uns verstärkt anstrengen, um die Wahrung des Rechtsstaates zu sichern und die Achtung unserer Rechte einzufordern. Nur dies wird die Widerstandsfähigkeit unserer Demokratien gewährleisten.
Inwiefern kann die Grundrechteagentur als in Österreich ansässige Stelle das Bewusstsein für und das Wissen über Grund- und Menschenrechte innerhalb der Bevölkerung erhöhen?
Die Agentur der EU für Grundrechte führt mehrere Projekte zur Bewusstseinsbildung und zum Kapazitätsaufbau durch. Wir schulen Juristinnen und Juristen in der Anwendung der EU-Charta. Wir sprechen mit Polizeikräften darüber, wie sie ethnisches Profiling vermeiden können. Und gemeinsam mit dem Europarat veröffentlichen wir Handbücher zu verschiedenen Themen des europäischen Rechts und Leitfäden, beispielsweise zur Unterstützung von Grenzschutzpersonal bei der Einhaltung der Grundrechte. Wir stellen Behörden sowie Menschrechtsaktivistinnen und -aktivisten aufschlussreiche Daten zur Verfügung. Wir unterstützen auch Journalistinnen und Journalisten dabei, über sensible Themen wie Migration aus der Perspektive der Menschenrechte zu berichten.
Wie kann – im Lichte komplexer grenzüberschreitender Herausforderungen wie Migrationsbewegungen, Terrorismus sowie unterschiedlicher Formen organisierter und Cyber-Kriminalität – eine ausgewogene Balance zwischen Sicherheit einerseits und Freiheit andererseits gewahrt werden?
Es ist ein Irrglaube, dass eine stärkere Bewahrung der Menschenrechte zu Einschnitten bei der Sicherheit führt, und umgekehrt. Unsere Erkenntnisse zeigen, dass die Achtung der Menschenrechte positive Auswirkungen auf die Sicherheit haben kann. So kann beispielsweise ein auf Rechten basierender Ansatz zur Terrorismusbekämpfung die Gefahr der Radikalisierung verringern. Infolgedessen ist es wichtig, die Achtung der Menschenrechte und wirksame Sicherheitsmaßnahmen nicht als gegensätzliche, sondern als sich gegenseitig verstärkende Ziele zu betrachten.
In ihrem jährlichen Überblick hat die Agentur der EU für Grundrechte im November 2022 festgestellt, dass die Erfassung antisemitischer Vorfälle in Europa unzureichend sei und lediglich 14 von 27 EU-Staaten – Österreich war hier Vorreiter – über eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus verfügten. Wie können die EU-Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen Antisemitismus effektiv entgegenwirken?
Um wirksam gegen Antisemitismus vorgehen zu können, müssen wir zuerst wissen, wie groß das Ausmaß an antisemitischen Vorfällen wirklich ist. Unsere Umfragen und Analysen liefern wertvolle Daten und Informationen über die Erfahrungen der in Europa lebenden Jüdinnen und Juden. Aber das reicht nicht aus. Alle EU-Länder müssen selbst Daten zu antisemitischen Vorfällen erheben. Insbesondere sollten sie die Meldung, Erfassung und Untersuchung von antisemitischen Vorfällen fördern, um gezielte Maßnahmen entwickeln und umsetzen zu können. Gleichzeitig sollten sie in Bildung investieren, um negativen Haltungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung entgegenzuwirken. Nur so können sie wirklich etwas bewirken.
Eine repräsentative Erhebung der Grundrechteagentur kam 2014 zu dem Schluss, dass EU-weit jede dritte Frau über dem 15. Lebensjahr Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt wird – und auch Stalking sowie Belästigung weit verbreitet sind. Diese Vorfälle werden häufig nicht gemeldet und daher auch nicht strafrechtlich verfolgt. Welche Schritte zur wirksamen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sind Ihrer Meinung nach vorrangig zu setzen? Wie können einschlägige Hilfseinrichtungen in Bundesländern und Gemeinden bekannter gemacht werden?
Es ist äußerst besorgniserregend, dass die Zahl der Femizide in ganz Europa ständig steigt. Es ist eindeutig, dass wir viel mehr tun müssen, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Gewalt gegen Frauen muss als eine Angelegenheit von ernsthaftem öffentlichen Interesse behandelt werden. Unsere Gesetze müssen widerspiegeln, dass Missbrauch auch online stattfindet. Zweitens müssen Kampagnen zu Gewalt gegen Frauen auch Männer ansprechen. Und schließlich müssen Regierungen die Polizei, die Justiz und das Gesundheitswesen mit angemessenen Ressourcen ausstatten sowie durch Kapazitätsaufbau sensibilisieren, damit sie bei der Gewaltprävention und der Unterstützung der Opfer besser zusammenarbeiten können.
Die Grundrechteagentur hat sich in mehreren Berichten mit den möglichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz (KI) auseinandergesetzt. Wie kann und soll die EU-Grundrechtecharta in diesem Zusammenhang als Maßstab und Richtschnur fungieren?
KI hat das Potenzial, unsere Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Aber sie birgt auch ein gewisses Risiko, uns zu schaden. Die meisten Menschen denken, dass die Technologie sich auf den Datenschutz auswirkt oder ihre Privatsphäre beeinträchtigen könnte. Weniger offensichtlich ist, dass KI praktisch jedes einzelne Menschenrecht beeinträchtigen kann. KI kann diskriminieren, unsere Meinungsfreiheit bedrohen oder sogar die Justiz behindern. Unsere Rechte sind in der EU-Grundrechtecharta eindeutig festgelegt, und wir sollten sicherstellen, dass KI sie alle respektiert. Deshalb fordert die FRA eine strenge Überwachung und Bewertung aller KI-Technologien vor, während und nach deren Einsatz, um sicherzustellen, dass wir negative Auswirkungen reduzieren und abmildern können.
Ihre Karriere hat Sie unter anderem an Forschungseinrichtungen sowie zu Feldeinsätzen im Menschenrechtsbereich geführt. Welcher persönliche "Europa-Moment" ist Ihnen dabei besonders in Erinnerung geblieben?
In meiner beruflichen Laufbahn gab es viele "Europa-Momente". Im letzten Jahr hat mich jedoch besonders die umfangreiche Unterstützung aller EU-Länder und der Bevölkerung für die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine fliehenden Menschen sehr bewegt. Das hat mir gezeigt, wozu wir fähig sind und wie anständig die Menschheit sein kann.
"Fit for 55" bezieht sich auf das Ziel der EU, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Zudem möchte die EU bis 2050 klimaneutral werden. Der Rat der EU hat Ende April 2023 eine Reihe von Rechtsakten verabschiedet, mit denen diese EU-Klimaziele umgesetzt werden sollen: Dazu zählen die Reform des EU-Emissionshandelssystems, die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds und ein neues CO2-Grenzausgleichssystem. Mit letzterem wird schrittweise ein CO2-Preis für bestimmte in die EU importierte Güter erhoben. So soll eine Verlagerung von Treibhausgasemissionen in andere Wirtschaftsräume, für die der EU-Emissionshandel nicht gilt, verhindert werden. Des Weiteren sind im Rahmen des ambitionierten "Fit for 55"-Pakets unter anderem Maßnahmen für mehr Energieeffizienz, eine Reform des Abgabensystems in Bezug auf Kraftstoffe und Strom sowie Instrumente zur Erhaltung und Vergrößerung natürlicher CO2-Senken, also etwa von Böden und Wäldern, geplant. Ab dem Jahr 2035 dürfen in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen auf den Markt gebracht werden. Zudem sollen erneuerbare Energien verstärkt genutzt werden – ein Bereich, in dem Österreich bereits jetzt über dem EU-Schnitt liegt. Vor allem dank der Nutzung der heimischen Wasserkraft gehen hierzulande 75 Prozent der Stromerzeugung auf nachhaltige Energiequellen zurück.
Emissionshandel: Wichtiges Instrument zur Emissionsreduktion
Der EU-Emissionshandel gibt Treibhausgasen einen Preis und betrifft bis dato Energieunternehmen, die energieintensive Industrie sowie Teile des Luftverkehrs. Mit den neuen Vorschriften wird das Gesamtziel der Emissionssenkungen in den unter das System fallenden Sektoren bis 2030 auf 62 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 angehoben (Ziel bis dato: 43 Prozent). Ab 2027 (oder 2028, wenn die Energiepreise außergewöhnlich hoch sein sollten) soll ein neues Emissionshandelssystem für Gebäude, den Straßenverkehr sowie weitere Sektoren geschaffen werden. Auch die Seeschifffahrt wird ab 2024 schrittweise in den Emissionshandel einbezogen. Die CO2-Zertifikate sollen – wie beim bisherigen europäischen Emissionshandel – frei am Markt gehandelt werden; kostenlose Emissionsrechte sind nicht vorgesehen. Ein Teil der Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel für Energie, Industrie, Luft- und Schifffahrt fließt in Investitionen zur Förderung klimafreundlicher Technologien.
Klima-Sozialfonds: Mittel für den sozialen Ausgleich
Mit den Einnahmen des neuen Emissionshandelssystems soll von 2026 bis 2032 ein neuer Klima-Sozialfonds finanziert werden. Zusätzlich werden die Mitgliedstaaten mit eigenen Haushaltsmitteln zu den Maßnahmen beitragen, sodass insgesamt mehr als 80 Milliarden Euro zur Verfügung stehen sollen. Die Mittel sollen, auf der Basis von Klima-Sozialplänen der EU-Mitgliedstaaten, in effizientere Gebäude sowie emissionsärmere Mobilität investiert werden und hauptsächlich einkommensschwächeren Haushalten sowie Kleinunternehmen zugutekommen. Vorübergehend kann der Fonds auch eine befristete direkte Einkommensunterstützung für besonders vulnerable Haushalte finanzieren. Durch die Maßnahmen im Rahmen von "Fit for 55" möchte die EU ihren Teil zu einer nachhaltigeren, wettbewerbsfähigeren und auf sozialen Ausgleich bedachten Zukunft für kommende Generationen beitragen.
Wie würden Sie Ihre Tätigkeit und Ihren Alltag als Kommissar in wenigen Sätzen erklären? Welche Ihrer Aufgaben stehen für Sie aktuell im Vordergrund?
Das europäische Budget dient dazu, Europas Frieden und Wohlstand langfristig zu sichern. Als Haushaltskommissar ist es meine zentrale Aufgabe, dies in konkrete Zahlen zu übersetzen. Mir war es deshalb wichtig, in die Zukunft zu investieren – in den "grünen" und digitalen Wandel, in Forschung und Innovation sowie in strategische Souveränität. Aktuell gehört es zu meinen Aufgaben, sicherzustellen, dass wir trotz aller Herausforderungen handlungsfähig sind. Wir haben bereits fast alle Flexibilitäten ausgeschöpft, um die Auswirkungen des russischen Angriffs für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen abzufedern. Nun werden wir bei der Haushaltsüberprüfung schauen, wo wir zur Hälfte des mehrjährigen Finanzrahmens stehen, und gegebenenfalls Lehren daraus ziehen.
Finanz-, Wirtschafts- und Migrationskrise, "Brexit", Covid-19-Pandemie, Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen: Als Kommissar haben Sie seit 2010 die Abfolge mehrerer Krisen hautnah miterlebt. Ist die EU in der Krisenbewältigung heute besser aufgestellt, und welche Lehren hat sie aus diesen Herausforderungen gezogen?
Die Europäische Union zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine "lernende" Union ist – im Gegensatz zur künstlichen haben wir eine natürliche Intelligenz: So haben wir in der Finanzkrise die Bankenunion ausgebaut, in der Migrationskrise unsere gemeinsamen Außengrenzen besser geschützt und uns aus Covid "raus"-investiert – mit Erfolg: Denn ohne den russischen Angriff auf die Ukraine hätten wir die Corona-Krise schon längst hinter uns gelassen. Hinter alldem steht für die Mitgliedstaaten die zentrale Erkenntnis: Die vereinte Kraft der 27 lohnt sich für alle.
Das gemeinsame Handeln von EU-Institutionen und EU-Mitgliedstaaten hat zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie beigetragen, beispielsweise bei der Beschaffung von Impfstoffen. Was lässt sich auf europäischer Ebene besser bewältigen als auf nationaler oder kommunaler – und umgekehrt?
Wenn es zum Beispiel um Handel oder die Sicherung strategischer Rohstoffe geht, liegt es auf der Hand, dass wir zusammen mehr erreichen können als jedes Land für sich allein. Gleichzeitig können wir gemeinsam ganz andere Forschungs- und Innovationsprojekte anstoßen, die uns allen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Anderes, wie etwa die Umsetzung klimafreundlicher Mobilität, können wir vor Ort oder national dagegen besser. In diesem Subsidiaritätsprinzip liegt auch die Sinnhaftigkeit der Europäischen Union.
Das Budget gilt als in Zahlen gegossene Politik. Ist die aktuelle Verteilung des EU-Haushalts aus Ihrer Sicht zukunftsweisend? In welchen Bereichen würden Sie sich Veränderungen der Aufteilung und eventuell auch mehr Tempo wünschen?
Dass wir mit dem aktuellen mehrjährigen Haushalt einen Schwerpunkt auf Modernisierung gesetzt haben, war eine wichtige Weichenstellung. So können wir den Mehrwert Europas am besten ausspielen und unsere Wettbewerbsfähigkeit auch langfristig absichern. Wenn wir aus den unvorhergesehenen und beispiellosen Krisen der vergangenen Jahre Lehren ziehen wollen, heißt das für mich auch, dass wir mehr Flexibilität benötigen. Aber keine Frage, zukünftig brauchen wir ein "europäischeres" EU-Budget, das mehr Projekte mit europäischem Mehrwert innerhalb Europas (das heißt grenzüberschreitend) und außerhalb Europas finanziert.
Einer der Schwerpunkte des aktuellen schwedischen EU-Ratsvorsitzes ist die Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Wie können unsere Unternehmen auch künftig auf den Weltmärkten bestehen, und worin liegen diesbezüglich Ihrer Meinung nach die besonderen Stärken Österreichs?
Unser Trumpf sind unsere gut ausgebildeten und kreativen Forscherinnen und Forscher, Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Europa können wir es uns leisten, um so viel teurer zu sein, wie wir besser sind. Was wir uns allerdings nicht leisten können, sind langwierige bürokratische und regulatorische Prozesse. Jene zu beschleunigen ist deshalb ein zentraler Ansatzpunkt des Industrieplans für den "Green Deal".
2023 ist das "Europäische Jahr der Kompetenzen". Als für Verwaltung und Personal zuständiger Kommissar: Welche Kompetenzen sollten an einer Tätigkeit bei den europäischen Institutionen Interessierte mitbringen?
Wer für die Europäische Kommission arbeiten will, braucht vor allem 3 Eigenschaften: Erstens den Willen, sich beständig neuen Herausforderungen zu stellen, zweitens den Wunsch, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Ländern neue Lösungen zu finden, und drittens die Vision, einen europäischen Mehrwert zu schaffen. Die Kommission eröffnet dafür einzigartige Chancen: Hier können Sie als Physiker anfangen, anschließend Nachbarschaftspolitik weiterentwickeln und später den Haushalt gestalten. Der tägliche Blick über den Tellerrand ist für mich Motivation und Inspiration zugleich.
Die EU hat gerade in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie sehr rasch entscheiden und handeln kann und die 27 Mitgliedstaaten an einem Strang ziehen, wenn es darauf ankommt. Dennoch ist EU-Kritik weit verbreitet, auch in Österreich. Wie kann es gelingen, den Bürgerinnen und Bürgern die Errungenschaften der EU (besser) zu vermitteln?
Russlands brutaler Krieg gegen die Ukraine hat uns gezeigt, dass Frieden und Wohlstand alles andere als selbstverständlich sind. Nur gemeinsam werden wir uns als geopolitischer und geoökonomischer Akteur positionieren können – mit konkreten Vorteilen für alle: Europa sichert Arbeitsplätze, Sicherheit, Verbraucherschutz, faire Chancen und demokratische Werte.
Während der Brüssel-Reise der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte im September 2022 haben Sie bereits die Bedeutung dieser Initiative hervorgehoben. Welchen Tipp würden Sie den mittlerweile über 1.600 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten in Österreich für ihre Tätigkeit vor Ort geben?
Für mich spielen die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte eine zentrale Rolle: Sie sind "Botschafterinnen" beziehungsweise "Botschafter" und Seismograph zugleich: Ihre Rückmeldungen helfen uns, in Brüssel bessere Entscheidungen zu treffen; gleichzeitig trägt ihr Engagement vor Ort dazu bei, Europa Wirklichkeit werden zu lassen. Die österreichischen Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sind sogar zum Vorbild für ein europaweites Programm geworden. Mein Tipp wäre, das gewaltige Potenzial zu nutzen, um Netzwerke über Grenzen hinweg zu spannen. So können sich Gemeinden gegenseitig inspirieren und gemeinsam Projekte voranbringen, die ansonsten nicht möglich wären.
Was zählt zu den überraschendsten "Europa-Momenten" Ihrer Karriere – welche politischen Entwicklungen sind für Sie nicht absehbar gewesen?
Es war ein zutiefst europäischer Moment, als ich in meinem damaligen Amt als Regionalkommissar die Friedensbrücke in Londonderry/Derry in Nordirland eröffnet habe. Für mich symbolisiert sie die europäische Idee: Indem sie den protestantischen Ortsteil mit dem katholischen Westen der Stadt verbindet, überschreibt sie einen alten Konflikt mit einem europäischen Band des Friedens und bildet so die Grundlage für gemeinsamen Wohlstand. Viel zu selten sind wir auf diese europäische Erfolgsgeschichte stolz, obwohl uns viele in der Welt zu Recht um unsere Art des Lebens beneiden.
Es war ein geschichtsträchtiger Gang zum Bankomaten. Der kroatische Finanzminister Marko Primorac und Nationalbank-Gouverneur Boris Vujčić behoben in den ersten Minuten des neuen Jahres 2023 an einem Geldautomaten in der Zagreber Innenstadt einige Euro. Begleitet wurden sie dabei von zahlreichen Journalistinnen und Journalisten, deren Kameras knipsten, als sie wenig später die frischen Euro-Scheine präsentierten.
Stolzer und symbolischer Moment
Die große mediale Aufmerksamkeit hatte einen besonderen Grund: Seit 1. Jänner 2023 ist der Euro die offizielle Währung Kroatiens; die Eurozone zählt damit nun 20 Mitgliedsländer. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der kroatische Premierminister Andrej Plenković überzeugten sich am 1. Jänner 2023 vor Ort von der reibungslosen Euro-Bargeld-Einführung. "Dies ist ein großer Erfolg für Kroatien, ein Symbol für seine tiefgehende Bindung an die EU und ein symbolischer Moment für das Euro-Währungsgebiet insgesamt", so von der Leyen. "Es ist ein stolzer Moment für die EU, für Kroatien und für seine Bürgerinnen und Bürger." Unmittelbar nach dem EU-Beitritt Kroatiens im Juli 2013 hatte Vujčić, der damals bereits die Nationalbank leitete, erklärt, dass die Adria-Republik "so bald wie möglich" in die Eurozone wolle, die Währungsumstellung jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Seither haben Europäische Kommission und Europäische Zentralbank regelmäßig in Konvergenzberichten geprüft, ob die 4 sogenannten wirtschaftlichen "Konvergenzkriterien" für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung erfüllt sind. Im Juli 2022 gab es schließlich formell "grünes Licht" durch die EU-Finanzministerinnen und -minister.
Chancen für die kroatische Wirtschaft
Die neue Währung soll der kroatischen Wirtschaft nützen, insbesondere dem Tourismussektor, der 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen mit Österreich könnten durch die Einführung des Euro gestärkt werden: "Österreichische Unternehmen profitieren vom Wegfall des Währungsrisikos und der Wechselspesen", erläutert die Wirtschaftsdelegierte in Kroatien, Sonja Holocher-Ertl. "Bei einem bilateralen Außenhandelsvolumen von 2 Milliarden Euro fällt das schon ins Gewicht."
Reisen ohne Hindernisse
Die Aufnahme in die Eurozone war aber nicht alles. Denn mit 1. Jänner 2023 ist das Land auch dem Schengener Abkommen beigetreten. Durch den Beitritt Kroatiens lassen sich die Binnengrenzen zu Italien, Slowenien und Ungarn nun ohne Passkontrollen passieren. Während Finanzminister Primorac und Notenbank-Gouverneur Vujčić in der Silvesternacht beim Bankomaten die ersten Euro-Geldscheine behoben, hob Innenminister Davor Božinović um Mitternacht mit seiner slowenischen Amtskollegin Sanja Ajanović Hovnik den Grenzbalken in Bregana-Obrežje. Der Grenzübergang im Nordwesten Zagrebs liegt an der Autobahn A3, und gerade zu Ferienzeiten zeigte sich bis dato häufig dasselbe Bild: kilometerlange Verkehrsstaus aufgrund von Grenzkontrollen. "Die im Sommer oft stundenlangen Verzögerungen sind damit Vergangenheit", sagt Holocher-Ertl, was viele Österreicherinnen und Österreicher bei der Einreise in das beliebte Urlaubsland besonders freuen dürfte. "Davon werden vor allem die Tourismuswirtschaft und der Güterverkehr profitieren."
"Tür zu einem grenzenlosen Europa geöffnet"
Wie der Euro-Einführung war auch der Aufnahme in den Schengen-Raum eine intensive Vorbereitungsphase vorausgegangen. Schon seit dem EU-Beitritt vor 10 Jahren kamen in Kroatien bestimmte Verfahren zur Anwendung: Dazu zählen die polizeiliche Kooperation mit anderen EU-Mitgliedstaaten, die Einhaltung von Mindeststandards für die Behandlung von Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen sowie die Benutzung der Datenbanken des Schengener Informationssystems zur Personen- und Sachfahndung. Der Wegfall der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen hat für die Bürgerinnen und Bürger mehr Freiheit und Sicherheit gebracht. Nach der Zeremonie am Grenzübergang betonte Kroatiens Innenminister: "Wir haben die Tür zu einem grenzenlosen Europa geöffnet."
Am 24. Februar 2022 änderte sich das Leben in der Ukraine schlagartig: Mit der Invasion Russlands begann ein Angriffskrieg, dem sich die Ukraine bis heute mit aller Kraft – und mit unverbrüchlicher Unterstützung durch die EU – entgegenstellt. In Kriegen und Konflikten sind es zumeist vor allem Frauen und Mädchen, die am stärksten von Zerstörung, Verlust, Ausbeutung, Menschenhandel und sexueller Gewalt betroffen sind.
Mehr Aufmerksamkeit für Frauen und Mädchen
Eine Tatsache, auf die auch Europaministerin Karoline Edtstadler hinweist: "Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten dürfen nicht bloß ein Nebengedanke sein. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und unsere volle Unterstützung!" In diesem Kontext besuchte Europaministerin Edtstadler – begleitet von einer Delegation hochrangiger europäischer Politikerinnen – am 22. und 23. November 2022 die ukrainische Hauptstadt Kiew/Kyjiw. Ausgangspunkt für die Reise war die von der Europaministerin initiierte Konferenz "The Next Generation is Female" im August 2022 in Salzburg gewesen. Die Aktivitäten im Rahmen dieser Dialogplattform europäischer Spitzenpolitikerinnen fanden ihre Fortsetzung am 8. und 9. März 2023 mit einer Reise in die Republik Moldau und nach Polen.
Reise als Zeichen der Solidarität
Arbeitsgespräche wurden in Kiew/Kyjiw mit Olena Selenska, der Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der stellvertretenden Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna sowie Abgeordneten des ukrainischen Parlaments geführt. Europaministerin Edtstadler und ihre Kolleginnen trafen zudem mit Vertreterinnen und Vertretern des Roten Kreuzes, in dessen Einrichtungen humanitäre Hilfe für Millionen von Binnenvertriebenen geleistet wird, sowie weiblichen Angehörigen der ukrainischen Armee zusammen. Über ein Fünftel der Streitkräfte in der Ukraine ist weiblich. Dazu die Europaministerin: "Das ist ein Aspekt, der in der Berichterstattung über den Krieg selten vorkommt und öffentlich wenig bekannt ist. Frauen stellen zudem auch das Gros der aus der Ukraine Vertriebenen dar, in Österreich über 80 Prozent. Es gilt ein starkes Zeichen europäischer Solidarität und Geschlossenheit zu setzen, denn Frauen sind in Krisen und Konflikten häufig Schlüsselfiguren für deren Bewältigung." Schwerpunkt einer Diskussion mit 20 Studentinnen der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität war vor allem die Annäherung des Landes an die EU, aber auch die künftige Gestaltung des nationalen Steuer- und Bildungssystems. Was die Initiative "The Next Generation is Female" im Namen trägt, hob Europaministerin Edtstadler auch im Austausch mit den jungen Frauen hervor: "Ihr zeigt, dass es eine Zukunft gibt!"
Interview
Karoline Edtstadler, Europaministerin
Weshalb haben Sie sich dazu entschieden, diese Reise anzutreten?
Mit unserem Besuch wollten wir ein klares Zeichen setzen und auf die spezifische Situation von Mädchen und Frauen in Kriegs- und Konfliktgebieten hinweisen. Wir müssen sicherstellen, dass Frauen aktiv in die aktuellen, aber auch künftigen Entscheidungsprozesse eingebunden werden, vor allem, wenn es um den Wiederaufbau ihres Landes geht.
Vor über einem Jahr hat Russland die Ukraine überfallen. Wie hat Österreich die Ukraine seitdem unterstützt?
Bislang hat Österreich 124 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die Ukraine und betroffene Nachbarländer geleistet. Auch wenn das große Engagement der Österreicherinnen und Österreicher den Krieg nicht beenden kann, kann es dennoch das unermessliche menschliche Leid etwas lindern.
Was wird Ihnen von dieser Reise besonders in Erinnerung bleiben?
Neben den Stunden im Luftschutz-Bunker und dem Besuch eines unmittelbar von Bomben zerstörten Wohnhauses beeindruckt mich, dass die Ukraine ihren Kampf gegen den russischen Angriff besonders auch auf den Schultern starker Frauen führt; seien es ukrainische Soldatinnen, politische Vertreterinnen, Frauen oder Mütter. Ihr Mut und ihre Kraft müssen uns ein Ansporn sein.
Grüne Mobilität im Aufwind
Leben und Arbeiten werden immer mobiler, zugleich müssen Emissionen minimiert werden. Österreich ist in dieser Hinsicht bereits auf einem guten Weg, etwa mit dem KlimaTicket. Einen weiteren Schritt geht das Förderprogramm "Emissionsfreie Busse und Infrastruktur" (kurz EBIN).
Derzeit läuft die dritte Ausschreibung. Vielversprechende Projekte aus den ersten beiden Runden werden bereits umgesetzt. Eines davon ist die Ausstattung der "Wiener Linien"-Busflotte mit emissionsfreien Fahrzeugen. Zwar seien mit den elektrisch angetriebenen U-Bahnen und Straßenbahnen bereits 80 Prozent der Fahrgäste in der Bundeshauptstadt emissionsfrei unterwegs, so das Verkehrsunternehmen, doch auch für Bus-Fahrgäste soll in Zukunft ein CO2-freies Angebot zur Verfügung stehen. In den Kauf von 60 E-Bussen und 10 Wasserstoff-Bussen sowie die Errichtung dafür benötigter Schnellladestationen und sonstiger Infrastruktur sollen 48 Millionen Euro investiert werden. Davon kommen rund 22 Millionen Euro aus dem EBIN-Förderprogramm. Geladen und gewartet werden die Elektrofahrzeuge in Zukunft auf dem ehemaligen Busabstellplatz in Wien-Siebenhirten, wo eine eigene Photovoltaikanlage den nötigen Strom liefert. Die Abwärme der Ladegeräte wiederum wird für das Beheizen des Werkstättengebäudes genutzt. Gudrun Senk, Mitglied der Geschäftsführung der "Wiener Linien", erklärt: "Wir wollen Emissionen reduzieren und zugleich die Qualität unseres Angebots beibehalten. Die 70 E- und H2-Busse werden während der ersten 5 Betriebsjahre mehr als 13 Millionen Kilometer zurücklegen und dabei rund 12.000 Tonnen CO2 einsparen."
Die Linz Linien nützen die EU-Förderung, um im Osten der Stadt neue Obus-Linien zu etablieren. 16 Gelenk-Obusse werden die klimafreundliche Mobilität in der oberösterreichischen Landeshauptstadt erheblich erweitern – und dazu beitragen, Linz bis zum Jahr 2025 zur "Klimahauptstadt Europas" zu machen. Auch die Innsbrucker Verkehrsbetriebe haben ein Projekt für emissionsfreie öffentliche Mobilität eingereicht und befinden sich damit bereits in der Umsetzungsphase: 15 elektrische Busse und die dazugehörige Infrastruktur sollen der Alpenstadt in Zukunft 936.000 emissionsfreie Kilometer pro Jahr bescheren. Ebenfalls mit EBIN-Mitteln gefördert, fahren in Tirol bereits seit Jänner 4 Elektrobusse in der Gletscherregion Tux. Die "Gratissportbusse" gibt es hier bereits seit 50 Jahren, der Umstieg auf Elektromobilität soll in der Region rund 122.000 Liter umweltbelastenden fossilen Diesel pro Jahr einsparen.
EBIN wird im Rahmen des österreichischen EU-Aufbauplans nicht die einzige Initiative für emissionsfreie Fahrzeuge bleiben, denn zusätzlich zu den Förderungen im Personenverkehr sind weitere Projekte geplant. Das Förderprogramm "Emissionsfreie Nutzfahrzeuge und Infrastruktur" (kurz ENIN) wird künftig Unternehmen gezielt bei der Flottenumstellung sowie der Errichtung der dafür erforderlichen Infrastruktur unterstützen. Und um das Laden von E-Autos in unterversorgten Gebieten zu erleichtern, wird es außerdem ab Mitte 2023 eine entsprechende Infrastrukturförderung ("LADIN") geben.
Kunst und Kultur ohne Klima-Kompromisse
Kunst- und Kulturbetriebe sind zwar häufig Zentren des gesellschaftlichen Diskurses, haben aber nicht immer die nötigen Mittel, um klimafreundliche Maßnahmen zu setzen. Hier setzt das Förderprogramm "Kultur klimafit" an, mit dem Investitionen zur Senkung von CO2-Emissionen in Kunst- und Kulturinstitutionen unterstützt werden. Ziel ist neben der eigentlichen Emissionsreduktion die Schaffung von Vorzeigeprojekten, die als Beispiele für klimafreundliche Gebäudestrukturen dienen können. Für einzelne Projekte stehen bis zu 250.000 Euro zur Verfügung, die in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses gewährt werden. Die Förderung ist etwa für klimafreundliche Heizung, Lüftung und Kühlung, die Nutzung erneuerbarer Energieträger oder auch für energieeffiziente Innen- und Außenbeleuchtungssysteme zu verwenden. Die thermische Gebäudesanierung ist ein weiterer möglicher Förderungsgegenstand.
Die Unterstützung ist für unterschiedlichste Kultureinrichtungen gedacht: Sie steht kulturellen Gemeindeeinrichtungen ebenso offen wie gemeinnützigen Vereinen, aber auch kommerziellen Unternehmen wie Clubs mit Liveprogramm, sofern eine 80-prozentige räumliche und zeitliche Nutzung des Betriebs für kulturelle
Zwecke nachweisbar ist. Neben ganzheitlichen, gebäudebezogenen Maßnahmen können auch kleinere Projekte eingereicht werden, zum Beispiel die Installation energiesparender Bühnenbeleuchtungssysteme oder die Anschaffung von Beamern anstelle konventioneller Filmprojektoren.
Brüssel, Berlaymont-Gebäude, 13. Stock. "Herzlich willkommen bei den EU-Institutionen!" Kommissar Johannes Hahn ist erfreut, seine Landsleute – 18 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte aus Österreich – am Sitz der Europäischen Kommission begrüßen zu dürfen. Dort, wo üblicherweise das Kollegium der Kommissarinnen und Kommissare unter Leitung von Präsidentin Ursula von der Leyen einmal wöchentlich tagt, nahmen am 26. September 2022 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte aus fast allen österreichischen Bundesländern Platz. Nach 13 Stunden Fahrt mit dem Nachtzug von Wien nach Brüssel haben sie nun, bei der ersten Station der Studienreise, Gelegenheit, aus erster Hand Näheres über die Funktionsweise der europäischen Institutionen sowie aktuelle EU-Themen zu erfahren. Zu entdecken gibt es in der "europäischen Hauptstadt" viel. An Tag eins in Brüssel steht die Europäische Kommission im Mittelpunkt des intensiven Besuchsprogramms.
Brüssel ist für mich die europäische Hauptstadt – und nicht nur eine 1.000 Kilometer entfernte Stadt in Belgien.
Philipp Löffler aus Gmünd, Niederösterreich
Expertinnen und Experten vermitteln Informationen zur EU-Regionalpolitik sowie zu Förderprogrammen, die für die lokale und regionale Ebene besonders nützlich sind. Auf Inputs über den europäischen "Green Deal" und das "Europäische Jahr der Jugend" 2022 folgen Vorträge über den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen; das Thema Energieversorgungssicherheit sorgt für lebhafte Debatten. Auch Desinformation und die diesbezüglichen Arbeiten des Europäischen Auswärtigen Dienstes sowie die EU-weite Implementierung der Europa-GemeinderätInnen-Initiative "Europa fängt in der Gemeinde an" werden mit Expertinnen und Experten diskutiert. Highlight ist das Zusammentreffen mit Johannes Hahn, der in der Europäischen Kommission für Haushalt und Verwaltung zuständig ist und den Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten – "Ihr seid die Brücke zwischen Brüssel und den Bürgerinnen und Bürgern" – gerne Einblicke in den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU oder in Karrieremöglichkeiten bei den europäischen Institutionen gewährt.
Ich freue mich, vieles für die Gemeinde daheim und für mich persönlich mitzunehmen. Ich glaube, dass es gerade für den ländlichen Raum wichtig ist – und ich komme aus einer ganz kleinen Gemeinde – den europäischen Gedanken stärker zu etablieren.
Theres Gruber aus Rohr im Gebirge, Niederösterreich
Ständige Vertretung in Brüssel - Die "EU-Botschaft"
Am zweiten Tag geht es in die Avenue de Cortenbergh, nur einen kurzen Spaziergang von den Gebäuden des Rates und der Kommission entfernt. An der Hausnummer 30 hat die Ständige Vertretung ihren Sitz – die "EU-Botschaft" Österreichs in Brüssel. Hier, mitten im Europaviertel der belgischen Hauptstadt, sind Bedienstete aller Bundesministerien tätig – und sorgen dafür, dass Österreichs Interessen in der EU optimal vertreten und verhandelt werden. Denn sie bereiten die regelmäßigen Tagungen der 27 EU-Staats- und -Regierungschefs (im Europäischen Rat) sowie der Fachministerinnen und -minister (im Rat der EU, der in unterschiedlichen Formationen tagt) vor und bilden die so wichtige Informations- und Kommunikations-Drehscheibe zwischen Brüssel und Wien. Richtiges Timing, bestmögliche Vernetzung und exzellentes Know-how sind dafür entscheidend. Wie das spannende "Zusammenspiel" zwischen österreichischer und europäischer politischer Ebene funktioniert, erläutert Botschafter Nikolaus Marschik, Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU. Daniela Fraiß, Leiterin des Büros des Österreichischen Gemeindebundes in Brüssel, unterstreicht in ihrem Vortrag die Bedeutung der Interessenvertretung für Kommunen, Regionen und Städte. Im Rahmen eines interaktiven Workshops, durchgeführt von Antonia Kühnel, Leiterin des Besuchs- und Informationsdienstes an der Ständigen Vertretung, können die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte praktische Ideen und Inputs für ihre konkrete Tätigkeit auf lokaler und regionaler Ebene erarbeiten und austauschen. Das ist ein weiterer wesentlicher Mehrwert der Studienreise: Neben dem "direkten Draht" zu den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in Brüssel steht das Kennenlernen untereinander im Vordergrund – über alle Bundesländer- und Parteigrenzen hinweg.
Ich bin schon das fünfte oder sechste Jahr Europa-Gemeinderat. Ohne die EU geht nichts! Es war toll, während der Reise so viele interessierte Leute kennenzulernen, die alle ein gemeinsames Thema haben, nämlich Europa – aber mit unterschiedlichen Perspektiven. Wir wollen weiterhin in Kontakt bleiben.
Jürgen Ozwirk aus Andrä/Lavanttal, Kärnten
Mit österreichischen EU-Abgeordneten im Gespräch
Wie das Europäische Parlament arbeitet, erfahren die Europa-Gemeinderätinnen und Europa Gemeinderäte am dritten und letzten Besuchstag direkt von österreichischen EU-Abgeordneten: Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Evelyn Regner, sowie die Abgeordneten Lukas Mandl (ÖVP/EVP), Andreas Schieder (SPÖ/S&D) und Monika Vana (Grüne/Greens) informieren in Briefings über aktuelle Themen – von den europäischen Beitrittsperspektiven der 6 Westbalkan-Staaten als Schwerpunkt der österreichischen Europa- und Außenpolitik über Energieversorgungssicherheit bis hin zu den Sanktionen, welche die EU gegen Russland aufgrund des Krieges in der Ukraine verhängt hat. Ein Austausch mit dem Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, sowie eine Führung durch das Haus bis zu dessen "Herzstück" – dem Plenarsaal – runden das Brüsseler Besuchsprogramm ab, bevor es zurück nach Österreich geht; natürlich wieder per Nachtzug.
Ich finde es sehr spannend und auch wichtig für ein Gesamtbild, alle Ebenen zu kennen, in diesem Fall die EU-Ebene, weil alles miteinander zusammenhängt. Europa ist für mich ein riesiges
Demokratieprojekt.
Sofia Palzer-Khomenko aus Simmering, Wien
Brüssel-Studienreise für Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte
Die Reise der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte nach Brüssel wurde von der Europäischen Kommission – Vertretung in Österreich und vom Europäischen Parlament – Verbindungsbüro in Österreich gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt organisiert. Als bewusstes Zeichen im "Europäischen Jahr der Jugend" 2022 setzte sich der Kreis der Teilnehmenden aus jungen Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten zusammen. Nähere Informationen: Login-Bereich auf der Website.
Ich freue mich, dass es nach Jahren Covid-19-bedingter Pause wieder möglich ist, Reisen in die "europäische Hauptstadt" durchzuführen.
Karoline Edtstadler, Europaministerin
"Nie zuvor wurde in diesem Haus über die Lage unserer Union debattiert, während auf europäischem Boden Krieg herrscht." Mit diesen Worten begann Ursula von der Leyen am 14. September 2022 ihre "Rede zur Lage der Union" vor dem Plenum des Europäischen Parlaments in Straßburg. Die Präsidentin der Europäischen Kommission stellte ihre Leitinitiativen vor, wobei der Ausgangspunkt und Fokus der diesjährigen "State of the Union"-Ansprache der Krieg in der Ukraine blieb. In einem flammenden Appell beschwor sie die kontinuierliche Unterstützung des EU-Nachbarlandes, die Solidarität unter den Mitgliedstaaten sowie die Stärkung der Demokratie in ganz Europa.
"Hier kämpft Autokratie gegen Demokratie"
Sowohl die Bilanz der Kommissionspräsidentin über die vergangenen 12 Monate als auch die inhaltlichen Prioritäten der Europäischen Kommission, die sie für das kommende Jahr darlegte, standen ganz im Zeichen des russischen Angriffs auf die Ukraine und der europäischen Reaktion darauf.
"Die Europäerinnen und Europäer haben sich weder versteckt noch gezaudert", als es im Frühjahr 2022 darum gegangen sei, eine rasche und einhellige Antwort auf das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands zu finden, betonte von der Leyen. "Unsere Union ist als Ganzes mit der Herausforderung gewachsen", sagte sie. Europa werde durch den Krieg auf die Probe gestellt, denn: "Dies ist ein Krieg gegen unsere Energieversorgung, ein Krieg gegen unsere Wirtschaft, ein Krieg gegen unsere Werte und ein Krieg gegen unsere Zukunft. Hier kämpft Autokratie gegen Demokratie."
Die Kommissionspräsidentin kündigte an, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland "von Dauer" sein würden, und stellte weiterhin die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine durch die EU und einzelne Mitgliedstaaten in Aussicht: "Wir werden Putin mit Mut und Solidarität zum Scheitern bringen."
"Paradigmenwechsel" und Ausbau erneuerbarer Energie
Als unmittelbare Antwort auf die steigenden Energiepreise in der EU kündigte Ursula von der Leyen eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis sowie eine "tiefe und umfassende Reform" des Elektrizitätsmarktes an.
Darüber hinaus schlug sie im Namen der Kommission eine Grenze für Übergewinne von Stromanbietern vor. Diese Gewinnabschöpfung soll laut Präsidentin von der Leyen "140 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten" bringen und an die Verbraucherinnen und Verbraucher umverteilt werden.
Langfristig aber müsse die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen verringert werden, betonte von der Leyen. Das gelinge nur durch einen "Paradigmenwechsel" in der Energiegewinnung in Richtung erneuerbarer Energiequellen, wie Wind- und Solarkraft sowie Wasserstoff. In diesem Bereich kündigte die Kommissionspräsidentin umfassende Investitionen an, beispielsweise in den Aufbau einer europäischen Wasserstoffbank.
2023 "Europäisches Jahr der Kompetenzen"
Besondere Aufmerksamkeit widmete Ursula von der Leyen der Stärkung von Klein- und Mittelbetrieben (KMU) in der EU – denn diese seien von der Inflation und allgemeinen Unsicherheit besonders betroffen. Neben einem "KMU-Entlastungspaket" kündigte die Präsidentin auch eine Erhöhung der Investitionen in die Ausbildung von Fachkräften an: "2023 soll das 'Europäische Jahr der Kompetenzen' werden", sagte sie.
Hinsichtlich einer Gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union habe der Krieg in der Ukraine zu einem "Überdenken unserer Agenda" geführt, erklärte von der Leyen. "Es ist Zeit, in die Macht der Demokratie zu investieren", warb sie für eine offensivere Annäherung an potenzielle Bewerberländer. "Deshalb möchte ich die Menschen des westlichen Balkans, der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens wissen lassen: Sie gehören zu unserer Familie, Ihre Zukunft liegt in unserer Union, und unsere Union ist ohne Sie nicht komplett!" Damit die EU künftig für Erweiterungen fähig sei, müsse es aber auch intern zu institutionellen Reformen kommen.
Europaministerin Edtstadler: "Wichtige Impulse"
Bei Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler stießen die Ausführungen von der Leyens auf Zustimmung. "Die Kommissionspräsidentin hat in ihrer Rede wichtige Impulse für die großen Herausforderungen der Europäischen Union gegeben", so Edtstadler. Und: "Die EU hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges bewiesen, dass sie in der Krise wächst." Vor allem die Initiativen rund um eine Reform des Energiemarktes und die gezielte Stärkung der Wirtschaft begrüßte Edtstadler. Den Strom- vom Gaspreis zu entkoppeln sei ein mehr als notwendiger Schritt. "Es gilt gerade jetzt die geopolitischen Interessen Europas voranzustellen, uns auf unsere Wirtschaftsmacht rückzubesinnen und die Europäische Union auch nach innen zu stärken", hob die Europaministerin mit Blick auf notwendige europäische Reformen hervor.
"Eine Union, die fest zusammenhält"
Besonderen Applaus gab es im Plenum des Europäischen Parlaments während der Rede der Kommissionspräsidentin für 3 Gäste, die unter den Abgeordneten Platz genommen hatten – für Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, sowie 2 polnische Aktivistinnen namens Magdalena und Agnieszka. Die beiden jungen Frauen waren unter den Ersten gewesen, die in Warschau in Eigeninitiative breite zivilgesellschaftliche Hilfe für die ankommenden ukrainischen Vertriebenen organisiert hatten. "Ihre Geschichte steht für alles, wofür auch unsere Union steht und wonach sie strebt", so Ursula von der Leyen: Sie zeuge von "Herz, Charakter und Solidarität. Das ist die Seele Europas."
Am 24. August 1991 sagte sich die Ukraine von der Sowjetunion los, 3 Tage danach erklärte sich die Republik Moldau für unabhängig. Bereits im April 1991 hatte Georgien seine Unabhängigkeit erklärt. Am 24. Februar 2022 überfielen russische Truppen die Ukraine, seitdem tobt ein erbitterter Krieg. Nur wenige Tage später stellte die Ukraine einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union; die Beitrittsansuchen von Georgien und Moldau folgten kurz darauf.
Der EU-Beitrittsprozess dauert üblicherweise mehrere Jahre, da er etliche Zwischenschritte umfasst. Im Fall dieser Staaten wurde bei dem ersten Schritt – der Stellungnahme der Kommission über den Beitrittsantrag und einer ersten Stellungnahme des Europäischen Rates – rasch gehandelt, insbesondere auch, um ein politisches Zeichen zu setzen: Schon im Juni 2022 folgte der Europäische Rat der Empfehlung der Europäischen Kommission und verlieh der Ukraine sowie der Republik Moldau den Beitrittskandidatenstatus. Sobald bestimmte Reformen erfüllt sind, könnte auch Georgien der Kandidatenstatus zugesprochen werden.
Dieses Tempo mag erstaunen, unbestritten ist jedoch, dass für die Ukraine, die Republik Moldau – und auch Georgien – die gleichen Kriterien gelten wie für alle anderen Beitrittskandidatenländer und potenzielle Beitrittskandidaten. Dass es für die Länder keine Ausnahmen oder Sonderregelungen gibt, geht auch deutlich aus der Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 17. Juni 2022 hervor. So wird für die Ukraine und die Republik Moldau der Kandidatenstatus zwar empfohlen, jedoch "in der Annahme, dass folgende Maßnahmen ergriffen werden". Die Kommission führt mehrere Bereiche an, in denen Reformen aus ihrer Sicht notwendig sind: In der Ukraine sind das die Themen Korruptionsbekämpfung, Geldwäsche, Medien und Minderheiten; im Fall der Republik Moldau sieht die Kommission Reformbedarf bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, bei der öffentlichen Verwaltung, der Stärkung der Zivilgesellschaft und der Durchsetzung der Menschenrechte. In Bezug auf Georgien nennt die Kommission die Überwindung der politischen Polarisierung, das Funktionieren von staatlichen Institutionen, die Bekämpfung von Korruption und Kriminalität sowie Medienfreiheit und Menschenrechte insbesondere für vulnerable Gruppen als Bereiche, die auf der Reformagenda ganz oben stehen.
Westbalkan im Auge behalten
Österreich begrüßt den Kandidatenstatus der Ukraine und der Republik Moldau als wichtiges Zeichen politischer Solidarität. Außenminister Alexander Schallenberg sieht darin ein klares Signal, diese Staaten als Teil der "europäischen Familie" zu betrachten. Zudem spricht er sich dafür aus, durch konkrete Maßnahmen während des Beitrittsprozesses verstärkt auf die Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Die derzeitigen Assoziierungsabkommen seien nicht ausreichend, um die Menschen zu erreichen, so Schallenberg.
Des Weiteren betont der Außenminister die Wichtigkeit, den Westbalkan im Auge zu behalten: "Die EU darf nicht in einen geostrategischen Tunnelblick verfallen. Wir haben eine Verantwortung nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern genauso gegenüber den Staaten des Westbalkans, die teils seit Jahren Beitrittskandidaten sind." Bereits im Mai 2022 hatten Außenminister Schallenberg und Europaministerin Edtstadler ein informelles Arbeitspapier zur EU-Erweiterung und Nachbarschaftspolitik vorgelegt. Darin werden Vorschläge für mehr Dynamik im EU-Erweiterungsprozess, etwa eine graduelle Integration der Kandidatenländer in wichtige EU-Politikbereiche, erläutert. Denn ein langwieriger Beitrittsprozess berge die Gefahr, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die EU verloren gehe. Gleichzeitig wird klargestellt, dass es aus österreichischer Sicht keine Beitrittswerber "erster und zweiter Klasse" geben darf.
Der Weg zur EU-Mitgliedschaft
- Wenn ein Land Mitglied der EU werden will, läuft ein komplexer, mehrstufiger und auf Einstimmigkeit basierender Prozess an, der Zeit in Anspruch nimmt.
- Ein Land, das der Union beitreten möchte, legt dem Rat der EU einen Mitgliedsantrag vor. Der Rat beauftragt die Kommission, die Fähigkeit des Landes zur Erfüllung der "Kopenhagener Kriterien" in einer Stellungnahme zu beurteilen.
- Auf dieser Grundlage entscheidet der Rat anschließend über die Verleihung des Kandidatenstatus. Ist dies erfolgt, können die Beitrittsverhandlungen anvisiert werden.
- Sobald alle Kapitel abgeschlossen sind, empfiehlt die Kommission das Land für die EU-Mitgliedschaft; ein Beitrittsvertrag wird entworfen. Nach Unterzeichnung und In-Kraft-Setzung des Beitrittsvertrages hat die EU einen neuen Mitgliedstaat aufgenommen.
Bei Übernahme Ihrer Funktion als Präsident haben Sie angekündigt, dass Sie die Rechenschaftspflicht und Transparenz des EU-Handelns während Ihrer Amtszeit weiter verbessern möchten. Was ist dafür nötig?
Rechenschaftspflicht und Transparenz sind wesentliche Elemente einer Demokratie und von zentraler Bedeutung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU und ihre Finanzen. In unserer Strategie für 2021 bis 2025 werden wir unser Mandat als externer Prüfer der Union nutzen, um bestehende Regelungen zu bewerten, allfällige Lücken zu ermitteln und die Daten- sowie Informationsqualität zu untersuchen. Unser Hauptziel ist sicherzustellen, dass die Organe und Einrichtungen, die EU-Mittel verwalten und Politiken der EU umsetzen, für ihr Handeln rechenschaftspflichtig gemacht werden. Als EU-Organ ist der Europäische Rechnungshof auch selbst rechenschaftspflichtig. Wir müssen gegenüber unseren Interessenträgern sowie letztlich gegenüber den EU-Bürgerinnen und -Bürgern – den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern – transparent sein. In dieser Hinsicht haben wir selbst eine Vorbildrolle.
Der Europäische Rechnungshof spielt als unabhängiger externer Prüfer der EU und "Hüter der EU-Finanzen" eine entscheidende Rolle für die Verbesserung der Finanzverwaltung der EU-Mittel. Wie stellt das Organ dies sicher?
Unser Hauptprodukt ist unser Jahresbericht, der die Ergebnisse unserer Prüfungen der Rechnungsführung und Compliance-Prüfungen zum Haushalt der Europäischen Union enthält. Er gibt Auskunft darüber, ob die Jahresrechnung der EU korrekt und zuverlässig ist und die zugrundeliegenden Vorgänge rechtmäßig und ordnungsgemäß sind. Ein erheblicher Teil unserer Arbeit besteht jedoch auch darin, den Haushalt und die Maßnahmen der EU im Hinblick auf die Politikgestaltung und die Umsetzung von Prozessen zu bewerten. Dabei untersuchen unsere Prüferinnen und Prüfer, ob und wie mithilfe bestimmter EU-Ausgaben oder innerhalb bestimmter Politikbereiche Ziele erreicht werden – unter den Gesichtspunkten der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit. Wir führen jährlich rund 30 dieser sogenannten Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch, zuletzt etwa zu Themen wie die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen, die Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen sowie die Bekämpfung illegaler Fischerei.
Wie kann die Prüfungsarbeit in einem sich verändernden Umfeld (Stichwort Covid-19-Pandemie) solide ablaufen?
Die sichtbarste Folge der Pandemie für unsere Arbeit war der zeitweilige Wegfall der Außenprüfungen. Wir haben 2020 und 2021 den größten Teil unserer Arbeit vom Schreibtisch aus und mittels Fernbefragungen der geprüften Stellen durchgeführt. Auch wenn der Wegfall von Vor-Ort-Kontrollen das Risiko erhöht, dass uns Dinge "entgehen", konnten wir anhand der Nachweise, die wir von unseren geprüften Stellen erhalten haben, unsere Arbeit abschließen und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen. Zugleich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf unser Arbeitsprogramm: Zahlreiche unserer Prüfungen befassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Frage, wie gut die EU auf diese beispiellose Krise reagiert hat und welche Lehren sich daraus für die Zukunft ziehen lassen. So haben wir zum Beispiel einen Bericht über die Widerstandsfähigkeit der europäischen Institutionen angesichts der Pandemie sowie zur Beschaffung der Impfstoffe veröffentlicht.
Wie kann sichergestellt werden, dass 37 Prozent der Gelder aus der Aufbau- und Resilienzfazilität in den Klimaschutz fließen und 20 Prozent in die Digitalisierung?
Die Aufbau- und Resilienzfazilität ist ein befristetes neues Instrument. Wir haben erst vor kurzem eine Reihe von Prüfungen zu dessen Untersuchung eingeleitet; es ist daher noch zu früh, die Ergebnisse dieser Arbeit zu kommunizieren. Neu sind die Bedingungen für Zahlungen: Diese fließen erst an die Mitgliedstaaten, wenn vorab festgelegte Etappenziele oder Zielwerte zufriedenstellend erreicht werden. Um ein Beispiel zu nennen: Die Europäische Kommission zahlt für die thermische Sanierung einer zuvor festgelegten Anzahl von Gebäuden. Wir erwarten, dass die Kommission Daten zur Verfügung stellt, die eine Überprüfung und Bewertung der Einhaltung der angestrebten Prozentsätze bei den Ausgaben für Klimaschutz und Digitalisierung ermöglichen.
Angesichts des Krieges in der Ukraine sind alle, auch die kleinste Gemeinde, gefordert, ihren Beitrag zum Energiesparen zu leisten. Seit 2014 veröffentlicht der Europäische Rechnungshof jährlich einen Bericht über seinen "CO2-Fußabdruck". Was bedeutet das im Alltag?
Der Rechnungshof versucht, wie so viele, mit einer Vielzahl kleiner Maßnahmen im Alltag seinen Energieverbrauch zu drücken. Einige davon werden im Rahmen eines langfristigen Klimaplans umgesetzt – wie die Verringerung der Betriebszeit für die Belüftungsanlage um ein Drittel, die Absenkung der Temperatur in den Büroräumen um ein Grad Celsius im Winter (beziehungsweise die Erhöhung um ein Grad im Sommer) sowie der Austausch der verbleibenden herkömmlichen Lampen gegen energieeffiziente LEDs. Unser Ziel ist es, bis 2025 den Verbrauch beim Strom um 30 Prozent und jenen der Heizwärme um 20 Prozent zu senken.
Worin sehen Sie persönlich den "Mehrwert" der Europäischen Union, der über reine Zahlen und Ziffern hinausgeht?
Zwar wird die EU-Mitgliedschaft oft unter der Fragestellung betrachtet, wie viel ein Mitgliedstaat in den EU-Haushalt einzahlt oder daraus ausbezahlt bekommt; doch ist dies eine sehr enge Sichtweise. In erster Linie profitieren die Mitgliedstaaten enorm davon, dass sie Teil des Binnenmarktes sind. Die Mitgliedschaft in der EU erleichtert außerdem einen gemeinsamen koordinierten Ansatz zur Bewältigung zahlreicher Herausforderungen und Probleme, mit denen die Bürgerinnen und Bürger der EU in ihrem Alltag konfrontiert sind, zum Beispiel Fragen zu Gesundheit, Beschäftigung, Klimawandel, Migration, Sicherheit und Terrorismusbekämpfung. Unsere Welt ist komplexer geworden – wir scheinen ständig mit neuen Herausforderungen und Krisen konfrontiert. Die koordinierten Reaktionen der EU auf die Coronavirus-Pandemie und ihre Folgen sowie die rasche Unterstützung der Ukraine führen den "Mehrwert" und Nutzen der EU vor Augen.
Was ist für Sie das besonders Reizvolle an der Tätigkeit in einem (EU-)Prüforgan? Gibt es für Sie einen "Europa-Moment", der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Wer bei einer Finanzkontrollbehörde arbeitet, hat insbesondere auf EU-Ebene die Möglichkeit, dazu beizutragen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Transparenz und Rechenschaftspflicht zu stärken – und an einer widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Europäischen Union mitzuwirken. Allein dies ist aus meiner Sicht sehr attraktiv, da es nur eine begrenzte Anzahl von Laufbahnen gibt, die es ermöglichen, auf diese Weise einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Ein "europäischer Moment" war für mich die Einführung des Euro. Die nationale Währung ist zwar ein Element der Identität eines Landes, doch der Euro hat wirtschaftliche Stabilität und Wachstum gebracht. Durch das Ende der Wechselkursschwankungen innerhalb des Euro-Währungsgebietes wurde die EU zu einer für Investitionen aus Nicht-EU-Ländern attraktiveren Region. Ein weiterer "europäischer Moment" aus der jüngeren Vergangenheit war die EU-Impfstoffstrategie. Durch die Zusammenarbeit bei der zentralen Beschaffung konnte sich die EU ein breites Portfolio sichern und dafür sorgen, dass alle Mitgliedstaaten – unabhängig von ihrer Größe – die Impfstoffe gleichzeitig erhielten.
"143 Einreichungen belegen das große Engagement der Österreicherinnen und Österreicher für die Förderung des Europabewusstseins in Österreich. Dafür möchte ich mich bei allen Menschen und Organisationen, die Projekte für den Europa-Staatspreis eingereicht haben, herzlich bedanken", betonte Europaministerin Karoline Edtstadler anlässlich der Preisverleihung. Im feierlichen Ambiente der Wiener Sofiensäle fanden sich am 14. Juni 2022 zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur ein, um die Preisträgerinnen und Preisträger zu würdigen, darunter die frühere Außenministerin Ursula Plassnik, der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, Martin Selmayr, der niederösterreichische Europa-Landesrat Martin Eichtinger und der Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, Alfred Riedl.
Europaministerin Edtstadler zeigte sich besonders über die große Anzahl der Projekt-Einsendungen und deren überzeugend hohe Qualität erfreut: "Der Einsatz für die europäische Idee ist in Österreich überwältigend: In unseren Schulen und Universitäten, in den zahlreichen Vereinen und Institutionen, in den Ländern und Gemeinden, in der Wirtschaft, der Wissenschaft, bei Medien und besonders auch von unseren Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten. Sie alle regen Diskussionen über europäische Themen an und tragen zur Verständigung in Europa und zur Stärkung des so wichtigen Europabewusstseins in Österreich bei."
Der Europa-Staatspreis 2022: 143 Einreichungen in 5 Kategorien
143 Projekte waren bis zum Ende der Einreichfrist Ende April 2022 im Bundeskanzleramt eingelangt. Die Initiativen, Publikationen und Medienprodukte konnten sowohl von den Projektdurchführenden selbst eingereicht als auch von Dritten nominiert werden, und zwar in den folgenden 5 Staatspreis-Kategorien: "Europa in der Schule", "Europa in der Gemeinde", "Kunst und Kultur", "Innovation und Digitalisierung" sowie "Zukunft Europas".
Nach Einlangen der 143 Einreichungen im Bundeskanzleramt nahmen im Anschluss 5 kategoriespezifische Jurys mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern aus Kunst und Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik sowie Medien jeweils 10 Finalistinnen und Finalisten genauer "unter die Lupe". Die Fachjurys wählten schließlich die 5 Preisträgerinnen und Preisträger aus – angesichts der großen Zahl und hohen Qualität an Einreichungen keine leichte Entscheidung! Entscheidende Kriterien waren insbesondere die Wirksamkeit, Nachhaltigkeit und Kreativität des jeweiligen Projekts.
Kategorie "Europa in der Schule"
"Podcast2go – Unterwegs mit dem Europahaus Graz" (Europahaus Graz)
Durch das innovative und unterhaltsame "Infotainment"-Format spricht "Podcast2go" seit November 2021 in erster Linie eine jugendliche Zielgruppe, vor allem Schülerinnen und Schüler aus der Steiermark, an. Podcast-Moderator Oliver Zeisberger besucht und dokumentiert EU-geförderte Projekte in der Steiermark und spricht mit heimischen EU-Expertinnen und -Experten aus unterschiedlichen Bereichen über ihre "europäischen" Erfahrungen und Tätigkeiten sowie aktuelle Themen.
Bereits seit 1981 engagiert sich das Europahaus Graz für mehr Europabewusstsein in der Steiermark – etwa durch die Organisation von Vorträgen, Aktionstagen und Bildungsreisen. Burkhard Neuper, Vorstand des Grazer Europahauses, über den ausgezeichneten Podcast: "Wir versuchen mit dem Podcast, Schülerinnen und Schüler, aber auch breite Gesellschaftsschichten von Europa zu begeistern. Weil Europa sehr komplex ist, versuchen wir, etwas Licht ins Dunkel zu bringen, Hintergrundinformationen zu verbreiten und Gespräche mit interessanten Menschen zu führen."
Kategorie "Europa in der Gemeinde"
"Europa, meine Heimat und ich" (Jugendzentrum Ausseerland)
Der Verein Jugendzentrum Ausseerland brachte mit dem Jahresprojekt "Europa, meine Heimat und ich" 2021 über 100 Jugendliche, aber auch Kulturinteressierte aus der Region zusammen, um Europa erfahrbar und begreifbar zu machen. Informations- und Diskussionsveranstaltungen widmeten sich Fragen der europäischen Identität sowie Ideen für die europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut 2024. Eine interaktive Fotoausstellung beschäftigte sich mit dem Thema Heimat. Im Rahmen des Projekts wurden zudem Treffen mit Politikerinnen und Politikern, Online-Umfragen zu Ideen von Jugendlichen und Workshops veranstaltet.
Ziel war eine jugendgerechte, zeitgemäße Aufbereitung von EU-Themen. Zu den leitenden Fragestellungen zählten beispielsweise: Wie erkennt man, dass man in Europa ist? Was verbindest Du mit Europa? Willst Du Europa mitgestalten? Mit dem Projekt "Europa, meine Heimat und ich" sind laut Verein Jugendzentrum Ausseerland (bestehend aus dem Jugendzentrum Bad Aussee und dem Jugendtreff Stainach-Pürgg) durch Medienberichte und Social-Media-Präsenz etwa 7.000 Personen erreicht worden.
Kategorie "Kunst und Kultur"
"Accademia Vicino Accumoli" (Universität für Weiterbildung Krems, Department für Bauen und Umwelt)
Die "Accademia Vicino Accumoli" lädt seit 2021 junge Musikerinnen und Musiker jährlich im Sommer zu einer internationalen Orchesterakademie in die italienische Stadt Accumoli ein. Die Orchesterakademie an der "Scuola di Ricostruzione" (Schule des Wiederaufbaus) möchte ein Zeichen für regionale Kulturarbeit, europäisches Zusammenwirken und grenzüberschreitende Solidarität setzen.
Denn das Projekt entstand auf Initiative der Universität für Weiterbildung Krems (Department für Bauen und Umwelt). Unter ihrer Leitung widmen sich 8 europäische Universitäten und Forschungseinrichtungen den Fragen des Wiederaufbaus der 2016/17 von einer Erdbebenserie erschütterten Stadt in Mittelitalien. Neben der Rekonstruktion der historischen Gebäude konzentriert sich das Projekt auch auf die Wiederbelebung der kulturellen und sozialen Strukturen – unter anderem durch die Kraft der Musik. Universitätsprofessor Christian Hanus, Leiter des Departments für Bauen und Umwelt, sowie Dirigent und Universitätsprofessor Johannes Wildner freuten sich über die Auszeichnung: "Es ist eine große Freude für uns, dass dieses Vorzeigeprojekt, das Teil einer gesamtheitlichen Strategie für den Wiederaufbau Accumolis ist und positiven Einfluss auf die Entwicklung einer neuen Kulturgesellschaft in der Region Accumoli hat, mit dem Europa-Staatspreis gewürdigt wird."
Kategorie "Innovation und Digitalisierung"
thinkers.ai – Europäische Suchmaschinentechnologie (Isabell Claus)
"Finden statt suchen" ist das Motto der Suchmaschinentechnologie thinkers.ai. Diese "Findmaschine", deren Ergebnisse nicht werbefinanziert sind, basiert auf künstlicher Intelligenz und ist die einzige technologisch unabhängige Suchmaschine in Europa, die das Internet selbst indexiert und nicht auf die Web-Daten internationaler Konzerne zurückgreift. Eine maschinelle Textanalyse grenzt die Fundstellen weiter ein und liefert themenrelevantere Ergebnisse, als man es bisher gewohnt war.
Im Fokus stehen laut Gründerin Isabell Claus auch die Interaktion zwischen Nutzerinnen und Nutzern und der "Findmaschine" sowie eine einfache Bedienung ohne großen Schulungsaufwand. Mit dem Projekt werden Schlüsselfragen der digitalen Souveränität und technologischen Autonomie der EU angesprochen und in die Praxis umgesetzt.
Kategorie "Zukunft Europas"
"25-Prozent-Projekt – Junge Stimmen für die EU-Zukunftskonferenz" (Bundesjugendvertretung)
Junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren machen 25 Prozent der europäischen Bevölkerung aus. Ihr Anteil an (politischen) Entscheidungsprozessen ist hingegen häufig deutlich geringer. Das Projekt verschaffte jungen Menschen im Rahmen der "Konferenz zur Zukunft Europas" Gehör und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Zu diesem Zweck fanden in Österreich 10 Veranstaltungen auf lokaler Ebene statt, bei denen insgesamt 968 Ideen zur Zukunft Europas erarbeitet wurden. Diese konnten im Februar 2022 bei einer digitalen Zukunftskonferenz an europäische Entscheidungsträgerinnen und -träger übergeben werden.
Mit einer eigenen Webseite und Social-Media-Präsenz erreichte das von der Bundesjugendvertretung (BJV) organisierte "25-Prozent-Projekt" die Zielgruppe punktgenau. "Als Interessenvertretung setzen wir uns dafür ein, dass die Anliegen junger Menschen genauso gehört und berücksichtigt werden wie die anderer Bevölkerungsgruppen und dass junge Menschen ihre Stimme einbringen können", betonte BJV-Vorsitzende Sabrina Prochaska, die gemeinsam mit BJV-Geschäftsführerin Eleonora Kleibel die Auszeichnung entgegennahm. Die BJV ist die gesetzlich verankerte Interessenvertretung aller Kinder und Jugendlichen in Österreich und zählt 59 Mitgliedsorganisationen.
Herr Bundesminister, der Krieg in der Ukraine hat zu gravierenden Veränderungen und Verwerfungen geführt, deren Folgen weltweit zu spüren sind. Die EU hat rasch und geeint gehandelt. Welche ersten Schlüsse können aus der engen Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene gezogen werden?
Schallenberg: Der russische Angriffskrieg ist ein Angriff auf Europa, auf unsere Freiheit und auf unser westliches demokratisches Wertesystem. Wenn Präsident Putin versucht, mit Gewalt die Grenzen Europas neu zu ziehen, so ist dieser Zivilisationsbruch völlig inakzeptabel. Ich konnte mich bei meinem Besuch in der Ukraine Mitte Juli selbst vom ungeheuren Ausmaß der Zerstörungen und des menschlichen Leids überzeugen. Doch der Krieg hat Europa enger zusammengeschweißt – es ist das Gegenteil dessen eingetreten, was Präsident Putin zu erreichen versucht hat: Wir stehen für unsere regelbasierte Weltordnung, für Völkerrecht und Menschenrechte ein. Die von der EU in nie dagewesenem Umfang verabschiedeten Sanktionspakete zeigen dabei: Es ist wichtig, dass Sanktionen – für welche Russland als Aggressor die alleinige Verantwortung zu tragen hat – vor allem dem Putin-Regime schaden, obwohl wir immer gesagt haben, dass diese auch für uns schmerzhaft sein werden. Es sind Nervenstärke, Geduld und vor allem Augenmaß nötig, denn es ist klar: Die Sanktionen sind keine kurzfristigen, sondern langfristige Maßnahmen.
Frau Bundesministerin, eine glaubwürdige europäische Perspektive für die 6 Westbalkan-Staaten ist eine außen- und europapolitische Priorität für die Bundesregierung. Welche Botschaft gilt es der Bevölkerung auf dem Westbalkan zu vermitteln – und auch den diesbezüglich vielfach skeptisch eingestellten Österreicherinnen und Österreichern?
Edtstadler: Zum einen ist die EU-Erweiterung eine Frage der europäischen Sicherheit und eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU. Wenn wir auf dem Westbalkan das schon vorhandene Vakuum nicht füllen, tun es Russland oder China. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen die EU-Erweiterung auch als geopolitisches Instrument verstehen. Zum anderen muss man sagen, dass sich insbesondere Nordmazedonien und Albanien, mit denen nun endlich die Beitrittsgespräche gestartet wurden, diesen Schritt wahrlich verdient haben. In diesen Ländern sind schmerzhafte Reformen umgesetzt worden, Nordmazedonien hat etwa den Staatsnamen geändert. Diese Länder bieten auch viele Chancen für österreichische Unternehmen. Gerade dieses Potenzial müssen wir nutzen.
Sie haben sich in den vergangenen Monaten öfters gegen ein sogenanntes "Fast Track"-EU-Beitrittsverfahren für die Ukraine ausgesprochen und sich für Fortschritte bei der europäischen Integration der Westbalkan-Staaten eingesetzt. Welche konkreten Signale kann und soll die EU in Richtung Westbalkan senden?
Schallenberg: Es war uns wichtig, dass bei allen Kandidatenländern dieselben klaren und etablierten Kriterien, Verfahren und Bedingungen eingehalten werden. Ein "beschleunigtes" Beitrittsverfahren ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen, und es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Die Westbalkan-Länder warten zum Teil seit Jahren auf positive Signale von der EU. Die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien am 19. Juli ist ein solcher, längst überfälliger Schritt.
Edtstadler: Die EU muss ihre Versprechen halten. Ich bin daher froh, dass es auch aufgrund des Drängens aus Österreich beim letzten Europäischen Rat nun eine neue Dynamik gibt. Wir setzen uns für den Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina ein und für eine Visaliberalisierung für Kosovo. Klar ist, dass das Tempo der Beitrittsverhandlungen immer die Beitrittskandidaten bestimmen. Sie haben es in der Hand und müssen die notwendigen Reformen einleiten, um die Annäherung an die EU zu schaffen.
Die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien ist ein längst überfälliger Schritt.
Alexander Schallenberg, Bundesminister
Der Krieg in der Ukraine stellt nicht nur die Invasion Russlands in fremdes Staatsgebiet dar, sondern auch ein Ringen um Informationsmacht und einen Angriff auf das europäische Lebensmodell. Wie kann die EU diesem Angriff entgegentreten und europäische Werte wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit effektiv stärken?
Edtstadler: Putin tritt das Völkerrecht mit Füßen und fürchtet Demokratien in seiner Nachbarschaft. Er möchte das westliche, liberale Lebensmodell, das uns in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs Wohlstand und Frieden gebracht hat, scheitern sehen. Das wird ihm aber nicht gelingen, denn wir Europäerinnen und Europäer werden unsere Werte verteidigen; und wir haben mit der Verabschiedung der harten Sanktionspakete Wille und Einigkeit bewiesen. Auch wenn wir unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nie aus den Augen verlieren dürfen, hat sich die Europäische Union nicht spalten lassen. Das ist ein starkes Zeichen europäischer Handlungsfähigkeit. Ein wichtiges Thema, das Sie angesprochen haben, ist die Frage der Informationsmacht und die Problematik der gezielten Desinformation und Propaganda. Mit dem kürzlich verabschiedeten "Digital Services Act" hat die EU nun einen rechtlichen Hebel, effizienter gegen Desinformation und Hass im Netz vorzugehen. Das ist wichtig und richtig.
Die Beitrittskandidaten müssen die notwendigen Reformen einleiten, um die Annäherung an die EU zu schaffen.
Karoline Edtstadler, Bundesministerin
Österreich und die EU sind zunehmend mit komplexen Herausforderungen im Sicherheits- und Verteidigungsbereich konfrontiert. Welche Bedeutung hat für Sie auch angesichts dieser Entwicklungen die österreichische Neutralität?
Schallenberg: Die Neutralität ist in unserer Verfassung verankert. Wir schließen uns keinen Militärbündnissen an, wir wollen keine Militärbasen in Österreich. Politisch gesehen sind wir aber niemals neutral, wenn das Völkerrecht gebrochen und die territoriale Integrität eines Landes angegriffen wird. Gleichzeitig beteiligen wir uns seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 solidarisch an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, etwa durch einen überdurchschnittlich großen personellen Beitrag bei militärischen EU-Einsätzen im Ausland. Es greift daher zu kurz, wenn wir die sicherheitspolitische Diskussion rein auf die Neutralität beschränken. Wir sollten vielmehr überlegen, welchen Beitrag Österreich zur europäischen Sicherheit und Verteidigung leisten kann. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Neutralität nicht zugleich Sicherheit bedeutet.
Österreich profitiert in vielerlei Hinsicht von der EU-Mitgliedschaft – rechtlich und politisch sowie wirtschaftlich. Dennoch erleben viele Menschen die EU als "weit weg". Wie kann dieses Bild Ihrer Ansicht nach zurechtgerückt werden und mehr Mitbestimmung gelingen?
Edtstadler: Die Strukturen der EU erscheinen oft kompliziert und viele Menschen fragen sich zu Recht, wer und was "Brüssel" überhaupt ist. Die EU muss man auf Augenhöhe erklären und die Vorteile, aber natürlich auch die Probleme und Verbesserungsnotwendigkeiten klar ansprechen. Mit der "Konferenz zur Zukunft Europas" hat dieses Jahr der größte Bürgerbeteiligungsprozess in der Geschichte der EU seinen Abschluss gefunden. Ich bin stolz, dass Österreich dabei zu den aktivsten Mitgliedstaaten zählt. Umso wichtiger ist jetzt, dass auf EU-Ebene die Reformvorschläge auch umgesetzt werden. Dafür setze ich mich mit aller Kraft ein.
Wie gelingt es Ihnen, angesichts zahlreicher Auslandsreisen den Kontakt und die Verbundenheit mit den österreichischen Bundesländern und Regionen zu bewahren?
Schallenberg: In meiner Tätigkeit als Außenminister verbringe ich viel Zeit auf Dienstreisen im Ausland. Der Kontakt mit den Auslandsösterreicherinnen und -österreichern ist mir wichtig, sind sie doch so etwas wie unser zehntes Bundesland. Mir ist es aber nie schwergefallen, die Verbundenheit mit Bundesländern und Regionen zu bewahren. Denn gerade wenn man viel Zeit im Ausland verbringt, werden einem der Wert und die Vorzüge der Heimat bewusst.
Die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sind gewissermaßen das "Gesicht" der EU auf regionaler und lokaler Ebene. Wie kann die Europäische Union Ihrer Meinung nach für die Menschen noch besser erfahrbar und erlebbar werden?
Edtstadler: Die über 1.500 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte bauen auf vielfältige Weise die Brücke zwischen den Menschen in den Regionen und den Institutionen auf österreichischer und europäischer Ebene. Ihr Engagement ist der Schlüssel, um die Chancen Europas direkt bei den Menschen in den Gemeinden aufzuzeigen und etwa bei Förderanliegen zu unterstützen. Ich bedanke mich bei jeder einzelnen Europa-Gemeinderätin und jedem einzelnen Europa-Gemeinderat für dieses Engagement und bin sehr stolz, dass diese Initiative von der Kommission nun in allen EU-Mitgliedstaaten ausgerollt wird. Das bestätigt unsere österreichische Vorbildrolle in der Europa-Kommunikation.
Sie haben Ihre Kindheit und Jugend in mehreren Ländern verbracht und neben Wien auch in Paris und Brügge studiert. Wie haben Sie die EU damals wahrgenommen und was hat sich seitdem am stärksten verändert?
Schallenberg: Das Europa der offenen Grenzen ist für viele Menschen mittlerweile selbstverständlich geworden. Das war in meiner Kindheit und Jugend noch nicht so. Gerade Österreich hat durch seine Grenze entlang des Eisernen Vorhangs die Teilung Europas besonders deutlich gespürt. Die EU war in dieser Zeit der Gegenentwurf zu dieser Teilung. Nach der Jahrtausendwende, als ich an der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel tätig war, kam es zu großen positiven Umbrüchen, was die Verbindungen zu unseren Nachbarländern betrifft. Ein Meilenstein war sicher die EU-Erweiterung im Jahr 2004, mit der wir die europäische Teilung endgültig überwunden haben. Es freut mich, dass die europäische Familie seitdem stetig weiterwächst.
Ich bedanke mich bei jeder einzelnen Europa-Gemeinderätin und jedem einzelnen Europa-Gemeinderat.
Karoline Edtstadler, Bundesministerin
Nach Beginn des Krieges sind Sie als eine der ersten führenden Politikerinnen und Politiker in die Ukraine gereist. Was war Ihre Intention und welche Eindrücke hat diese Reise bei Ihnen hinterlassen?
Es kommt ein Punkt, an dem Worte nicht mehr ausreichen. Ich fühlte mich verpflichtet, durch diese Reise die unerschütterliche Unterstützung des Europäischen Parlaments für die Ukraine zum Ausdruck zu bringen – wie auch andere Politikerinnen und Politiker. Das ist eine starke politische Botschaft an Putin: Wir bleiben geeint, wir sind stark und wir haben keine Angst. Das ukrainische Volk zeigt Mut, Stärke und Widerstandsfähigkeit; es kämpft nicht nur für seine Freiheit, sondern auch für unsere Werte. Für Europa.
Der Europäische Rat hat der Ukraine im Juni den Status eines Bewerberlandes zuerkannt. Welche Symbolik sehen Sie in dieser Entscheidung?
Diese Entscheidung war nicht nur historisch, sondern soll allen Ukrainerinnen und Ukrainern auch zeigen, dass sie nicht alleine sind. Dass die EU an ihrer Seite steht. Es ist nicht nur ein symbolischer Akt, sondern er stärkt die Ukraine – und wird auch die EU stärken. Jedes Land hat seinen eigenen Weg zum Beitritt, aber der Kandidatenstatus bedeutet einen Impetus für die Reformagenda, den Zugang zu EU-Programmen und greifbare Fortschritte für die leidtragende Bevölkerung in der Ukraine.
Nach über 2 Jahren Pandemie und vor dem Hintergrund des Klimawandels bringt nun der Krieg in der Ukraine unabsehbare globale Folgen mit sich. Wofür kann, wofür soll sich die EU in diesen unsicheren Zeiten einsetzen?
Ich bin stolz auf die einstimmige Antwort unserer Union auf den widerrechtlichen Angriff Putins auf die Ukraine. Unsere Reaktion schadet Russland – aber die europäischen Bürgerinnen und Bürger spüren auch bereits Folgen, sei es in Form von steigenden Preisen, bei der Energieversorgung oder dem Zustrom von Vertriebenen. Der Krieg hat zudem Auswirkungen auf den globalen Süden, etwa in Bezug auf die Lebensmittelknappheit. Wir können nichts mehr als selbstverständlich ansehen. Wir müssen unsere demokratischen Werte und Grundsätze weiterhin mit der gleichen Intensität verteidigen, mit der sie angegriffen werden, unsere Abhängigkeiten von autokratischen Regimen verringern – auch in Bezug auf Gas und Öl – und uns für den Aufbau einer echten Sicherheits- und Verteidigungsunion einsetzen.
Welche Reformen sollte die EU in ihrem inneren Gefüge umsetzen, damit sie auch nach außen hin als "Global Player" wahrgenommen wird?
Das Wichtigste zuerst: Wir müssen uns von russischer Energie entkoppeln. Zweitens müssen wir unser Energiemodell ändern und uns auf den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der "grünen" Energieinfrastruktur in der EU und die Verbesserung der Verbundnetze konzentrieren. Was wir aus dieser Krise gelernt haben: Beim "grünen" Übergang geht es ebenso sehr um Sicherheit wie um das Klima. Eine "bessere" EU erfordert aber auch deren erhöhte Handlungsfähigkeit in anderen wichtigen Bereichen wie Gesundheit und Sicherheit. Einige Änderungen können wir im Rahmen unseres derzeitigen Rechtsrahmens umsetzen, andere wiederum erfordern die Einrichtung eines Europäischen Konvents.
Bei der "Konferenz zur Zukunft Europas" zählte Österreich zu den aktivsten Mitgliedstaaten. Welche Weichen sollte die EU aus Sicht des Europäischen Parlaments nun bezüglich mehr Mitbestimmung stellen?
Ich bin dankbar für das Engagement der Österreicherinnen und Österreicher sowie der Bevölkerung in allen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der EU-Zukunftskonferenz. Ich kann Ihnen versichern, dass das Europäische Parlament sein zu Beginn gegebenes Versprechen einhalten wird: Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger werden gehört. Die EU-Zukunftskonferenz hat die Kraft der partizipativen Demokratie aufgezeigt, aber auch, dass eine Kluft zwischen den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger und dem, was Europa gegenwärtig leisten kann, besteht. Deshalb brauchen wir als nächsten Schritt einen Konvent. Es gibt Themen insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Energie und Verteidigung, die nicht warten können.
In Österreich trägt die Initiative "Europa fängt in der Gemeinde an" seit 2010 wesentlich zur Debatte über EU-Themen auf regionaler und lokaler Ebene bei. Welche Akzente setzt das Europäische Parlament?
Unsere Regionen sind die erste Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger und bilden die alltäglichen Realitäten und Interessen ab, die auf europäischer Ebene bestmöglich vertreten werden sollen. Deshalb muss man sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass die Regionen im Mittelpunkt unserer Politik bleiben. Das Europäische Parlament nimmt die Anliegen der lokalen und regionalen Bevölkerung ernst. Unsere nächsten Schritte sind die Anpassung des "Green Deals" an die lokale Ebene, die Verbesserung der Gesundheitssysteme und die Stärkung von Wirtschaft, Beschäftigung und sozialer Gerechtigkeit.
Welche Rolle werden die Gemeinden und Regionen bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2024 spielen?
Wir müssen die europäischen Ideale und Entscheidungen den Menschen in den verschiedenen Städten und Dörfern Europas nahebringen. Ich kann die Rolle der Gemeinden und Regionen bei jeder Europawahl, auch bei der kommenden, nicht hoch genug einschätzen. Sie sind der wichtigste Kommunikationskanal der EU-Ebene zu all jenen Bürgerinnen und Bürgern, die sich von der Arbeit der europäischen Institutionen mitunter weit entfernt fühlen. Eine meiner Prioritäten ist es, gemeinsam besser über die EU zu informieren und dazu beizutragen, dass die Bürgerinnen und Bürger den Glauben und die Begeisterung für das europäische Projekt wiederfinden. Dass Europa sicherer und fairer, gerechter und gleicher wird.
Unsere Regionen sind die erste Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger und bilden die alltäglichen Realitäten ab.
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments
Sie sind die bisher jüngste Person an der Spitze des Europäischen Parlaments, und auch die erst dritte Frau in dieser Funktion. Wie kann es gelingen, dass mehr Frauen in politischen Ämtern vertreten sind und an die Spitze gelangen?
Ich war eine der ersten weiblichen maltesischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Es ist nicht einfach, in der Politik zu sein – und eine Frau in der Politik zu sein, macht es nicht einfacher. Unabhängig von Wahlergebnissen müssen wir immer noch Tag für Tag beweisen, dass wir dem Amt gewachsen sind – dass wir die Arbeit genauso gut und manchmal sogar besser machen können als viele Männer. Trotz großer Fortschritte im Bereich der Geschlechtergleichstellung liegen Jahrzehnte der Ungleichheit hinter uns, die es zu korrigieren gilt. Frauen in Führungspositionen haben auf allen Ebenen und in allen Bereichen die Welt verändert. Als Präsidentin des Europäischen Parlaments ist es mein Ziel, den Weg für künftige Generationen von Frauen zu ebnen und zu erleichtern.
Sie sind bereits öfters zu Gast in Österreich gewesen. Was ist Ihnen von diesen Besuchen in Erinnerung geblieben?
Besonders sind dies die imposanten Gebäude Wiens, die Weite der Landschaft, der unerschöpfliche kulturelle Reichtum Ihres Landes und natürlich Österreichs köstliche Sachertorte und Apfelstrudel. Ich freue mich darauf, Österreich in den kommenden Monaten auch in meiner Funktion als Präsidentin des Europäischen Parlaments zu besuchen.
Trotz Fortschritten im Bereich der Geschlechtergleichstellung liegen Jahrzehnte der Ungleichheit hinter uns.
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments
Sie wurden auf Malta geboren, haben unter anderem in Belgien studiert und sind mit einem Finnen verheiratet. Was ist für Sie persönlich der größte Mehrwert der EU? Gibt es für Sie einen besonders wichtigen "Europa-Moment"?
Für meine Generation gibt es kein "altes" oder "neues" Europa. Ich hatte das Glück, der ersten "Erasmus"-Generation anzugehören, was es mir ermöglicht hat, im beruflichen Bereich ein europäisches Profil zu entwickeln, das sich zwangsläufig auch auf mein Privatleben ausgewirkt hat. Für meine Generation ist die Europäische Union nicht nur ein Wirtschaftsblock: Es geht nicht nur um Freizügigkeit oder die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Für meine Generation geht es bei Europa um einen gemeinsamen Traum. Um gemeinsame Werte. Um eine gemeinsame Zukunft. Wenn ich meinen "Europa-Moment" wählen müsste, wäre das zweifellos der Tag, an dem mein Heimatland Malta 2004 endlich der EU beitrat. Ich weiß noch, wie ich um Mitternacht in unserem Grand Harbour in Valletta stand und die Sekunden zählte, bis Malta zusammen mit 9 anderen Ländern der Union beitrat. Ich erinnere mich noch immer an das Gefühl der unendlichen Möglichkeiten, der Hoffnung und des Glaubens an die Zukunft. Denn Europa ist die Zukunft.
Die Verfügbarkeit von Gigabit-Internet konnte in Österreich bereits mit der "ersten Breitbandmilliarde" gesteigert werden: Von Beginn des Jahres 2020 bis Ende 2021 wuchs die Versorgung mit schnellem Internet deutlich, und zwar von 45 auf 57 Prozent (Verfügbarkeitsgrad mit gigabitfähigen Festnetzanschlüssen in österreichischen Haushalten). Mit der "Initiative Breitband Austria 2030" soll das Ziel der bestmöglichen Versorgung mit leistungsfähigen und leistbaren Internet- Verbindungen nun weiterverfolgt werden. Gezielte Förderungsinstrumente, in die über den österreichischen Aufbau- und Resilienzplan EU-Mittel fließen, tragen dazu bei – ein wichtiger Hebel für mehr Chancengleichheit zwischen Stadt und Land sowie die digitale Inklusion der österreichischen Regionen.
Förderungen für "Connect" und GigaApp"
Seit März 2022 laufen die Ausschreibungen für Förderungen entsprechender Projekte. 660 Millionen Euro der insgesamt 1,4 Milliarden Euro umfassenden "zweiten Breitbandmilliarde" sind für 4 Themenbereiche vorgesehen: "Access", "OpenNet", "Connect" und "GigaApp". Diese decken unterschiedliche Aspekte ab, die für eine flächendeckende Breitbandversorgung Österreichs nötig sind. Die Einreichungen für "Access" und "OpenNet" sind bereits abgeschlossen, in den anderen beiden Kategorien sind Anmeldungen möglich.
"Connect" unterstützt die Herstellung eines Glasfaseranschlusses für öffentliche Einrichtungen, land-und forstwirtschaftliche Betriebe sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Maximal 75 Prozent der Projektkosten werden übernommen, öffentliche Bildungseinrichtungen können sogar mit bis zu 90 Prozent der Herstellungskosten gefördert werden. "GigaApp" geht einen Schritt weiter und fördert innovative regionale 5G-Anwendungen auf Basis von gigabitfähigen Netzen. Bis zu 60 Prozent der Kosten derartiger Projekte werden von der öffentlichen Hand getragen. Um die Entwicklung solcher Apps weiter voranzutreiben, hat die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gemeinsam mit dem Bundesministerium für Finanzen (BMF) die "Gigabit Academy" als besonderes Serviceangebot ins Leben gerufen. Sie bietet Workshops, Seminare und Coachings für alle Interessierten an.
Notwendige Innovationen
Die Förderungsansuchen für "Connect", "GigaApp" und weitere Instrumente werden von der FFG abgewickelt. Henrietta Egerth und Klaus Pseiner von der FFG-Geschäftsführung betonen die Wichtigkeit der Initiative: "Homeoffice, digitale Amtswege, Homeschooling und Videotelefonieren haben die vergangenen Jahre geprägt. Wie wichtig schnelles und stabiles Internet ist, haben wir alle erlebt. Die digitale Zukunft aktiv mitzugestalten bedeutet deshalb auch, einen fruchtbaren Boden für dringend notwendige Innovationen zu schaffen."
Überblick über den Status der heimischen Breitbandversorgung
Über den EU-Aufbauplan
Als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie hat die EU bereits im Sommer 2020 mit "Next Generation EU" (NGEU) ein 806,9 Milliarden Euro schweres Wiederaufbauinstrument auf den Weg gebracht. Herzstück ist die Aufbau- und Resilienzfazilität, die den Mitgliedstaaten bis 2026 Zuschüsse und Darlehen zur Verfügung stellt – geknüpft an Reformvorgaben sowie die Erreichung von Etappenzielen und Meilensteinen. Mindestens 37 Prozent müssen von den Mitgliedstaaten in den "grünen", 20 Prozent in den digitalen Wandel investiert werden.
Im österreichischen Aufbau- und Resilienzplan stehen insgesamt 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung, davon stammen 3,75 Milliarden Euro aus EU-Mitteln. Der Schwerpunkt liegt bei zukunftsorientierten Reformen und Investitionen: So fließen die Mittel in Projekte wie den Breitbandausbau, den bundesweiten "Reparaturbonus", "Community Nursing", die Förderung des Austausches von Öl- und Gasheizungen oder die Bereitstellung von Notebooks und Tablets für Schülerinnen und Schüler.
Weitere Informationen zum EU-Aufbauplan, Website des Bundeskanzleramts
Interview
Florian Tursky
Staatssekretär für Digitalisierung und Telekommunikation
Bis 2030 soll Österreich flächendeckend mit Gigabit-Infrastruktur versorgt sein. Wie weit ist der digitale Ausbau?
Wir alle brauchen schnelles und stabiles Internet, egal ob beruflich oder privat. Daher haben wir uns auch das ambitionierte Ziel gesetzt, Österreich bis 2030 flächendeckend mit festen und mobilen Gigabit-Anschlüssen zu versorgen. Einerseits haben wir seit 2015 über die Breitbandförderung des Bundes den Ausbau in 1.399 Gemeinden und damit für rund 1,1 Millionen Menschen erreicht, und andererseits haben wir im März den Startschuss zum Fördercall der "zweiten Breitbandmilliarde" gegeben. Da vor allem in den ländlichen Regionen der Ausbau oft schwierig und teuer ist, investieren wir bis 2026 im Rahmen der zweiten Breitbandmilliarde insgesamt 1,4 Milliarden Euro.
Welche Chancen bietet "Breitband Austria 2030" für den ländlichen Raum?
Die Breitbandinitiativen tragen mit Förderungsinstrumenten zur digitalen Chancengleichheit zwischen Stadt und Land bei. Der Ausbau beruht auf 3 Säulen:
Privatwirtschaftlicher Ausbau durch die Telekommunikationsunternehmen, Förderungen im Rahmen der "Initiative Breitband Austria 2030" und breite Versorgungsauflagen an die Betreiber im Rahmen der Frequenzvergabe für Mobilfunk.
Österreich soll zu einer der führenden Digitalnationen in der EU werden. Wie erreichen wir dieses Ziel?
Wir werden in den Breitbandausbau und in die digitale Verwaltung investieren. Einen Meilenstein werden die digitalen Ausweise, allen voran der digitale Führerschein, darstellen. Neben der Infrastruktur ist die beste technologische Neuerung wertlos, wenn sie nicht genutzt werden kann. Wesentlich ist daher, das digitale Know-how der Bürgerinnen und Bürger zu fördern.
Herr Bundeskanzler, im Moment überlagern sich mehrere Krisen: der Klimawandel, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine. Wie können wir als Gesellschaft diesen permanenten Krisenmodus bewältigen und dabei unsere Zuversicht auch in Zukunft bewahren?
Insbesondere in Zeiten wie diesen ist es wichtig, den Blick auch über die Zeit der Krise hinaus zu richten. Das ist nicht immer einfach, denn die Menschen sind seit über 2 Jahren mit Problemen konfrontiert, die ihr Leben direkt betreffen. Zuerst die Coronavirus-Pandemie, die massive Einschränkungen in vielen Bereichen des täglichen Lebens gebracht hat – von Hochzeiten bis hin zu Großveranstaltungen, die verschoben werden mussten. Jetzt, wo die auslaufende Omikron-Welle uns eine Verschnaufpause ermöglicht, trifft uns die Teuerung in ganz Europa hart. Als Politik ist es unsere Aufgabe, die Effekte der Krisen bestmöglich abzufedern und darüber hinaus Perspektiven zu geben. Mit den ersten beiden Anti-Teuerungs-Paketen mit einem Volumen von rund 4 Milliarden Euro sowie der ökosozialen Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von rund 18 Milliarden Euro konnten wir insbesondere kleine und mittlere Einkommen entscheidend entlasten. Wenn es weitere Unterstützung braucht, wird es diese auch geben. Klar ist aber: Jede Krise geht irgendwann vorüber und wir müssen auch die Weichen für die Zeit danach stellen. Das tun wir, indem wir das Regierungsprogramm Stück für Stück abarbeiten und Reformen auf den Weg bringen, wie beispielsweise die neue Rot-Weiß-Rot-Karte oder die Pflegereform.
Die genannten Krisen führen zu Fragestellungen etwa in Bezug auf die künftige Energieversorgung, ökonomische Abhängigkeiten oder unser europäisches Sicherheitsgefüge. Wie kann die EU ihrem historischen Anspruch gerecht werden, den Frieden in Europa zu wahren und gleichzeitig einen hohen Lebensstandard für möglichst alle Bürgerinnen und Bürger zu sichern?
Die Coronavirus-Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Teuerung, die Gas-Problematik und auch die globalen Lieferengpässe haben definitiv für ein Umdenken in Europa gesorgt. Themen wie Sicherheit, Krisenvorsorge und Unabhängigkeit in Energie- und Produktionsfragen standen auf europäischer Ebene noch nie so hoch oben auf der politischen Agenda wie heute. Obwohl die Umstände, die dazu geführt haben, in höchstem Maße unerfreulich sind, halte ich es zumindest für wichtig, dass wir nun über diese Dinge sprechen. In einem nächsten Schritt müssen wir als Europäische Union aber auch die richtigen Ableitungen aus den Lehren der Krisen treffen. In Österreich gehen wir bereits in großen Schritten voran. Wir sind gerade dabei, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, legen strategische Reserven an, stärken das Bundesheer ebenso wie den Standort, damit Industriebetriebe auch in Zukunft essenzielle Produktionsgüter hier in Österreich herstellen und nicht aus China oder anderen Staaten importieren. Vieles davon sollten wir auch auf europäischer Ebene rasch auf den Weg bringen.
Sie waren beim Bundesheer aktiv und zuletzt Innenminister. Wie haben Sie den 24. Februar 2022 – jenen Tag, an dem der Krieg auf europäischen Boden zurückgekehrt ist – wahrgenommen?
Als Soldat ist es das oberste Ziel, immer bestmöglich auf den Ernstfall vorbereitet zu sein, und als Politiker habe ich zugleich dafür zu sorgen, dass dieser nicht eintritt. Diesen Grundsatz habe ich auch als Bundeskanzler beibehalten. Tatsache ist aber, dass es in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Angriffskrieg eines Staates gegen einen anderen gegeben hat. Insofern kann keine der heute in der EU handelnden Personen behaupten, auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine vorbereitet gewesen zu sein. Wir haben uns zwar darauf eingestellt, dass dieser Fall eintreten könnte, weil wir dank der hervorragenden Arbeit der Nachrichtendienste ein gutes Bild von der Lage vor Ort und möglichen Szenarien hatten. Als dann aber am 24. Februar frühmorgens der Anruf kam, dass es nun tatsächlich passiert ist, hat mich das dennoch hart getroffen, weil ich hoffte, Krieg mitten in Europa nie erleben zu müssen. Gleichzeitig nimmt man als Regierungschef dann im selben Atemzug die Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung wahr und tut alles, um sein Land bestmöglich vor den Folgen zu bewahren.
Als Politik ist es unsere Aufgabe, die Effekte der Krisen bestmöglich abzufedern und Perspektiven zu geben.
Karl Nehammer, Bundeskanzler
Hat der 24. Februar 2022 Ihre Sicht auf die EU verändert?
Ich habe es immer schon als Privileg empfunden, in einem Land zu leben, das Teil der Europäischen Union ist. Die EU hat es aber in den vergangenen Jahren oft nicht geschafft, nach außen hin geschlossen aufzutreten und in wichtigen Fragen, wie etwa der Migration, eine klare Meinung zu vertreten. Als wir bei der Sondersitzung des Europäischen Rates am 24. Februar – noch am Tag der Invasion Russlands in der Ukraine – einstimmig das erste Sanktionspaket beschlossen haben, hat die Union der ganzen Welt Einigkeit und damit auch weltpolitische Relevanz gezeigt. Das hat mich beeindruckt. Die EU zeigt auch weiterhin Geschlossenheit, was Putin überrascht hat. Wir müssen alles daran setzen, geeint aufzutreten. Das heißt aber auch, mögliche weitere Sanktionen zuvor intern so gut vorzubereiten, dass sie dann auch beschlossen werden können, sobald sie der Öffentlichkeit bekannt sind.
Was sagen Sie jenen, die zur Energieversorgungssicherheit nun wieder verstärkt auf Atomkraft setzen wollen?
Österreich hat immer eine klare Meinung zu diesem Thema vertreten und dazu stehen wir weiterhin: Atomkraft ist keine nachhaltige oder sichere Form der Energiegewinnung. Ich halte es für kurzsichtig und einen Fehler, die Frage der Nachhaltigkeit nur daran festzumachen, ob es CO2-Emissionen gibt. Insbesondere das Problem der Endlagerung von radioaktivem Abfall ist noch immer nicht zufriedenstellend gelöst. Dazu kommt die Gefahr eines atomaren Unglücks – als jemand, der Tschernobyl selbst miterlebt hat, weiß ich, wie tief sich dieser Unfall in das kollektive Gedächtnis der Österreicherinnen und Österreicher gebrannt hat. Japan kämpft nach über 10 Jahren noch immer mit den Nachwirkungen des Reaktorunglücks in Fukushima. Schätzungen zufolge werden die Entsorgungsarbeiten dort noch 30 bis 40 Jahre dauern. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass nicht alle Staaten in Europa ein solches Glück haben wie Österreich und so gute Voraussetzungen für den Einsatz von erneuerbaren Energien wie Wasser- oder Windkraft haben. Es gäbe aber auch andere Möglichkeiten als die Atomenergie, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Dafür werde ich mich in der EU weiterhin starkmachen.
Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sind das wichtigste Sprachrohr der EU in die Gemeinden hinein.
Karl Nehammer, Bundeskanzler
"Die Gemeinden sind das Herz und das Rückgrat Österreichs. Denn sie sind die unmittelbarste Ebene in der Politik", sagten Sie zu Jahresbeginn 2022. Die Gemeinden und Regionen sind während der Pandemie, aber auch angesichts der Aufnahme tausender Vertriebener aus der Ukraine besonders gefordert. Wie sehen Sie die Rolle der Gemeinden, auch in Bezug auf Europa?
Die Gemeinden sind die Keimzelle der Demokratie. Sie sind der Ort, an dem die Menschen ihr Zusammenleben gestalten. Ich würde etwas überspitzt sogar sagen, dass das in keinem anderen Land so gut funktioniert wie in Österreich. Dass dem so ist, verdanken wir allen voran den tausenden Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Gemeinderätinnen und Gemeinderäten, die tagtäglich mit vollem Engagement für ihre Gemeinden im Einsatz sind. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle auch meinen großen Respekt und Dank ausrichten! Die Coronavirus-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Auswirkungen sind nicht nur für den Bund und die Länder eine massive Herausforderung. In Krisenzeiten sind auch besonders die Kommunen gefordert, das Wohlergehen der Bevölkerung sicherzustellen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Fest steht aber auch, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Gemeinden und Länder noch über Jahre hinweg beschäftigen werden. Deshalb hat die Bundesregierung 2 Pakete mit einem Gesamtvolumen von knapp 1,9 Milliarden Euro als Unterstützung zur Verfügung gestellt. Die Gemeinden haben auch jede Unterstützung verdient, denn klar ist: Ohne sie wären wir bisher nicht so gut durch die Krisen gekommen.
Bereits über 1.500 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte aller Parteien agieren als "Drehscheiben" für die Kommunikation von EU-Themen in den Gemeinden. "Europa fängt in der Gemeinde an" – stimmen Sie diesem Satz zu? Und wie können Politikerinnen und Politiker dazu beitragen, die häufig wahrgenommene Distanz zwischen Brüssel und den Anliegen vor Ort zu überwinden?
Selbstverständlich stimme ich diesem Satz zu. Ich möchte aber noch eine Ergänzung vornehmen: Die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sind das wichtigste Sprachrohr der Europäischen Union in die Gemeinden hinein. Sie sorgen dafür, dass Informationen aus Brüssel dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Umgekehrt tragen sie aber auch die Wünsche, Sorgen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger aus den Gemeinden an die Landes- und Bundesebene heran. Mit Europaministerin Karoline Edtstadler haben die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte eine engagierte Partnerin an ihrer Seite, die diese Anliegen dann mit auf die europäische Ebene nimmt. Europa beginnt in der Gemeinde. Das ist nicht nur das Motto dieses Magazins, sondern auch ein Grundsatz unserer Politik in der Bundesregierung.
Insbesondere durch das Engagement junger Menschen sind die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus gerückt. Welchen Beitrag leisten Sie in Ihrem Alltag für den Umweltschutz?
Umweltschutz ist ein zutiefst christlich-soziales Anliegen, das seit langem ein Grundpfeiler unserer Politik ist. Erst dieses Jahr haben wir die ökosoziale Steuerreform beschlossen, die zahlreiche Anreize für mehr Nachhaltigkeit setzt. Ich bin dagegen, Wirtschaft und Umwelt als Gegenpole zu betrachten. Wir sollten vielmehr versuchen, beides in Einklang zu bringen. Danach gefragt, was mein persönlicher Beitrag zum Umweltschutz ist: Ich versuche im Alltag stets Energie zu sparen und achte auf Mülltrennung. Das habe ich auch meinen Kindern schon früh beigebracht. Es sind oft kleine Beiträge mit großer Wirkung, wenn viele Menschen mitmachen.
Sie bezeichnen sich als "glühenden Europäer". Gibt es einen persönlichen "Europa-Moment", der für Sie besonders einprägsam oder bewegend gewesen ist?
Wie für die meisten Menschen in meinem Alter war das klarerweise der Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Das Bild des damaligen Außenministers Alois Mock und seines ungarischen Amtskollegen Gyula Horn, wie sie den Grenzzaun zwischen dem Burgenland und Ungarn durchschneiden, ist symbolhaft für den Moment, in dem Österreich vom Rand ins Herzen Europas gerückt ist. Diese Bilder stehen sinnbildlich für den Beginn einer neuen Ära in Europa und sind ein Stück österreichische Zeitgeschichte.
Sehr geehrter Herr Präsident, Sie sprechen mehrere Sprachen fließend und ausgezeichnet Deutsch. Was ist Ihr Bezug zu Österreich?
Ich komme sehr gern nach Österreich, es ist ein wunderschönes Land, unglaublich reich an Geschichte, Kultur und Natur. Und natürlich mit einer großartigen Küche. In den letzten Jahren habe ich fast jährlich an ein bis zwei Konferenzen in Österreich teilgenommen, nicht nur in Wien, auch in Linz und Alpbach.
Der EuGH ist ein großes Gericht für 27 Mitgliedstaaten, fast 450 Millionen Menschen. Ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung Europas. Was ist dabei für Sie besonders spannend?
Besonders spannend an der Tätigkeit am EuGH ist die Herausforderung, bei all der Vielfalt in der EU gemeinsame Lösungen für alle ihre Bürgerinnen und Bürger zu finden. Denn die Hauptaufgabe des EuGH besteht darin, EU-Recht einheitlich auszulegen, damit es tatsächlich gemeinsames Recht bleibt. Die Fragen, die nationale Gerichte uns zu diesem Zweck vorlegen, sind so bunt wie das Leben, denn EU-Recht spielt inzwischen in fast allen Lebensbereichen eine Rolle. Die Themen reichen vom Schutz der Privatsphäre im Internet über den bezahlten Mindestjahresurlaub, den Verbraucherinnen- beziehungsweise Verbraucher- sowie den Umweltschutz bis hin zur Rechtsstaatlichkeit.
Sie sind seit 1989 am EuGH tätig. Wie hat sich die Arbeitsweise des EuGH, wie haben sich die Aufgaben verändert und was erwarten Sie für die nächsten 10 Jahre?
Als ich 1989 als Richter beim EuG, unserem Gericht erster Instanz, anfing (im Jahr 2003 wurde ich dann Richter am EuGH), gab es nur 12 Mitgliedstaaten, heute sind es mehr als doppelt so viele. Entsprechend hat sich die Zahl der Kolleginnen und Kollegen sowie der Sprachen erhöht. Zudem haben die Mitgliedstaaten immer mehr eigene Zuständigkeiten an die EU übertragen, weil sie erkannt haben, dass sich viele Probleme besser gemeinsam als auf rein nationaler Ebene lösen lassen. Bis 1989 hatte der EuGH im Wesentlichen über wirtschaftsrechtliche Fragen zu entscheiden. Heute steht das Europa der Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund. Diese Entwicklungen spiegeln sich natürlich auch in der steten Zunahme der Fälle wider, über die das EuG und der EuGH zu entscheiden haben. Insbesondere beim Grundrechtsschutz wird der EuGH seine Rechtsprechung weiter konsolidieren können.
In einem Interview haben Sie Rechtsstaatlichkeit jüngst so charakterisiert: "Rechtsstaatlichkeit bedeutet sehr viel in der EU, eigentlich fast alles." Warum ist das so?
Die EU ist eine Rechtsunion. Das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten beruht darauf, dass sie gemeinsame Grundwerte wie Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte teilen und sich an das EU-Recht als gemeinsames Recht halten. Dem EuGH kommt gemeinsam mit den nationalen Gerichten die Aufgabe zu, für die einheitliche Auslegung und Anwendung des EU-Rechts zu sorgen. Dabei ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit von besonderer Bedeutung. Wären etwa die nationalen Gerichte nicht mehr unabhängig, sondern stünden sie unter dem Einfluss der jeweiligen Regierung oder auch anderer Kräfte, so wären die einheitliche Anwendung des EU-Rechts und folglich die Gleichheit der Mitgliedstaaten sowie auch der Unionsbürgerinnen und -bürger nicht mehr sichergestellt. Das gegenseitige Vertrauen ginge verloren und das Projekt EU geriete als Ganzes ins Wanken.
Der Grundsatz, dass Unionsrecht vor nationalem Recht steht, wird immer wieder infrage gestellt. Was sagen Sie dazu?
Zu diesem Grundsatz gibt es seit Jahrzehnten eine ständige Rechtsprechung des EuGH, die von den Mitgliedstaaten in einer Erklärung zum Vertrag von Lissabon übrigens ausdrücklich anerkannt wurde. Das EU-Recht macht als gemeinsames Recht nur dann Sinn, wenn es für alle gleich gilt. Deswegen muss EU-Recht vorrangig angewandt werden, wenn nationales Recht mit ihm kollidiert. Könnte sich jeder Mitgliedstaat auf sein eigenes Recht berufen, wäre das EU-Recht nicht mehr wert als das Papier, auf dem es steht.
Welche Rolle spielen für Sie das Subsidiaritätsprinzip, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie Initiativen wie jene der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte für das Funktionieren der EU? Und was sagen Sie jenen, die meinen, dass Rechtsprechung subsidiär besser "aufgehoben" wäre?
In Europa ist die Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen der EU als gemeinsamer Regelungsebene und den Mitgliedstaaten ganz natürlich. Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung der EU sowie der Grundsatz der Subsidiarität sind in den Unionsverträgen fest verankert und nicht nur ein Lippenbekenntnis. Dass über die genaue Abgrenzung der Zuständigkeiten immer mal wieder gestritten wird, tut dem keinen Abbruch. Man muss sich vor Augen führen, dass die EU nicht irgendetwas Fremdes, Abstraktes ist, sondern sie besteht aus den Mitgliedstaaten und ist ohne diese gar nicht handlungsfähig. Wir alle sind die EU.
Den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften kommt bei der Gestaltung und Verwaltung des Lebens in der EU eine unverzichtbare Rolle zu, dort spielt das Leben. Die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte hat das in ihrem Namen "Europa fängt in der Gemeinde an" sehr treffend zum Ausdruck gebracht. Solche Initiativen, die über Europa informieren und Anstöße geben, erfüllen die EU mit Leben. Was die Rechtsprechung anbelangt, so wird das EU-Recht vor Ort von den nationalen Gerichten angewandt. Der EuGH kommt nur ins Spiel, wenn Zweifel bestehen, was das EU-Recht konkret sagt.
Soziale Medien, künstliche Intelligenz, Chatbots, "Hass im Netz" – Datenschutz-Konflikte verlagern sich immer mehr in den virtuellen Raum. Wie stellt man den Grundrechtsschutz in einer digitalisierten Welt sicher?
Mit der zunehmenden Bedeutung der virtuellen Welt wird auch das Thema Datenschutz noch wichtiger werden. Der EuGH hat bereits zahlreiche Fälle zu diesen Fragen entschieden, gerade auch aus Österreich. In der Zukunft dürften das noch mehr werden, denn Datenschutz ist eines der großen Themen, für die es EU-weit einheitliche Regeln gibt. Und natürlich kommt dem Grundrechtsschutz hier eine zentrale Bedeutung zu. Künstliche Intelligenz hat insoweit 2 Seiten. Zum einen ist, wenn sie zum Einsatz kommt, besonders auf den Schutz der Grundrechte zu achten. Zum anderen kann gerade sie dabei helfen, Grundrechte in der virtuellen Welt zu schützen.
Wie können Rechtssysteme angesichts hybrider Bedrohungen sowie Desinformation dazu beitragen, dass das Vertrauen in demokratische Grundprinzipien hält?
In erster Linie ist es Aufgabe der Politik, Antworten auf diese Bedrohungen zu finden. Wichtig ist, dass sie dabei ihre eigenen Werte und Prinzipien nicht verrät. In Zweifelsfällen wird es Sache der Gerichte sein, zu überprüfen, ob Grundrechte hinreichend beachtet wurden und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewahrt wurde.
Was ist Ihr persönlicher "Europa-Moment" – etwa ein Urteil, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Einer war sicherlich das Urteil "Les Verts" von 1986, an dem ich als Mitarbeiter des damaligen belgischen Richters am EuGH, René Joliet, mitwirken durfte. Im Urteil hat der Gerichtshof festgehalten, dass die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die in der heutigen EU aufgegangen ist, eine Rechtsgemeinschaft ist, in der sowohl die Mitgliedstaaten als auch die europäischen Institutionen der gerichtlichen Kontrolle unterliegen.
2022 ist das "Europäische Jahr der Jugend". Welches Europa der Zukunft wünschen Sie sich für die Generation Ihrer Enkelkinder?
Ich wünsche mir ein Europa, das weiterhin für Frieden, Demokratie und Solidarität steht, in dem jede und jeder die eigenen Fähigkeiten nutzen und einbringen kann.
Mitreden, Ideen einbringen und damit die Europäische Union von morgen gestalten: Bei der "Konferenz zur Zukunft Europas" hatten die Bürgerinnen und Bürger das Sagen. Gemeinsam mit den europäischen Institutionen sowie Expertinnen und Experten sollten sie den Grundstein für eine handlungsfähigere, krisensichere und demokratischere Union legen. Ein ambitioniertes Vorhaben, das ein Jahr lang andauerte und im Mai 2022 finalisiert wurde.
Reges Interesse an der Zukunftsdebatte
Zentrale Anlaufstelle der Konferenz war eine mehrsprachige digitale Plattform, über die alle Bürgerinnen und Bürger ihre Anregungen, Wünsche und Kritik einbringen konnten. Innerhalb eines Jahres konnte diese Online-Plattform nahezu 5 Millionen Aufrufe, mehr als 50.000 aktiv Teilnehmende, 17.000 erörterte Ideen und 6.000 Veranstaltungen verzeichnen. Für welche Themenbereiche interessierten sich die Bürgerinnen und Bürger am meisten? Auf Platz 1 der Beiträge auf der Plattform rangiert "Demokratie in Europa", gefolgt von den Themenbereichen "Klimawandel und Umwelt" sowie "Weitere Ideen". Auf die Plätze 4 und 5 kommen "Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit" sowie "Eine stärkere Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Beschäftigung".
Zu den Kernelementen der Konferenz zählten auch europäische sowie nationale Bürgerforen. Deren Empfehlungen, ebenso wie die Beiträge auf der Plattform, wurden bei Plenarversammlungen von teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern, Vertreterinnen und Vertretern des Europäischen Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission sowie aller nationalen Parlamente und weiteren Stakeholdern ergebnisoffen erörtert.
Der am 9. Mai 2022 in Straßburg präsentierte Abschlussbericht bündelt die gesammelten Überlegungen zu 49 Vorschlägen und über 300 konkreten Maßnahmen. Nun wird auf europäischer Ebene geprüft, wie diese Vorschläge umgesetzt werden können. Die Fortschritte möchte man der Öffentlichkeit bei einer Feedback-Veranstaltung im Herbst 2022 präsentieren.
Interview
Karoline Edtstadler, Europaministerin
Wie hat Österreich zum Gelingen der EU-Zukunftskonferenz beigetragen?
Österreich hat die Konferenz von Anfang an voll unterstützt und ich bin stolz, dass wir am Ende zu den aktivsten Mitgliedstaaten zählen. Für die EU muss das heißen, nun echte politische Reformen einzuleiten.
Welche Eindrücke oder Begegnungen werden Ihnen in Erinnerung bleiben?
Ich durfte in ganz Österreich mit den Menschen über die Europäische Union ins Gespräch kommen. Dabei hat mich die Vielfalt an Aktivitäten, die zur EU-Zukunftskonferenz durchgeführt wurden, tief beeindruckt. Ob vor Ort in der Gemeinde, in der Schulklasse, im Verein, bei Diskussionen am Stammtisch oder im Internetforum: Überall wurde über eine neue und verbesserte Europäische Union diskutiert. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gilt mein herzlicher Dank!
Was ist Ihr persönliches Resümee?
Man muss leider auch festhalten, dass die EU-Zukunftskonferenz auf europäischer Ebene nicht wie erhofft verlaufen ist. Zu viel Zeit ging in interinstitutionellen Streitigkeiten verloren. Viel zu wenig wurde über akute Probleme und konkrete Ideen diskutiert. Gerade in Zeiten, in denen der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine die europäische Stabilität erschüttert, stellen sich entscheidende Fragen aber umso mehr.
Was sind die nächsten Schritte?
Das breite Engagement in Österreich ist für mich Ansporn und Auftrag zugleich, die Überlegungen über die Erneuerung der Europäischen Union weiterzuführen und konkrete politische Reformen auf europäischer Ebene voranzutreiben. Wir müssen in allen Krisen, denen die EU heute gegenübersteht, eine echte Chance auf die so notwendige Veränderung sehen.
Großes Engagement in Österreich
Österreich zählte zu den aktivsten Mitgliedstaaten: 1.421 Beiträge auf der digitalen Plattform zur EU-Zukunftskonferenz stammen aus Österreich – damit stehen wir in absoluten Zahlen im EU-Ländervergleich an siebenter Stelle, gemessen an der Bevölkerungszahl sogar auf Platz 6. Unter dem Motto "Unsere Zukunft – EU neu denken" hatte Europaministerin Karoline Edtstadler bereits im Sommer 2020 den Dialog mit den Österreicherinnen und Österreichern gestartet und in den letzten 12 Monaten intensiviert – etwa im Rahmen der "Jungen Konferenz zur Zukunft Europas", einer "Zukunftswanderung" auf den Gaisberg in Salzburg oder bei zahlreichen "Zukunftslaboren" (Gesprächsrunden mit Expertinnen und Experten) im Bundeskanzleramt. Von Mai 2021 bis Mai 2022 hat in Österreich durchschnittlich jeden zweiten Tag eine Aktivität mit Bezug zur EU-Zukunftskonferenz stattgefunden.
Europaministerin Edtstadler sprach bei der Präsentation des Aktivitätenberichts zur Konferenz am 9. Mai 2022, dem diesjährigen Europatag, all jenen, die sich an der Konferenz aktiv beteiligt hatten, ihren Dank aus. Die Weiterentwicklung der Europäischen Union sei den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich ein Anliegen; dies zeige sich an der Vielzahl sowie der Kreativität und Inklusivität der Aktivitäten, betonte Edtstadler.
Wir müssen Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart und Antworten auf die Fragen der Zukunft finden.
Karoline Edtstadler, Europaministerin
Edtstadler: "Ein neues, besseres Europa schmieden"
Die Ministerin sieht einen klaren Handlungsauftrag: Die Europäische Union sei "zweifellos eine Erfolgsgeschichte", müsse angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen jedoch umgehend Reformen einleiten. Im Fokus dabei stünden die geopolitische Rolle in einer sich verändernden Welt, die Rückbesinnung auf die wirtschaftliche Macht Europas und das institutionelle Gefüge der Europäischen Union. "Wir müssen Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart und Antworten auf die Fragen der Zukunft finden", sagte sie. In diesem Sinne rief Edtstadler dazu auf: "Lasst uns ein neues, besseres Europa schmieden!"
Interview
Boris Schober, Schüler
Wie haben Sie sich an der EU-Zukunftskonferenz beteiligt?
Ich habe mich in vielen Bereichen engagiert. Besonders wertvoll war für mich die Teilnahme an den Bürgerforen in Straßburg und Maastricht und an einer Online-Sitzung, in denen wir die Forderungen an die Politik ausgearbeitet, diskutiert und darüber abgestimmt haben. Als Delegierter wurde ich zu Veranstaltungen in Österreich eingeladen, bei denen ich meine Erfahrungen weitergeben konnte.
Für welche Themen haben Sie sich eingesetzt?
Ich habe mich mit der Rolle der Europäischen Union in der Welt und mit Migration beschäftigt. Die Rolle der EU in der Welt ist sehr vielseitig und das ließ Spielraum für meine Herzensthemen – Klimaschutz, Verkehr und Infrastruktur – zu. Wir müssen eine Vorreiterrolle einnehmen und dazu müssen alle Mitgliedstaaten ihren Beitrag leisten.
Was hat Sie an der Konferenz besonders beeindruckt?
Definitiv, so viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern kennenzulernen und ihre Bedürfnisse, Eindrücke und Ansichten zu verstehen. Man hat deutliche Unterschiede bei den vorherrschenden Meinungen gesehen, aber in vielen Fällen konnte man diese ausdiskutieren. Auch ich habe nach den Diskussionen manchmal meine Meinung geändert.
Interview
Julia Eichberger, Elementarpädagogin
Wie haben Sie an der EU-Zukunftskonferenz mitgewirkt?
Ich war eine der 800 zufällig ausgewählten Personen, die an den europäischen Bürgerforen teilnehmen durften, und wurde außerdem als "Botschafterin" bestimmt. In dieser Funktion war ich achtmal in Straßburg, um den Politikerinnen und Politikern die erarbeiteten Empfehlungen zu unterbreiten und mit ihnen direkt zu verhandeln. Dabei habe ich immer wieder zum Handeln aufgefordert.
Welche Eindrücke nehmen Sie von der Konferenz mit?
Ich habe Bekanntschaften mit Menschen aus allen 27 EU-Staaten geschlossen. Trotz aller Unterschiede haben wir kommuniziert und Freundschaften geknüpft. Einige Politikerinnen und Politiker haben das direkte Gespräch mit uns gesucht. Die Konferenz war teilweise sehr gut organisiert. Die Coronavirus-Pandemie hat aber auch zu Schwierigkeiten geführt. Oft war mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer online zugeschaltet, das war mitunter frustrierend. Außerdem fehlte die Medienpräsenz. Niemand in Österreich, den ich auf die Zukunftskonferenz angesprochen habe, wusste darüber Bescheid. Dabei wäre insbesondere die Online-Plattform eine einmalige Gelegenheit gewesen, sich aktiv einzubringen.
Warum ist es Ihnen ein Anliegen, die Zukunft Europas mitzugestalten?
Es ist an der Zeit, die Bürgerinnen und Bürger einzubinden. Es braucht Veränderung, damit Europa attraktiv bleibt. Ich bin Elementarpädagogin und habe versucht, auch die Interessen der Kinder zu vertreten. Ich hoffe, die Empfehlungen bald umgesetzt zu sehen. Der Wunsch nach einer engen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten war stark erkennbar, besonders angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine.
"Konferenz zur Zukunft Europas"
Die Ergebnisse
Der 2019 vorgestellte "European Green Deal" verfolgt das ambitionierte Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und Europa bis spätestens 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Erde zu machen. Angesichts des Krieges in der Ukraine müsse einiges deutlich schneller gehen, betonte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits im März 2022: "Wir müssen unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland werden. Wir dürfen uns einfach nicht auf einen Lieferanten verlassen, der uns schlichtweg bedroht. Es gilt jetzt zu handeln, damit wir die Auswirkungen der steigenden Energiepreise abfedern, unsere Gasversorgung für den nächsten Winter diversifizieren und den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen können."
Fossile Brennstoffe: EU von Importen abhängig
Zur Deckung ihres Energiebedarfs ist die EU aktuell auf Einfuhren fossiler Brennstoffe (Gas, Öl, Kohle) angewiesen, die in den vergangenen 5 Jahren 57 bis 60 Prozent des Brutto-Energieverbrauchs ausgemacht haben. Die EU deckt etwa 97 Prozent ihres Öl-, 90 Prozent ihres Gas- und 70 Prozent ihres Steinkohleverbrauchs aus Importen. Etwa 45 Prozent der gesamten Gaseinfuhren stammten 2021 aus Russland, wobei der Anteil je nach Mitgliedstaat variierte. Weitere wichtige Gas-Lieferländer für die EU waren im Vorjahr Norwegen, Algerien, die Vereinigten Staaten und Katar. Auf Russland entfielen 2021 zudem 27 Prozent aller Öl- und 46 Prozent aller Kohleeinfuhren. Wesentliche Lieferanten für Rohöl waren neben Russland Norwegen, Kasachstan und die Vereinigten Staaten; Steinkohleimporte kamen abgesehen von Russland auch aus den USA sowie Australien.
Wir dürfen uns einfach nicht auf einen Lieferanten verlassen, der uns schlichtweg bedroht. Es gilt jetzt zu handeln.
Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin
"REPowerEU": Diversifizierung und Reduktion
"REPowerEU" enthält eine Reihe von Maßnahmen als Reaktion auf die steigenden Energiepreise in Europa und zur Wiederauffüllung der Gasvorräte für den nächsten Winter. Darauf setzt auch Österreich, mit dem Ziel, dass die heimischen Erdgasspeicher bis zum Beginn der nächsten Heizsaison zu mindestens 80 Prozent gefüllt sind. Den Kern von "REPowerEU" bildet allerdings die Beschleunigung von Maßnahmen, welche die Abhängigkeit nicht nur von russischen Energieimporten, sondern von fossilen Brennstoffen im Allgemeinen langfristig verringern sollen. Bis deutlich vor dem Jahr 2030, so die Kommission, soll sich die EU schrittweise von Importen fossiler Brennstoffe aus Russland unabhängig machen.
Gelingen soll dies mit dem Plan "REPowerEU", für den bis zu 300 Milliarden Euro mobilisiert werden – auf 3 Ebenen: Erstens gilt es Energieeinsparungen vorzunehmen, zweitens setzt die EU auf Diversifizierung und drittens auf eine Beschleunigung der Energiewende. Das Energieeffizienz-Ziel der EU soll bis 2030 von 9 auf 13 Prozent, der Anteil erneuerbarer Energien von 40 auf 45 Prozent erhöht werden. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, möchte die EU etwa die Genehmigungsverfahren für Projekte mit erneuerbaren Energien straffen und verkürzen, eine Solarenergie-Strategie umsetzen und mehr Wasserstoff importieren. Vorgesehen sind zudem Investitionen in die Infrastruktur – in Stromnetze, aber auch Leitungen für Öl- und Gasimporte, darunter Flüssigerdgas (auf Englisch: "liquified natural gas", kurz LNG).
Heimische Besonderheiten
In Österreich bestehen 34,5 Prozent der verbrauchten Gesamtenergiemenge aus Erdöl und 22,6 Prozent aus Gas. Das entspricht circa dem europäischen Durchschnitt. Der Großteil dieser beiden Energieträger wird importiert, 7 Prozent (Erdöl) beziehungsweise 15 Prozent (Erdgas) kommen aus heimischer Förderung.
Bei den erneuerbaren Energien zählt Österreich zur europäischen Spitze: Nicht zuletzt dank der alpinen Wasserkraft werden 32,6 Prozent der hierzulande verbrauchten Energie aus nachhaltigen Quellen gewonnen. Einen höheren Anteil erneuerbarer Energien können nur Finnland, Schweden, Lettland und Dänemark vorweisen. Durchschnittlich werden in Europa derzeit nur 17 Prozent des Bedarfs aus erneuerbaren Energieträgern gedeckt. Im Vergleich zum EU-Schnitt ist die Versorgung aus festen fossilen Brennstoffen (wie Kohle) und Atomstrom hierzulande deutlich geringer.
Die heimische Abhängigkeit vor allem von russischem Gas ist allerdings hoch: 86 Prozent der 2021 importierten Gasmenge stammten aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS; Zusammenschluss verschiedener Nachfolgeländer der Sowjetunion). Kurzfristig – von heute auf morgen – ersetzen oder einsparen lässt sich dieser Anteil nicht, denn neben zahlreichen Privathaushalten sind auch Industrie und Handwerk auf das bislang meist günstige Erdgas angewiesen.
Neue Versorgungsquellen
Bundeskanzler Karl Nehammer hat Anfang März 2022 bei seinem Arbeitsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Katar über mögliche Flüssiggas- und Wasserstofflieferungen verhandelt. Der Bundeskanzler betonte, dass Österreich willens sei, aus der Abhängigkeit von russischem Gas herauszukommen, dies jedoch Zeit und einen geordneten Plan erfordere: "Wie die Ereignisse der letzten Wochen eindringlich vor Augen führen, dürfen wir nicht weiter nur von einem Gaslieferanten abhängig sein und müssen mittel- bis langfristig auch auf nachhaltige Energiequellen wie grünen Wasserstoff bauen. Die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern ist ein Gebot der Stunde. Diese muss allerdings mit Vernunft und Augenmaß hergestellt werden", so Nehammer.
Interview
Leonore Gewessler, Energieministerin
Welche Maßnahmen sind notwendig, um Österreichs Energieversorgung während des nächsten Winters und darüber hinaus zu sichern?
Unsere Abhängigkeit von russischen Energieimporten ist leider eine bittere Wahrheit. Und gerade wird uns schmerzlich vor Augen geführt, wie gefährlich sie ist. Unsere Antwort darauf kann nur lauten: Wir müssen diese Abhängigkeit von Russland beenden. Klar ist aber auch: Österreich ist heute ganz besonders auf russische Importe angewiesen. Und wir werden nicht von heute auf morgen ohne Erdgas aus Russland auskommen. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass unsere Gasspeicher vor der nächsten Heizsaison zu mindestens 80 Prozent gefüllt sein müssen. Wir stellen dafür insgesamt 6,6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Wie kann die Abhängigkeit von Gasimporten reduziert werden?
Mehr Unabhängigkeit gibt es nur, wenn wir unsere eigene Energie produzieren. Damit uns der Ausstieg gelingt, haben wir mit der Österreichischen Energieagentur einen Plan entwickelt. Der sagt: Wir können bis 2027 ohne russische Gasimporte auskommen. Dafür müssen wir überall, wo es geht, Erdgas einsparen. Zum Beispiel, indem wir alte Gasheizungen gegen moderne Alternativen tauschen. Und wir müssen die eigene Produktion von Biogas und grünem Wasserstoff ausbauen.
Inwieweit können grüner Wasserstoff und Flüssigerdgas (LNG) einen Teil der Lösung darstellen?
Das ist der dritte Punkt – wir werden beides brauchen. Kurzfristig sind wir natürlich auf der Suche nach neuen Lieferländern für Erdgas – das kann als LNG nach Österreich kommen. Gleichzeitig müssen wir aber insgesamt raus aus Erdgas. Da wird uns auch grüner Wasserstoff helfen. Genau darauf legen wir jetzt den Fokus.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Frieden in Europa. Das war ein zentrales Ziel bei der Gründung der Europäischen Union. Jetzt führt Präsident Putin Krieg gegen die Ukraine. Was bedeutet das für Europa?
Sie haben recht. Die bedeutsamste Errungenschaft der EU ist sicher die Herstellung und Gewährleistung von Frieden zwischen ihren Mitgliedstaaten, deren Völker sich zuvor jahrhundertelang bekriegt haben. Eine einzigartige Zivilisationsleistung, auf die wir stolz sein können. Das hat wesentlich zu unserem Wohlstand beigetragen. Umso schockierender ist der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine, durch den der lange Frieden in Europa – abgesehen von den schrecklichen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien – jetzt mutwillig zerstört wird. Was in der Ukraine passiert, ist schrecklich und furchtbar. Die EU hat schnell, geschlossen und entschieden auf diese Aggression reagiert. Wir müssen jetzt alles in unserer Macht Stehende tun, um das Töten zu stoppen, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren und wieder Frieden herzustellen. So schwierig und unmöglich das bisweilen auch scheinen mag.
Die Interessen Österreichs im Rat der EU werden von der Bundesregierung wahrgenommen. Im Europäischen Rat vertritt der Bundeskanzler die Republik. Daneben gibt es 19 österreichische Abgeordnete zum Europäischen Parlament. Wo sehen Sie den Gestaltungsspielraum für den Bundespräsidenten in Bezug auf EU-Themen in Österreich?
Die Aufgabe des Bundespräsidenten ist es, das Gesamtwohl des Staates und all seiner Bürgerinnen und Bürger sowie aller, die hier leben, im Auge zu haben. Und ich bin zutiefst davon überzeugt: Gemeinsam als EU erreichen wir einfach viel mehr als alleine.
Wie lassen sich die Interessen von Ökonomie und Ökologie angesichts des Klimawandels verbinden, sodass ein gemeinsames Handeln beiden Seiten gerecht werden kann?
Das zeigt beispielsweise der "European Green Deal". Hier hat die EU, also wir Mitgliedstaaten und die Kommission, wirklich Bemerkenswertes geleistet. Der EU-Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" wird uns nicht nur helfen, die wirtschaftlichen Aspekte der Covid-Pandemie zu bewältigen, sondern auch, unseren Kontinent innerhalb von wenigen Jahrzehnten klimaneutral und nachhaltig zu gestalten. Und das bedeutet auch, die Abhängigkeit von öl- und gasexportierenden Ländern zu verringern. Was momentan wichtiger denn je ist.
Anlässlich des 67. Österreichischen Gemeindetages haben Sie im Vorjahr festgestellt: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind die Managerinnen und Manager des guten Zusammenlebens. Welche Rolle spielen die Gemeinden für Österreich – und für die EU?
Die Gemeinden sorgen dafür, dass die Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld gut leben können. Ich habe während der Covid-Pandemie mit vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern online gesprochen. Und ich war und bin zutiefst beeindruckt von ihren Leistungen für unser Land. Sie haben erzählt, dass sie vor den unterschiedlichsten Problemen standen. Die Regelungen in den Kindergärten und den Schulen oder die Situation in den Altersheimen waren etwa wichtige Themen, die sehr herausfordernd waren. Aber auch das Vereinsleben in den Gemeinden, das so verbindend für die Menschen ist, war vielfach zum Stillstand gekommen. Und die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind schnell und unbürokratisch mit den unterschiedlichsten Herausforderungen umgegangen. Zum Wohl ihrer Gemeindemitglieder.
Was halten Sie von der Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte? Worin würden Sie die Kernaufgaben und auch die Herausforderungen für die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sehen?
Die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte sehe ich sehr positiv: Sie sind erste Anlaufstelle für viele Bürgerinnen und Bürger und unerlässliche Brückenbauer zwischen den Gemeinden und Brüssel. Dies sehe ich auch als ihre vorrangige Aufgabe und Berufung. Ich möchte mich an dieser Stelle auch ausdrücklich bei den vielen engagierten Gemeinderätinnen und Gemeinderäten bedanken: Ihr Einsatz ist ja oft auch mit erheblichem Zeitaufwand verbunden.
Wir sind ein Kontinent des "und", nicht des "Entweder/Oder". Und das macht uns auf dieser Erde einzigartig.
Alexander Van der Bellen, Bundespräsident
Sie haben einen Teil Ihrer Kindheit und Jugend im Kaunertal in Tirol verbracht; hier wurde Ihnen in Ihren Worten "Heimat geschenkt". Ist der Begriff "Heimat" für Sie mit einem Ort, einer Region verbunden?
Heimat kann man haben, weil man immer schon wo gelebt hat. Man kann sie geschenkt bekommen, weil man mit offenen Armen aufgenommen wird. Sie kann einem aber auch genommen werden, durch Vertreibung oder Krieg, wie jetzt gerade den Menschen in der Ukraine. Das Kaunertal ist für mich Heimat, weil sie mir dort geschenkt wurde und ich dort aufgewachsen bin, Wien ist für mich Heimat, weil ich schon lange hier lebe, Österreich und Europa sind für mich Heimat, weil ich begeisterter Österreicher und Europäer bin. Heimat kann aber auch eine Gruppe von Menschen sein, mit denen man sich wohlfühlt, also etwa der Freundeskreis.
In Ihrer Familiengeschichte finden sich Wurzeln in den Niederlanden, im Russischen Kaiserreich und in Estland. Wie hat Sie diese Herkunft hinsichtlich Ihrer europäischen Identität geprägt? Und was bedeutet "europäische Identität" heute?
Ich halte es für falsch, dass wir uns entscheiden sollen zwischen der Liebe zur Heimat oder zum Vaterland auf der einen Seite und der Liebe zu Europa auf der anderen. Dieses "Entweder/Oder" führt in die Irre. Wir können unser Heimatland lieben und die europäische Idee. Wir sind ein Kontinent des "und", nicht des "Entweder/Oder". Das macht uns auf dieser Erde einzigartig.
Sie haben vor Kurzem an der digitalen Aufbereitung des Tagebuchs der Anne Frank als Podcast mitgewirkt und am Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner 2022 an der Gedenkzeremonie #WeRemember teilgenommen. Wie kann die Erinnerung an die Abgründe unserer Geschichte als gemeinsame Verantwortung, wie kann das "Nie wieder!" als Mahnung für eine bessere Zukunft lebendig gehalten werden, wenn es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt?
Ja, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die so beeindruckend von ihren schrecklichen Erfahrungen berichtet haben, verstummen leider langsam. Aber ihr Anliegen wollen und müssen wir weitertragen. Wir müssen uns dazu bewusst machen, dass der Holocaust ja nicht mit Auschwitz oder Mauthausen begonnen hat. Es Minderheiten diskriminiert, diskreditiert und schließlich entwürdigt wurden. Als dann die Konzentrationslager aufgebaut waren und die Züge in Auschwitz ankamen, war es zu spät. Wir müssen also am Beginn ansetzen. Wenn Menschen zu Außenseitern gemacht werden – in der Schule, am Arbeitsplatz, am Sportplatz – dann müssen wir gemeinsam eingreifen. Wenn Minderheiten angegriffen werden, wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens, einer anderen Sprache, dann müssen wir gemeinsam dagegen auftreten. Wo immer Antisemitismus aufflammt, müssen wir dagegenhalten. Das ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, wenn wir aus unserer Geschichte lernen wollen.
Wenn Sie auf Ihr berufliches und privates Leben blicken: Was ist Ihr bis dato eindrücklichster persönlicher "Europa-Moment" gewesen?
Die überwältigende Zustimmung der Österreicherinnen und Österreicher bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt unserer Heimat.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wie würden Sie den Leserinnen und Lesern das Motto des französischen EU-Ratsvorsitzes, "Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit" (auf Französisch: "Relance, puissance, appartenance"), erklären?
In Anbetracht der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen, des Sichtbarwerdens feindlicher Mächte oder des Klimawandels ist die beste Antwort eine europäische. Dafür steht das Motto unserer Präsidentschaft: Aufschwung, da wir ein neues Wachstumsmodell für die EU aufbauen müssen, das "grüner", digitaler und sozialer ist, um uns den Herausforderungen unseres Jahrhunderts zu stellen. Stärke, da sie die Voraussetzung für das europäische Modell, für die Wahrung und Förderung seiner Werte, aber auch seiner Interessen in einer feindlichen Welt darstellt. Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie notwendig dies ist. Und schließlich Zugehörigkeit, da wir uns ein Europa wünschen, das auf seine Werte stolz ist, sich seiner Jugend zuwendet und bürgerinnen- und bürgernah ist. Unter französischem EU-Ratsvorsitz wird die "Konferenz zur Zukunft Europas" zum Abschluss kommen, für die sich Österreich und insbesondere Europaministerin Edtstadler stark eingesetzt haben.
Der französische EU-Ratsvorsitz strebt eine Stärkung der europäischen Souveränität an. Welchen Schwerpunkten sollte sich die EU künftig stärker widmen?
Ein souveränes Europa ist in erster Linie ein Europa, das dazu in der Lage ist, die eigenen Grenzen zu kontrollieren. Doch ein souveränes Europa kann nicht ohne eine gemeinsame Verteidigung existieren. Ein souveränes Europa muss sich auch für die Stabilität und den Wohlstand seiner Nachbarschaft einsetzen, insbesondere mit Blick auf Afrika und die Staaten des Balkans. Wir werden das Europa des Friedens der nächsten 50 Jahre nicht aufbauen können, wenn wir den Westbalkan in jener Lage lassen, in der er sich heute befindet. Ein souveränes Europa muss schließlich auch zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung und Klimaambitionen vereinbar sind.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Sie haben sich bereits mehrmals mit Staatssekretär Beaune zu Arbeitsgesprächen getroffen, zuletzt im Jänner 2022 in Paris. Wie würden Sie die bilateralen Beziehungen beschreiben? Bei welchen Themen möchte Österreich Frankreich während seines EU-Ratsvorsitzes besonders unterstützen?
Wir sind enge Partner und ich schätze diesen unkomplizierten und zugleich professionellen Austausch sehr. Ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Frankreich noch nie so eng waren wie jetzt. Wir arbeiten bei einer Reihe von Themen zusammen, insbesondere beim gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus sowie beim Umgang mit Desinformation und Hass im Netz. Allen voran bestimmt derzeit aber natürlich der Krieg in der Ukraine die Agenda. Hier zeigt die EU, wozu sie imstande ist, wenn es notwendig ist.
Ein souveränes Europa ist in erster Linie ein Europa, das dazu in der Lage ist, die eigenen Grenzen zu kontrollieren.
Clément Beaune, Europa-Staatssekretär
Herr Staatssekretär, am 9. Mai 2021 ist mit der "Konferenz zur Zukunft Europas" ein völlig neuer Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungsprozess gestartet. Wie würden Sie den "Erfolg" der EU-Zukunftskonferenz definieren, wenn diese am 9. Mai 2022 ihre Ergebnisse vorlegen wird?
Sie ist schon ein Erfolg, da wir aus den Konsultationen, die stattgefunden haben, bereits viel gelernt haben. Die ersten Ergebnisse der Panels spiegeln den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger wider, dass Europa sein Schicksal in die Hand nimmt und eine Antwort auf globale, aber auch alltägliche Bedrohungen liefert. Schließlich rufen die Bürgerinnen und Bürger zu einer Reform der EU-Institutionen auf, um diese einfacher und zugänglicher zu gestalten. Diese Empfehlungen müssen es uns – den politischen Vertreterinnen und Vertretern – ermöglichen, Regeln oder Leitlinien, die uns bis dato unveränderlich erschienen sind, zu überdenken. Wir müssen den Herausforderungen und den von den Bürgerinnen und Bürgern geäußerten hohen Erwartungen gewachsen sein. Um ihnen mit größter Transparenz zu antworten, möchten wir gemeinsam mit den Präsidentinnen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments einen politischen Fahrplan mit konkreten Antworten auf die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger erstellen.
Frau Bundesministerin, Sie setzen sich aktiv für eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der EU-Zukunftskonferenz ein. Was heißt dies jetzt vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine? Wenn Sie einen "Wunschzettel" verfassen könnten: Welche Themen und Reformen würden jedenfalls darin enthalten sein?
Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine ist eine Zäsur, deren Folgen wir noch schwer abschätzen können. Er zeigt aber auch, wie wichtig es ist, die EU als Friedensprojekt und Stabilitätsfaktor zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Gerade deshalb sind wir jetzt gefordert, die EU mutig weiterzuentwickeln, und dazu leistet die Zukunftskonferenz einen wichtigen Beitrag. Aus meiner Sicht sind derzeit 4 Bereiche ganz wesentlich: Sicherheit und Verteidigung, Energiepolitik, das Außerfragestellen der Rechtsstaatlichkeit und die Erweiterung, vor allem auf dem Westbalkan. Der Westbalkan gehört zu uns, und das muss sich in einem entschiedenen Beitrittsprozess zeigen.
Herr Staatssekretär, die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in Österreich baut eine Brücke zwischen den Menschen in den Gemeinden und europäischen Themen. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die lokale und regionale Ebene für die Vermittlung von EU-Themen?
Die Regionen und Gebietskörperschaften spielen eine Schlüsselrolle für den wirtschaftlichen Aufschwung, für die Digitalisierung und den ökologischen Übergang. Sie verkörpern tagtäglich die europäische Demokratie auf lokaler Ebene. Dies gilt ganz besonders etwa für die Grenzregionen, die Laboratorien des europäischen Aufbaus sind. Bei zahlreichen Themen der öffentlichen Politik – dem Wohnen, dem ökologischen Übergang und anderen – erhöht die Dezentralisierung zweifelsohne die Wirksamkeit. Daher sollte mehr Subsidiarität in gewisse Alltagsthemen einfließen, damit diese an lokale Gegebenheiten angepasst werden können und von den Mitbürgerinnen und Mitbürgern verstanden werden.
Der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine ist eine Zäsur, deren Folgen wir noch schwer abschätzen können.
Karoline Edtstadler, Europaministerin
Frau Bundesministerin, die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte ist eine Erfolgsgeschichte – die Zahl der Teilnehmenden wächst stetig. Was motiviert Sie an diesem Projekt am meisten und welche Pläne haben Sie im Rahmen der Initiative für das Jahr 2022?
Man kritisiert gerne, dass die EU und ihre Institutionen weit weg sind und dass europäische Themen daher beiden Menschen vor Ort nicht ankommen. Genau dafür sind die über 1.500 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte da, sie bauen die Brücken von den Bürgerinnen und Bürgern in den Gemeinden nach Brüssel und Straßburg. Ich bin sehr stolz auf diese österreichische Initiative und kann mir gut vorstellen, diese in ganz Europa zu etablieren.
Als ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments in Straßburg waren Sie häufig in Frankreich. Auf welche Erfahrungen aus dieser Zeit blicken Sie gerne zurück?
Ich habe meine Zeit als Abgeordnete in Straßburg, aber auch meine Zeit am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sehr intensiv genützt. Aus diesen sehr spannenden Zeiten habe ich viele Freundschaften, die bis heute andauern. Straßburg hat mich auch persönlich verändert, offener gemacht, und ich habe in den Sitzungen des Europarates mehr über Geschichte und Zugänge in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten des Europarates gelernt, denn sie wurden von Menschen vermittelt. Das könnte man in einem Buch nie nachlesen. Jedes gemeinsame Mittagessen hier war wie ein rechtsvergleichendes Seminar. In Straßburg ist der europäische Spirit spürbar. Und wenn einen dieser europäische Spirit, das internationale Fieber einmal gepackt hat, dann lodert es fortan. Das ist auch bei mir der Fall!
Treten Flüsse und Bäche nach Starkregen über die Ufer, wird die Notwendigkeit von Hochwasserschutzmaßnahmen sichtbar. Renaturierungskonzepte zählen zu den geeigneten Maßnahmen zum Schutz vor verheerenden Umweltereignissen. Von Finnland bis Israel werden in 17 Gebieten Europas Bäche, Flüsse, Moore und Feuchtgebiete in einen naturnahen Zustand zurückgeführt – dank des von der Europäischen Union bis 2025 mit 21 Millionen Euro geförderten "Green Deal"-Projekts Merlin. Die Initiative zur Wiederherstellung natürlicher Süßwasserökosysteme sichert durch wasserbauliche Maßnahmen die Artenvielfalt; gleichzeitig wird auch der Hochwasserrückhalt verbessert.
Das "Green Deal"-Projekt wird von der Universität Duisburg-Essen koordiniert. Europaweit sind 44 Projektpartner beteiligt – neben Universitäten, Forschungsinstituten und Naturschutzorganisationen etwa auch Interessengruppen von Unternehmen, Regierungen und Gemeinden. Auch die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) nimmt teil. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Hydrobiologie und Gewässermanagement arbeiten im Rahmen von Merlin an der Umsetzung des Renaturierungsprojekts im Nationalpark Donau-Auen. Laut Institutsleiter Professor Thomas Hein werden Forschungsinhalte für die Umsetzung aufbereitet und fließen direkt in diese ein. Hein beschreibt die Zielsetzung so: "Es wird während der Laufzeit des Projekts eine bestimmte wasserbauliche Maßnahme umgesetzt. Flüsse sind zum Beispiel durch Querbauwerke, Hochwasserschutzdämme und Staudämme sehr stark reguliert worden. Um eine ursprüngliche Struktur herbeizuführen, müssen die Steine wieder entfernt werden."
Fallbeispiel: Nationalpark Donau-Auen
Im Rahmen des grenzüberschreitenden EU-Projekts wird östlich von Wien, im Nationalpark Donau-Auen, ein Uferabschnitt der Donau von circa einem Kilometer Länge renaturiert. Für die Umsetzung sind "via donau", ein Unternehmen des österreichischen Verkehrsministeriums, sowie Forscherinnen und Forscher der BOKU zuständig.
"Der Uferdamm wird in diesem Abschnitt rückgebaut, damit die Donau wieder die Möglichkeit hat, flächig mit Auengewässern in Verbindung zu treten, die Ufermorphologie natürlich zu gestalten und durch neue Sukzessionsstadien der bedrohten Artenvielfalt einen Lebensraum zurückzugeben", erklärt Institutsleiter Hein die Arbeiten. "Diese Wasserbausteine sind riesengroß, da bewegt sich nichts, da gibt es keinen Lebensraum zwischen den Steinen." Bei den wasserbaulichen Maßnahmen werden die großen Wasserbausteine mit Baggern abgetragen.
Den Rest der Arbeit macht dann die Natur: "Der Fluss trägt bei unterschiedlichen Wasserständen Material ab und schafft neue Schotterflächen, auf denen sich neue Lebensgemeinschaften von Fauna und Flora entwickeln können. Das Ziel ist, den Uferbegleitdamm zu entfernen und damit zu ermöglichen, dass sich natürliche Uferstrukturen entwickeln. Diese Strukturen spielen auch eine große Rolle für viele Vogelarten und Flussfische, vor allem in jugendlichen Stadien, also Fischlarven", weiß Hein. Darüber hinaus profitiere die sogenannte Pionierufervegetation von der Entfernung des Blockwurfes, so der Wissenschaftler.
Vielfalt soll wieder ermöglicht werden
Andere europäische Fallbeispiele zielen auf die Renaturierung von Feuchtgebieten und Mooren ab. Weil in Mooren der Boden unter Wasser steht und der Abbau des organischen Materials unter Luftabschluss sehr langsam passiert, speichern sie gewaltige Mengen von Kohlenstoff. Experte Thomas Hein: "Wenn ich Moore beispielsweise für landwirtschaftliche Nutzung trockenlege und der Boden durch Luftzufuhr viel Sauerstoff bekommt, beginnt der Abbau des Kohlenstoffs. Das heißt, er wird durch Mikroorganismen veratmet, wodurch CO2 freigesetzt wird, das über Tausende von Jahren gespeichert gewesen ist. Durch Wiedervernässung, also eine Anhebung des Wasserstandes, werden Moore und Feuchtgebiete in einen natürlichen Zustand zurückgeführt und Vegetationsprozesse wieder initiiert."
Die vom Menschen verursachte "Homogenisierung der Natur" zerstöre die Lebensraumqualität, so Hein. Ziel von Renaturierungsprojekten ist es daher, die in der Natur enthaltene Vielfalt wieder zum Leben zu erwecken.
Zielsetzung des "Europäischen Jahres der Jugend" ist es, jungen Menschen Möglichkeiten in Beruf und (Aus-)Bildung bewusster zu machen und sie gleichzeitig zu einer stärkeren Beteiligung an Themen der europäischen Politik zu motivieren. Die Europäische Kommission hat 4 Themenbereiche vorgegeben:
- Neue Chancen im digitalen und ökologischen Bereich aufzeigen
- Partizipation und Engagement fördern
- Berufliche Möglichkeiten durch EU-Programme und -Projekte bekannter machen
- Einbezug der Jugendperspektive in alle Politikbereiche sicherstellen
Großes Interesse
In der Vorbereitungsphase wurden Jugendliche aus ganz Europa über ein Online-Formular zu ihren Vorstellungen und Ideen befragt. Rund 5.000 junge Menschen – die meisten aus Griechenland, Italien und Spanien – beteiligten sich im Herbst 2021 an der Umfrage. 58,8 Prozent der Befragten gaben an, aktiv am "Europäischen Jahr der Jugend" teilnehmen zu wollen. Besonders die Möglichkeit, unterschiedliche Ideen und Meinungen zu diskutieren und sich über Kultur und Erfahrungen auszutauschen, ist ein häufiges Anliegen. Als bevorzugte Plattformen und Veranstaltungsformate würden den Befragten vor allem Konferenzen, Workshops und Diskussionen gefallen, aber auch Konzerte oder Spiele wurden als Chance für eine bessere Vernetzung der europäischen Jugend genannt.
Regional bis International
Über 400 Projekte und Veranstaltungen sind auf der Website zum "Europäischen Jahr der Jugend" bereits gelistet, darunter Kongresse und Wettbewerbe, Festivals, Konzerte, "Hackathons" und Kunstausstellungen. Die Verlosung von Interrail-Tickets soll auch dazu beitragen, Europa "erlebbar" zu machen.
In Österreich setzt beispielsweise das Burgenland europäische Akzente: Die Initiative "Jugend im Landtag" lädt burgenländische Schülerinnen und Schüler in den Landtag ein, um sich mit Beiträgen, Anregungen oder Kritik an der öffentlichen Debatte zur künftigen Gestaltung und Ausrichtung der EU zu beteiligen. Die Ergebnisse fließen in die EU-Zukunftskonferenz ein. Andere Initiativen an Schulen in ganz Österreich fördern die Teilnahme von Jugendlichen an EU-Projekten oder ermöglichen den direkten Austausch mit EU-Abgeordneten. Viele Gemeinden wollen ebenfalls das "Erasmus+"-Programm bei Schülerinnen und Schülern bekannter machen sowie die Möglichkeit zur Mitarbeit im Europäischen Solidaritätskorps bewerben.
Themenjahre haben Tradition
"Europäische Jahre" werden immer dann ausgerufen, wenn ein Thema nach grenzüberschreitender Aufmerksamkeit verlangt. Zum ersten Mal war dies mit dem "Europäischen Jahr für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Handwerk" im Jahr 1983 der Fall. Zuletzt wurde 2021 zum "Europäischen Jahr der Schiene" erklärt. Die Europäische Kommission stellt für die Jahresthemen einen eigenen Haushalt zur Verfügung, mit dem Projekte finanziell unterstützt werden.
"Das ist unser Jahr!"
Staatssekretärin Claudia Plakolm zum "Europäischen Jahr der Jugend"
Was brauchen junge EU-Bürgerinnen und EU-Bürger am dringendsten?
Junge Menschen in Europa brauchen jetzt vor allem Perspektiven für die Zukunft. Es gilt, Gestaltungsmöglichkeiten in allen Lebensbereichen aufzuzeigen und neue Chancen zu ergreifen. Wir werden dieses "Europäische Jahr der Jugend" nutzen, um unseren Anliegen Gehör zu verschaffen, unseren Ideen eine Stimme zu verleihen und unserer Zukunft eine Form zu geben. Das ist unser Jahr!
Welche (Zukunfts-)Perspektiven können sich junge Menschen durch diese Kampagne erwarten?
Österreich ist darin Vorreiter, jungen Menschen eine starke Stimme in der Mitbestimmung zu geben: Bereits seit 15 Jahren dürfen Jugendliche in Österreich schon mit 16 Jahren wählen. Das ist auf dem gesamten europäischen Festland einzigartig. Wir werden gerade im "Europäischen Jahr der Jugend" auf europäischer Ebene und bei anderen Mitgliedstaaten aktiv für diese einzigartige Möglichkeit werben. Zudem schlage ich vor, dass wir auf EU-Ebene einen "Jugendcheck" für jeden Rechtsakt durchführen – also jedes Vorhaben, jede Richtlinie auf ihre Zukunftstauglichkeit prüfen. Denn jegliche Politik ist Jugendpolitik, weil Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, junge Menschen am längsten betreffen.
Und welche Botschaft möchten Sie an die jungen Menschen richten, was ist Ihnen persönlich besonders wichtig?
Ziel im "Europäischen Jahr der Jugend" ist es, sich nicht auf dem bisher Erreichten auszuruhen, sondern Europa aktiv weiterzuentwickeln. Dazu lade ich jeden jungen Menschen in Österreich sehr herzlich ein!
Die Initiative "Europa fängt in der Gemeinde an", 2010 ins Leben gerufen, ist in der EU einzigartig, inspirierend – und erfolgreich: Die stetig wachsende Zahl der Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte belegt das kontinuierlich große Interesse. Das Ziel der Initiative? Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, sollen fachkundig kommuniziert werden, und das in jeder Gemeinde in ganz Österreich.
Mehr als 1.300 Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte kümmern sich mittlerweile in allen Bundesländern um europäische Themen und Belange. Sie sind die ersten Kontaktpersonen, wenn Menschen Fragen und Anliegen zur EU haben. Sie stellen Informationen bereit, führen Gespräche und können dabei die eine oder andere Sorge nehmen.
Die EU näher an die Bürgerinnen und Bürger rücken!
Die Egal, ob in Wien-Neubau, am Mondsee oder im Lavanttal: Quer durch die Bundesländer und über alle Parteigrenzen hinweg eint die Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte, dass sie einen Beitrag für mehr Bürgerinnen- und Bürgernähe der EU leisten möchten.
Eine dieser europäisch engagierten Gemeinderätinnen und Gemeinderäte ist Gerda Schnetzer-Sutterlüty. Am Anfang war es die Kultur, die ihr Interesse an der EU geweckt hat. "Wir sind in einer Art ‚globalen Schatzkammer‘ auf die Welt gekommen. Ich schätze Österreich und die EU als kulturellen Hotspot der Welt", erklärt sie. Seit sieben Jahren ist Schnetzer-Sutterlüty bereits Europa-Gemeinderätin in Sulz in Vorarlberg – und seitdem hat sie zahlreiche weitere Gründe für ihre Europa-Begeisterung gefunden, die sie gerne an andere weitergeben möchte. Bei der Beschäftigung mit der Europäischen Union und ihren Institutionen stößt sie immer wieder auch auf Skepsis: "Oft sagen die Menschen: ‚Mit der EU habe ich nichts zu tun.‘ Das Gegenteil zu beweisen ist mein Ansporn, Europa-Gemeinderätin zu sein."
Die EU werde oft als "intransparent" und "so weit weg von uns" wahrgenommen, meint auch Europa-Gemeinderat Joseph Miedl aus Berndorf in Niederösterreich. Wenn die Bürgerinnen und Bürger jedoch erkennen, welche Vorteile ihnen die Union bringt, sei das Interesse groß. Miedl möchte den Menschen vermitteln, welche Entscheidungsstrukturen Auswirkungen auf Österreich haben, welche Rolle die einzelnen Staaten dabei spielen und dass sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbringen können.
Für Viktoria Gruber zählt vor allem ein Aspekt: "Ich glaube, dass man die Friedensunion Europa nie genug in den Vordergrund rücken kann", sagt die Stadträtin in Schwaz. Um auch bei anderen Menschen die Begeisterung für das Friedensprojekt zu wecken, entschied sich die Tirolerin 2016, Europa-Gemeinderätin zu werden: "Über die Grenzen hinauszuschauen und über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten ist mir ein Herzensanliegen – gerade in Krisenzeiten und bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie des Klimawandels."
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist auch das "Spezialgebiet" von Erna Andergassen. Kein Wunder: Die Gemeinderätin aus Seefeld in Tirol lebt nahe der Grenze zu Bayern. Als 2010 die Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte gestartet wurde, war Andergassen sofort mit dabei: "Es war mir ein wichtiges Anliegen, dass ich das Thema EU in die Gemeinde hineinbringe."
Zahlreiche Projekte vor Ort
Die Aktivitäten der Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte sind vielfältig. Joseph Miedl setzt sich in der Stadtgemeinde Berndorf dafür ein, Europa "lebbar" und verständlich zu machen. "Nur dann, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern einen Mehrwert aufzeigen kann, entstehen Interesse an der EU und eine positive Wahrnehmung von der Union", sagt er. Als Europa-Gemeinderat hat er einen "Europa-Stammtisch" in einem Heurigenlokal organisiert und einen Europa-Stand in der Berndorfer Fußgängerzone sowie weitere Informationsveranstaltungen umgesetzt. Mit einer EU-Seite im Gemeindekurier hält Miedl die Bevölkerung über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden, und er plant Reisen nach Brüssel und Straßburg. Die Initiative zeige deutlich ein ernsthaftes Interesse der Europaministerin, dass der Informationsfluss tatsächlich auch in jeder Gemeinde ankomme, so Miedl.
Gerda Schnetzer-Sutterlüty hat in einem Buch („Briefe an Angelika Kauffmann – Zeilen in die europäische Vergangenheit“) EU-Themen mit dem Alltag sowie den Biografien von Menschen und ihren Zukunftsgedanken verknüpft. Für das Projekt "Europa – so nah und doch so fern!" wurde die Vorarlbergerin sogar mit dem Europa-Staatspreis ausgezeichnet. In Workshops und Diskussionen wurde dabei im Vorfeld der Europawahl 2019 ergründet, wie die Menschen mit der EU verbunden sind und wie sie konkret von der Mitgliedschaft profitieren. Wichtig für Schnetzer-Sutterlüty war das überparteiliche Engagement vor der Europawahl, das in ihrer Gemeinde unter dem Motto "Diesmal wähle ich: Für Sulz und die EU!" stattfand. "Im Rahmen der Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte waren wir dazu aufgerufen, Kampagnen umzusetzen mit dem großen Ziel, die Wahlbeteiligung zu erhöhen", sagt Schnetzer-Sutterlüty. "Das ist uns auch gelungen und hat sehr viel Spaß gemacht!"
Über Grenzen hinweg
Für Erna Andergassen aus Seefeld stehen vor allem die Akquise von EU-Fördermitteln und die Umsetzung von Projekten in der Gemeinde im Vordergrund: "Ich kümmere mich um das Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit und leiste Unterstützung für die Euregio-Geschäftsstelle." Das Seefelder Plateau, sechs Gemeinden im Bezirk Reutte sowie der deutsche Landkreis Garmisch-Partenkirchen bilden zusammen die Euregio Zugspitze-Wetterstein-Karwendel – eine von sechs Euregios im Programm INTERREG V-A Österreich – Bayern 2014–2020. Mit dem Zusammenschluss wird der Europa-gedanke – finanziert aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung – konkret gefördert. Europa-Gemeinderätin Andergassen ist das Bindeglied der Gemeinde zur Euregio-Geschäftsstelle in Garmisch-Partenkirchen und unterstützt Bürgerinnen und Bürger sowie Initiativen bei der Anbahnung von Fördervorhaben und Projekten. So hat sie die Umsetzung des Interreg-Großprojektes "Wege des Holzes", das gemeinsam mit dem bayerischen Markus-Wasmeier-Freilichtmuseum entstanden ist, unterstützt. Am Tor zum Karwendelgebirge wurde eine ehemalige Hütte von Holzern zum Museum ausgebaut. "Europa ist besonders dann spürbar, wenn Fördergelder in die Region fließen und darüber in den Medien berichtet wird", betont die Europa-Gemeinderätin.
Für Viktoria Gruber stehen die zahlreichen Städtepartnerschaften im Mittelpunkt, denn sie ist nicht nur Stadträtin und Europa-Gemeinderätin, sondern auch Referentin für äußere Beziehungen und interkulturelle Angelegenheiten der Stadt Schwaz. Sie ist stolz auf die Partnerschaften mit Städten in Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Rumänien und dem Vereinigten Königreich. Der Austausch reicht von Kooperationsprojekten über vernetzte Jugendarbeit bis hin zu gemeinsamer Vereinsarbeit – etwa der Feuerwehren oder der Imkerinnen und Imker. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben als Europa-Gemeinderätin sieht Gruber darin, den Bürgerinnen und Bürgern ein ausgewogenes Bild der EU zu vermitteln.
Die EU "zukunftsfit" machen
Für die Vorarlbergerin Gerda Schnetzer-Sutterlüty ist es wichtig, nicht zu vergessen, dass "wir uns als EU-Bürgerinnen und -Bürger privilegiert fühlen dürfen: Wir haben wirtschaftlichen Erfolg, wir können in Forschung und Entwicklung investieren. Und – das ist nach wie vor aus meiner Sicht die größte Leistung der Union – seit mehr als 70 Jahren herrscht Frieden in Europa!"
Im Rahmen der "Konferenz zur Zukunft Europas" wünscht sich Erna Andergassen, dass die grenzüberschreitende Vernetzung weiter ausgebaut wird: "Schließlich geht es darum, Menschen dies- und jenseits der Grenzen zusammenzubringen – und das ist einfach schön. Wenn am Ende auch ein umgesetztes Projekt präsentiert werden kann, umso besser!"
Im Kontext der EU-Zukunftskonferenz sei es wichtig, dass "die Menschen das Gefühl bekommen: ‚Die EU hört mich‘", sagt die studierte Archäologin Viktoria Gruber. Das sei besonders in der Arbeit mit Jugendlichen von Bedeutung: "Sie müssen Vertrauen in die EU haben und erkennen, dass wir die EU sind. Nicht ‚die da oben‘, sondern jede und jeder Einzelne von uns."
Joseph Miedl, im Zivilberuf Sales Manager bei einem Telekommunikationsunternehmen, möchte künftig weiter daran arbeiten, die Mechanismen der EU für die Bürgerinnen und Bürger verständlich zu machen und ihre Vorteile hervorzuheben, wie etwa Projekte für die Regionen im Rahmen des LEADER-Programms für den ländlichen Raum. Aber auch die Rolle der Union jenseits der EU-Außengrenzen beschäftigt ihn, denn: "In dieser globalisierten Welt sind ein stärkeres Miteinander und ein intensiveres Zusammenwachsen unabdingbar – Europa muss im weltweiten Kontext mit einer gemeinsamen Stimme auftreten."
Hilfreiche Servicepakete
Unterstützung bei ihrer Tätigkeit bekommen die Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte durch ein Service- und Informationsangebot der an der Initiative beteiligten Partner. Was ist für Viktoria Gruber das Besondere an den Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäten? "Wir sind in Österreich in einem guten Austausch – sei es durch Vernetzungsveranstaltungen untereinander oder bei Fortbildungen. Man wird gut informiert, lernt selbst sehr viel über die EU und kann dadurch auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger die richtigen Antworten geben", resümiert sie. "Ich kann die Initiative nur allen empfehlen!"
Alle Informationen zur Europa-GemeinderätInnen-Initiative auf:
Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte können sich dort im eigenen Intranet vernetzen und über Initiativen und Veranstaltungen informieren.
"Der österreichische Plan erfüllt all die anspruchsvollen Kriterien. Er ist ehrgeizig, er hat Weitblick und er wird dazu beitragen, dass Österreich stärker aus der Krise herausgeht." Mit diesen Worten überreichte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Österreich- Besuch am 21. Juni 2021 symbolisch die Genehmigung zur Umsetzung des nationalen Aufbau- und Resilienzplans, der dazu beitragen soll, die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Der entsprechende Durchführungsrechtsakt wurde am 13. Juli 2021 beim Rat der EU-Finanzministerinnen und -Finanzminister verabschiedet. Die Weichen für das wirtschaftliche Comeback Österreichs sind also gestellt – jetzt gilt es, das vorhandene Potenzial und die bereitgestellten Mittel optimal zu nutzen.
Meilensteine zügig erreichen
Insgesamt reichte Österreich für den Aufbau- und Resilienzplan Projekte mit einem Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Euro ein, zugesagt wurden rund 3,5 Milliarden Euro. Der erste Vorschuss in Höhe von 450 Millionen Euro (oder 13 Prozent der Gesamtmittel) wurde bereits im September von der EU überwiesen. Der endgültige Betrag wird im Juni 2022 auf Basis der Wirtschaftsdaten von 2019 bis 2021 ermittelt. Um die reservierten Mittel in voller Höhe ausschöpfen zu können, muss Österreich bis 2026 insgesamt 171 Meilensteine und Ziele erfüllen und darüber im halbjährlichen Abstand der EU Bericht erstatten. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, müssten alle an einem Strang ziehen, betont Finanzminister Gernot Blümel: "Daher appelliere ich an alle Ressorts, die vorgegebenen Zeitvorgaben einzuhalten und hier mit gutem Beispiel voranzugehen, damit die zugesagten Gelder ungehindert fließen können und die Projekte zügig umgesetzt werden können."
Digitale und "Grüne" Schwerpunkte
"Unser österreichischer EU-Aufbauplan trägt als klares und umfassendes Paket dazu bei, dass wir gestärkt aus der Krise herauskommen. Wir setzen auf Zukunftsthemen und Innovationen und gehen in Europa voran", erklärte Europaministerin Karoline Edtstadler. Die geplanten Projekte sollen Österreich grüner, dynamischer, innovativer – und damit fit für die Zukunft machen.
Österreich als Vorreiter
Mit diesen Schwerpunktsetzungen geht Österreich EU-weit mit gutem Beispiel voran: Nach Berechnungen der EU-Kommission erfüllen 59 Prozent der Investitionen und Reformen Klimaschutzzwecke, 53 Prozent fördern die Digitalisierung. Die von der EU für diese Bereiche geforderten Anteile von 37 Prozent für Klimaschutz beziehungsweise 20 Prozent für Digitalisierung werden also deutlich übertroffen. Besonders im Bereich des Klimaschutzes liege Österreich europaweit an der Spitze, lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Über den EU-Aufbauplan
Die Aufbau- und Resilienzfazilität ist das Herzstück des Programms "Next Generation EU": Dieses wurde von den EU-Staaten im Sommer 2020 vereinbart, um gemeinsam die tiefe Corona- Wirtschaftskrise zu überwinden und wichtige Zukunftsinvestitionen zu finanzieren. In Summe werden den Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren 672,5 Milliarden Euro in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen und Darlehen zur Verfügung gestellt, um die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern, in den ökologischen und digitalen Wandel zu investieren und wichtige Strukturreformen voranzutreiben.
Aktuelle Informationen zum österreichischen Aufbau- und Resilienzplan und zu den Leuchtturmprojekten auf: www.eu-aufbauplan.at
Die vier Komponenten des Aufbau- und Resilienzplans im Detail:
Komponente 1
Nachhaltiger Aufbau
Zu den "grünen" Investitionen zählen etwa die Sanierungsoffensive, Maßnahmen gegen Energiearmut sowie Investitionen und Reformen zur schrittweisen Dekarbonisierung des öffentlichen Verkehrs und der Industrie. Zudem sollen die gesetzlichen Maßnahmen und Investitionen dazu beitragen, die Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen, Abfälle zu vermeiden und die Biodiversität zu bewahren. Ausgewählte Reformen sind das Klimaticket, das Erneuerbaren-Ausbau- Gesetz sowie der Mobilitätsmasterplan 2030.
Komponente 2
Digitaler Aufbau
Die flächendeckende Versorgung mit schneller Internetanbindung ist ein Schlüsselelement für eine dynamische und flexible Wirtschaft, aber auch für eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Die Bereitstellung von digitalen Endgeräten etwa an Schulen fördert einen fairen und gleichen Zugang zu Bildung. Weiters werden Digitalisierung und ökologische Investitionen in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) unterstützt.
Komponente 3
Wissensbasierter Aufbau
Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung und damit zur Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen einerseits dem Fachkräftemangel, andererseits der Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Forschung, Technologie und Innovation, insbesondere die strategische Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen, sind wichtige Säulen des wissensbasierten Aufbaus.
Komponente 4
Gerechter Aufbau
Im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sind Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitswesens, der Pflege und der Kinderbetreuung geplant. Durch den Ausbau der Primärversorgung soll das Gesundheitssystem entlastet werden. Ausgewählte Reformen umfassen neben der ökosozialen Steuerreform und der darin vorgesehenen CO2-Bepreisung auch die Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters, die Weiterentwicklung der Pflegevorsorge sowie die Förderung von Kunst- und Kulturinitiativen.
"Die EU-Zukunftskonferenz ist mir von Anfang an ein Herzensanliegen gewesen. Themen wie Migration, Klimawandel oder Digitalisierung können wir nicht alleine bewältigen, sondern nur gemeinsam. Ich freue mich, dass ihr heute die Zukunft Europas mitgestaltet!" Mit diesen Worten begrüßte Europaministerin Karoline Edtstadler rund 100 junge Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren am 17. November 2021 unter strengen COVID-19-Sicherheitsvorkehrungen in den Wiener Sofiensälen. "Wir brauchen eine handlungsfähige und mutige EU, die sich den großen Herausforderungen stellt. Ich möchte, dass Österreich einen substanziellen Beitrag zur Konferenz leistet, und dabei sind mir die Inputs junger Menschen besonders wichtig." So würden zahlreiche Veranstaltungen zur EU-Zukunftskonferenz in Österreich Jugendliche sowie Schülerinnen und Schüler als Zielgruppe ansprechen – innerhalb der neun Themenblöcke mehr als ein Drittel aller Veranstaltungen.
Wir verändern die Europäische Union. Genau hier. Genau heute.
Karoline Edtstadler
Europaministerin
Politik nicht nur FÜR, sondern MIT jungen Menschen machen
Jugendministerin Susanne Raab hob hervor, dass "wir Politik nicht nur für junge Menschen machen, sondern vor allem mit ihnen. Europa wird auch in Zukunft nur dann funktionieren, wenn es besonders auch von jungen Menschen mit Herz, Hirn und Leben erfüllt wird." Der Vorsitzende der Bundesjugendvertretung (BJV), Sabir Ansari, verwies auf die Errungenschaften der europäischen Integration, von denen die knapp 3 Millionen unter 30-Jährigen in Österreich profitieren würden: "Was für die Generationen vor uns unvorstellbar war, ist für uns Normalität. Ob Reisen, Lernen oder Arbeiten, wo wir wollen – dank der EU stehen uns viele Möglichkeiten offen. Die großen Herausforderungen können wir aber nur gemeinsam bewältigen. Daher wollen wir die Möglichkeit nutzen und die Zukunft Europas mitgestalten."
An sogenannten "Tischinseln" hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, Ideen zu den neun Themenfeldern der EU-Zukunftskonferenz zu erarbeiten. Die Vorschläge und Visionen wurden anschließend in Form von Plakaten an Europaministerin Edtstadler überreicht, die diese in den nächsten Wochen auf europäischer Ebene in die Diskussion über die Zukunft der Union einbringen wird.
Besonders großes Interesse zeigten die Teilnehmenden am Themenbereich "Klimawandel und Umwelt". Gleich zwei Gruppen erarbeiteten Ideen zur Bewältigung der Klimakrise, wie ein EU-weites CO2-Ampelsystem für die Produktkennzeichnung, mehr Bewusstseinsbildung und Wissensvermittlung oder den Ausbau von klimafreundlichen Mobilitätsangeboten. Andere Ideen kreisten um Bildung – Aufwertung der beruflichen Lehre in der EU, stärkere Förderung von Programmen wie Erasmus+ und mehr politische Bildung an Schulen – sowie Partizipation. Die jungen Menschen plädierten für die Stärkung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Bürgerinitiative. Sie betonten, dass junge Menschen besonders von den COVID-19-bedingten Einschränkungen betroffen seien und daher für psychische Gesundheit mehr EU-Mittel zur Verfügung gestellt werden sollten. Neben den Chancen durch die Digitalisierung müsse auch deren "Schattenseiten" – wie "Hass im Netz" oder dem "Digital Divide" bei Zugang zu und Nutzung von Technologien – mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zahlreiche Ideen äußerten die Jugendlichen zur inneren und äußeren Sicherheit sowie zur globalen Rolle der EU – von einem wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen und einem Plädoyer für den Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum über die Verankerung europäischer Werte in der Außenpolitik bis hin zur Rückholung von Schlüsselindustrien nach Europa.
Europaministerin Edtstadler betonte, dass Österreich mit seinem Modell der dualen Ausbildung in Schule und Betrieb ein Vorbild für die anderen EU-Staaten und darüber hinaus sein könne. In puncto Bildung sei es wichtig, dass besonders junge Menschen "Demokratie persönlich und direkt erleben können, das reicht vom Sprachaufenthalt bis hin zum Besuch von europäischen Institutionen". Zur Bewältigung des Klimawandels, aber auch der digitalen Herausforderungen müssten Investitionen zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden: "Der EU-Aufbauplan bietet zahlreiche Chancen, in die digitale und ‚grüne‘ Transformation zu investieren. Diese Möglichkeiten müssen wir in Österreich bestmöglich nützen und tatsächlich für Nachhaltigkeit, Innovation und den digitalen Wandel einsetzen!" Es sei nicht immer einfach, Veränderungen auf europäischer Ebene herbeizuführen: "Aber wir müssen jetzt an den kleinen und großen Schrauben drehen: Es gilt, die Chancen des Binnenmarktes zu nützen, Antworten in der Migrationspolitik zu finden und bei außenpolitischen Herausforderungen schneller zu reagieren. In Bezug auf den Klimawandel sicherzustellen, dass wir auch in 20, 30, 40, 50 Jahren ein prosperierendes Europa mit einer intakten Natur vorfinden, das uns Sicherheit und Wohlstand gibt." Die Europaministerin betonte zudem, dass für junge Menschen ein "Europa ohne Grenzen" und die Möglichkeiten der EU-weiten Mobilität (Reisen, Leben, Arbeiten) von besonderer Bedeutung seien: "Die COVID-19-Pandemie hat uns gezeigt, dass offene Grenzen innerhalb der EU keine Selbstverständlichkeit sind."
Wichtig für junge Menschen; Wichtig für die Zukunft der EU
Begeistert von den Vorschlägen und der Stimmung zeigte sich Europaministerin Edtstadler zum Abschluss der Veranstaltung: "Wir verändern die Europäische Union. Genau hier. Genau heute. Mit den Stimmen junger Menschen aus ganz Österreich." Sie werde die Ideen und Impulse in die "Konferenz zur Zukunft Europas" – die eine "historische Chance" sei – einbringen, versprach Edtstadler: "Ich nehme sehr viel Motivation aus dieser Veranstaltung mit. Die breite Themenvielfalt entspricht auch dem Motto der Europäischen Union: In Vielfalt geeint. Ich werde mich auf europäischer Ebene weiter für die Themen einsetzen, die euch als Jugend wichtig sind. Denn wenn sie für euch von Bedeutung sind, dann sind sie es auch für unsere Zukunft. So können wir dazu beitragen, dass wir gemeinsam eine bessere Europäische Union gestalten!"
Junge Stimmen zur Zukunft Europas
Markus, 27 Jahre: "Ich komme aus Kärnten und bin heute mit dabei, weil mir Europa einfach am Herzen liegt. Als Österreicher ist man selbstverständlich Teil der EU und es sollte uns auch am Herzen liegen, dass Europa in der Welt präsent ist. Weil es uns auch in Österreich Sicherheit gibt – als starker Teil von einem starken Europa!"
Lena, 21 Jahre: "Wir sollten schon heute die Weichen für morgen stellen – in Österreich, aber auch auf EU-Ebene! Mein Themenbereich heute war ‚Werte und Rechte‘. Wir treten für eine konsequente Durchsetzung der Werte der EU ein, denn diese sind die Grundlage unserer europäischen Zusammenarbeit. Die europäischen Werte sollten auch stärker in der Außen- und Handelspolitik berücksichtigt werden."
Paulina, 29 Jahre: "Ich komme aus Wien. Heute bin ich dabei, weil mich als Person mit internationalem Hintergrund die Zukunft der Europäischen Union besonders interessiert. Ich durfte heute in der Gruppe ‚Migration‘ mitarbeiten. Wir treten dafür ein, dass die EU-Außengrenzen geschützt werden müssen, es aber innerhalb der Europäischen Union keine Grenzkontrollen gibt."
Raf, 21 Jahre: "Servus, ich bin gebürtiger Niederländer, aufgewachsen in Vorarlberg, habe durch das Programm Erasmus+ sieben Monate in Litauen gelebt und bin seit eineinhalb Jahren in Wien. Dass sich in der EU 27 Länder zusammengeschlossen haben und trotz unterschiedlicher Kulturen zusammenarbeiten können, finde ich faszinierend und einmalig. Die Zukunftskonferenz wäre keine Zukunftskonferenz, wenn die Jugend nicht miteinbezogen wäre. Die Jugend ist nun mal die Zukunft und ich will selbst mitentscheiden können!"
Wie sehen Sie als Präsident von EUROCHAMBRES die Rolle Österreichs und der EU im globalen Wettbewerb, insbesondere des "Rückgrats" der Wirtschaft – kleine und mittlere Unternehmen?
Österreich kann in puncto Kreativität, Innovation und Nachhaltigkeit wichtige und wertvolle Impulse in der Europäischen Union vermitteln und diese daher im globalen Wettbewerb stärken. Mehr als 50 Prozent der Weltumweltausgaben und der Weltsozialausgaben werden in Europa getätigt. Nur mit einer starken Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit kann das europäische Lebensmodell erhalten bleiben.
Wie gelingt es, die von der Pandemie in Mitleidenschaft gezogenen Unternehmen EU-weit wieder auf Wachstumskurs zu bringen?
Ja, die COVID-19-Krise hat Unternehmen in ganz Europa getroffen. Aber dank der guten Kooperation zwischen der Europäischen Wirtschaftskammer und der Europäischen Kommission konnten die Horrorprognosen von Hunderttausenden Unternehmenspleiten und Millionen Menschen ohne Beschäftigung abgewendet werden. Jetzt brauchen wir einen gestärkten europäischen Binnenmarkt, insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Energie und Kapitalmarkt. Die Pandemie hat aber auch österreichische Werte wie Nachhaltigkeit oder Regionalität viel stärker in unser Bewusstsein gerückt. Daneben gilt es, bei den Megathemen "Green Technology" und Digitalisierung innovative Beiträge zu leisten.
Wie kann eine Balance zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, Klimaschutz und "grünem" Wandel erzielt werden?
Eine ausgewogene Balance besteht darin, im Energiebereich technologieoffen zu sein. Die einseitige Fokussierung auf die elektrische Energie erscheint mir nicht durchdacht. Europa sollte und könnte sich beispielsweise auch mit Wasserstofftechnologie viel stärker beschäftigen und Österreich hier wichtige Beiträge leisten. Darüber hinaus bin ich ein engagierter Befürworter einer Kreislaufwirtschaft, das heißt, alle Ressourcen, die der Erde entnommen sind, sollen nach deren Verwendung wieder zurückgeführt werden. Das ist eine neue Wirtschaftsphilosophie, weg von der Verschwendung, hin zur Wiederverwendung!
Wie kann die Europäische Union weltweit als Akteurin, die das Handeln in den Fokus rückt, stärker wahrgenommen werden?
Die Europäische Union darf sich nicht selbst durch das Einstimmigkeitserfordernis in wichtigen Belangen blockieren, sondern muss handlungsfähiger und handlungswilliger werden. Da müssen nationale Eigeninteressen oft zugunsten von Gesamtinteressen zurückstehen. Ich sehe für die EU drei Schwerpunktthemen, denen sie sich in den nächsten Jahren widmen sollte, um "zukunftsfit" zu werden: Die Wirtschaft, Währung und Finanzpolitik im Sinne einer Vertiefung des Binnenmarktes, die Außen-, Sicherheits- und Migrationspolitik und wirtschaftliche Kooperationsabkommen mit allen anderen Teilen der Welt.
Wie kann es gelingen, europäische Entscheidungsprozesse auf lokaler und regionaler Ebene besser zu vermitteln?
Brüssel und Straßburg mögen weit weg sein. Aber ich möchte nicht, dass wir uns Richtung Washington oder Peking orientieren müssen. Ganz wesentlich erscheint mir, dass die Menschen persönlich informiert werden und sich mit ihren Ideen und Anliegen vermehrt in Diskussionen einbringen können. Das kann gelingen durch ein "Europa der Regionen", weil auf der regionalen Ebene durch Partnerschaften mit anderen Regionen das Projekt Europa erfahrbar, erlebbar und damit auch menschlich spürbar wird. Die Initiative "Europa fängt in den Gemeinden an" gefällt mir ausgezeichnet, weil die Gemeinden die Basis sind, auf die Europa stolz sein kann und die auch die höchste Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern hat.
Brüssel und Straßburg mögen weit weg sein. Aber ich möchte nicht, dass wir uns Richtung Washington oder Peking orientieren müssen.
Christoph Leitl
Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer EUROCHAMBRES
Sie sind viel auf Reisen – wann und wie fühlen Sie sich "österreichisch" oder "europäisch"?
Ja, man spürt sofort, ob man in Europa ist oder nicht. Und kommt man dann wieder nach Hause nach Wien, Linz oder in das Mühlviertel, spürt man die Wurzeln, aus denen die Kraft kommt, um weltweit zu denken und europäisch zu handeln.
Sie engagieren sich für die europäische Integration und wurden mit dem "Europäischen Bürgerpreis" des Europäischen Parlaments ausgezeichnet. Was war Ihr persönlicher "Europa-Moment"?
Als ich als junger Bub meinen Vater gefragt habe, warum wir von Amerikanern und Russen besetzt sind. Er hat mir gesagt: "Weil wir Europäer uns gestritten und nicht zusammengehalten haben." Das habe ich mir gemerkt und ich sehe im Zusammenhalt in Europa, in einer Solidarität die einzige Möglichkeit, Wohlstand und Werte zu sichern und gute Lebensperspektiven vor allem für junge Menschen zu entwickeln.
Was für eine Zukunft wollen wir für Europa? Wie bleibt Europas Wirtschaft international wettbewerbsfähig? Wie geht eine nachhaltige Klimapolitik mit einer konkurrenzfähigen europäischen Industrie einher? Wie können Lösungen für internationale globale Herausforderungen wie Migration gefunden werden? Diese und weitere Fragen rund um Europa stellten sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft beim Europäischen Forum Alpbach.
Auf Einladung von Europaministerin Karoline Edtstadler fanden sich von 1. bis 3. September 2021 zahlreiche hochkarätige internationale Gäste zum Gedankenaustausch im Tiroler Bergdorf ein, darunter die ungarische Justizministerin Judit Varga, der irische Europaminister Thomas Byrne oder der Stellvertretende Außenminister für europäische Angelegenheiten aus Griechenland, Miltiadis Varvitsiotis, des Weiteren Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und als Kommissarin zuständig für Demokratie und Demografie, sowie Margaritis Schinas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und als Kommissar für die Förderung unserer europäischen Lebensweise zuständig für Migration, Gleichheit und Diversität.
Bei Diskussionen, Wanderungen und Retreats standen allen voran Fragen der „Konferenz zur Zukunft Europas“ auf der Agenda, somit Reformansätze für die europäischen Institutionen oder die Rolle der EU in der Welt.
„Alpbach-Deklaration“: Die Zukunft Europas gemeinsam gestalten
Die atemberaubende Tiroler Berglandschaft diente am 2. September 2021 als Kulisse für die Unterzeichnung der „Alpbach-Deklaration“: Mehrere EU-Staaten – neben Österreich sind dies Ungarn, Irland, Griechenland und Spanien – haben sich, ausgehend von der Initiative Österreichs, auf diese Erklärung zur Zukunft Europas geeinigt.
„Unsere Alpbach-Deklaration ist ein Meilenstein und ein klares Bekenntnis zu einer breiten Teilnahme an der EU-Zukunftskonferenz als Chance, die Zukunft der EU aktiv zu gestalten. Und sie ist ein klares Bekenntnis zum Dialog, gerade auch dort, wo es Differenzen gibt“, so Europaministerin Karoline Edtstadler. „Wir müssen die Probleme offen ansprechen und schneller Lösungen finden. Nur so können wir vorangehen und die großen Herausforderungen besser bewältigen. Die EU-Zukunftskonferenz ist der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden, wie wir an einem neuen Europa bauen können.“
In der „Alpbach-Deklaration“ wird die Wichtigkeit der EU-Zukunftskonferenz betont, aber auch die Absicht, zentrale Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Terrorismus und die Auswirkungen von COVID-19 gemeinsam zu bewältigen. „Wir haben ein gemeinsames Interesse an einer Europäischen Union, die international wettbewerbsfähig ist, gemeinsame Werte fördert, eine starke Stimme in der Welt hat, und an nachhaltigen und innovativen Volkswirtschaften“, heißt es in dem Text. Ausdrücklich wird auch darauf hingewiesen, dass die Ansichten, wie diese Ziele zu erreichen seien, auseinandergehen können. „Aber es ist klar, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir in einem Geist der Einheit handeln.“
„Es ist mir wichtig, von Alpbach und Österreich aus Impulse für die EU-Zukunftskonferenz zu setzen“, erklärte Europaministerin Edtstadler. Die Deklaration soll „ein Ruf nach Europa sein. Die Konferenz zur Zukunft Europas hat gestartet – nützen wir sie!“
Zukunftskonferenz: Österreich bringt sich aktiv ein
In Österreich ist die Beteiligung an der Zukunftskonferenz besonders stark: Seit dem EU-weiten Start für die Konferenz am 9. Mai 2021 findet in Österreich im Schnitt jeden zweiten Tag eine Veranstaltung statt. „Das zeigt, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher speziell für die künftige Gestaltung der EU interessieren und sich aktiv einbringen wollen. Vor allem die jungen Menschen möchten gehört werden und ihre Stimme auf EU-Ebene gut vertreten wissen“, so Europaministerin Edtstadler. Themen, die der österreichischen Bevölkerung besonders am Herzen liegen, sind der Klimawandel als gemeinsame Herausforderung, die Förderung von Innovation in Europa, die Stärkung der Regionen oder die Rolle der EU im globalen Spiel der Kräfte.
Auch in schwierigen Phasen habe die EU immer wieder bewiesen, dass sie in der Lage sei, Lösungen zu finden, „wenn es brenzlig ist“, betonte Edtstadler. „Wir sollten uns auch aufgrund dieser Erfahrungen damit beschäftigen, wie wir Vorkehrungen treffen können, dass wir zukünftig schneller Lösungen finden und für Krisen gewappnet sind.“ Abzulehnen sei, „wechselseitig mit dem Finger aufeinander zu zeigen“, so die Europaministerin. „Ich sage das ganz offen: Das bringt uns nicht weiter.“ Dies geschehe immer wieder, aktuell etwa angesichts der Lage in Afghanistan. Es handle sich um eine „Krise von weltweiter Dimension. Wir brauchen in der Flüchtlingspolitik europäische Lösungen, diese Fragen lassen sich national nicht lösen.“ Zum Thema Rechtsstaatlichkeit betonte die Europaministerin: „Wichtig ist, dass wir uns innerhalb der Europäischen Union nicht spalten lassen, sondern ständig miteinander reden, um zu verstehen, wie sich die Situation aus verschiedenen nationalen Blickwinkeln darstellt. Nur wenn wir geografische Besonderheiten, aber auch nationale Emotionen berücksichtigen, wird es uns gelingen, Lösungen zu finden.“
Auch wenn es bei unterschiedlichen Themen auf europäischer Ebene mit einzelnen Staaten wie Ungarn oder Polen Differenzen geben mag, ist es für Österreich besonders wichtig, die Rolle des Brückenbauers auszuüben und den Dialog besonders mit Nachbarländern wie Ungarn permanent aufrechtzuerhalten. Ein starkes Zeichen für den Erfolg dieser Bemühungen ist, dass die ungarische Justizministerin zur Unterzeichnung der „Alpbach-Deklaration“ nach Tirol gereist ist, betonte Europaministerin Edtstadler: „Österreich sucht stets das Gespräch mit allen Partnern in der EU. Gerade das informelle Umfeld von Alpbach ist wie geschaffen dafür, ohne Vorbehalte und ohne Scheuklappen unterschiedliche Positionen offen anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen für Herausforderungen, die uns alle betreffen, zu suchen.“
Junge Stimmen zur Zukunft Europas
Ideen und Impulse zur Zukunft Europas standen für die Europaministerin auch in weiteren Diskussionsrunden auf dem Programm, etwa bei der Besprechung mit dem internationalen Beratungsgremium des Europäischen Forum Alpbach oder bei einem Gedankenaustausch mit österreichischen Jugendlichen, die ein Stipendium für den Aufenthalt in Alpbach erhalten haben. Welche Themen bewegen junge Menschen, wenn sie an die künftige EU denken?
„Zukunft ist ein starkes Wort. Sie betrifft uns alle, vor allem uns Jugendliche. Ich studiere in Wien, komme aber aus Raabs an der Thaya, kenne daher das Stadt- und das Landleben und zwei unterschiedliche Perspektiven. Der Breitbandausbau und Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit sind mir besondere Anliegen. Die EU-Zukunftskonferenz macht es uns möglich, dass wir uns am politischen Prozess beteiligen. Beteiligt euch mit euren Themen auf den Kanälen der EU-Zukunftskonferenz – auf Social Media oder auf der Website!“
Valentina Gutkas (Wien und Niederösterreich; Vertreterin der österreichischen Bürgerinnen und Bürger bei der EU-Zukunftskonferenz)
„Wenn wir die Möglichkeit haben, uns an der EU-Zukunftskonferenz zu beteiligen, dann müssen wir diese Chance nützen. Wir sollten nicht nur über die Zukunft reden, sondern konkrete Ideen einbringen! Egal, welche unterschiedlichen Positionen die Mitgliedstaaten vertreten: Mir ist besonders wichtig, dass Programme wie Erasmus+ weiter ausgebaut werden. Wenn wir den interkulturellen Austausch fördern, wer - den wir in Zukunft auch Herausforderungen wie Klimawandel, Migration oder die Zukunft des Wirtschaftsstandorts besser bewältigen können.“
Boris Galic (Wien)
„Hallo aus Alpbach! Ich bezeichne mich als wasch - echte Europäerin, da ich schon in sechs Ländern gewohnt und in mehreren EU-Staaten studiert habe. Ich arbeite aktuell in Brüssel. Es ist wahnsinnig wichtig, dass sich jede und jeder Interessierte einbringen kann. Normalerweise haben wir nur Wahlen als politischen Kanal, nun haben wir eine digitale Plattform in 24 Sprachen, um Ideen auszutauschen und Anliegen oder Wünsche zu äußern. Die EU-Zukunftskonferenz bietet die Möglichkeit, Themen, die uns bewegen – wie mich zum Beispiel Klimaschutz, die soziale Konvergenz in Europa, Digitalisierung –, auf den Weg zu bringen. Beteiligt euch gezielt bei den Themen, die euch interessieren!“
Anaïs Gradinger (Oberösterreich)
„Wir reden viel über Herausforderungen, die in Zukunft vor allem uns Jugendliche betreffen werden. Das ist natürlich der Klimaschutz, aber auch die Digitalisierung und wie wir künftig mit Pandemien umgehen. Solange wir in den engen Grenzen der Nationalstaaten denken, werden wir auch nur begrenzte Lösungen für diese großen Fragen finden. Deshalb ist es mir besonders wichtig, dass wir – alle Europäerinnen und Europäer, besonders wir Jungen – gemein - sam überlegen, wie die Zukunft der EU gestaltet sein soll, wo wir besser werden müssen. Ein Anliegen wäre mir, dass internationale Steuern besser geregelt und die Institutionen reformiert werden. Nur gemeinsam können wir große Fragen angehen, und darum benötigen wir Initiativen wie die EU-Zukunftskonferenz!“
Kilian Posch (Steiermark)
Herr Vizekanzler, wo sehen Sie die Zukunft Europas?
Das europäische Projekt wird landläufig als Friedensprojekt gewürdigt und geschätzt. Wir wollen aber die Zusammenarbeit in der Union auch dafür nützen, die größte Herausforderung der Gegenwart, die Klimakatastrophe, abzuwenden. Wir sind ja die Zeugen, wie aus Europa aktuell ein Klimaschutzprojekt wird, weil wir unseren Heimatplaneten Erde für zukünftige Generationen lebenswert erhalten wollen. Für die Union ist Klimaschutz, insbesondere Umwelttechnologie, auch eine riesige Chance – das ist der einzige Bereich, in dem wir zum Beispiel China oder den USA voraus sein können. Die Union ist damit auch als Vorreiter und Vorbild für den weltweiten Klimaschutz gefragt.
Was sind die wichtigsten Aufgaben, die der EU bevorstehen?
Die Folgen der Pandemie müssen gut abgefedert werden. Es braucht in einigen lebensnotwendigen Bereichen ein möglichst großes Maß an Eigenständigkeit, etwa bei Medizinprodukten und Gütern wie Lebensmitteln oder Energie. Die Wirtschaft sollte also regionaler funktionieren. Das wird auch ein wichtiger Schritt zur Bewältigung der größten Herausforderung sein – dem Abwenden der Klimakatastrophe. Gerade diesen Sommer erleben wir, dass diese Bedrohung mitten in Europa angekommen ist: Tornados, Jahrhunderthochwasser, unerträgliche Hitze. Da gibt es kein „Weiter wie bisher“ – auf einem kranken Planeten kann es auch keine gesunde Wirtschaft geben.
Die gute Nachricht ist: Die ökonomische Transformation in Europa hat begonnen – auch durch das Hinausinvestieren aus der pandemiebedingten Wirtschaftskrise. Der europäische Wiederaufbauplan hat die richtigen Weichen zu grüner Wirtschaft, Digitalisierung und einer umweltfreundlichen Modernisierung gestellt.
Das „Fit for 55“-Paket setzt nun weitere wichtige Meilensteine in Richtung einer CO₂- neutralen Zukunft. Wir haben es damit auch in Österreich geschafft, den Boden für eine kleine Klimaschutzrevolution zu bereiten: Eine Milliarde Euro pro Jahr wird künftig zusätzlich in klimafreundliche Maßnahmen investiert. Dazu kommen noch die vielen Milliarden aus der neuen Investitionsprämie mit klarem Fokus auf Ökologisierung und Digitalisierung sowie aus dem EU-Wiederaufbauplan zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise.
Für Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürger scheint die EU häufig sehr weit entfernt. Was hat die EU mit der Arbeit in den Gemeinden zu tun?
Europa sind wir alle. Und gerade die hunderten Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte landauf, landab sind das beste Beispiel dafür, dass das Engagement für die Gemeinsamkeit und den Zusammenhalt in Europa unheimlich wichtig ist und wirklich viel bringt.
So konnte die Beteiligung an der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 auf 60 Prozent erhöht werden. Das waren immerhin um 14 Prozent mehr als 2014. Im ländlichen Raum lag die Wahlbeteiligung noch höher. Auch daran zeigt sich, wie wichtig diese „Botschafterinnen“ und „Botschafter“ der EU an der Basis und bei den Menschen sind.
Sie können durch ihre Erfahrungen und ihr Verständnis für die Probleme vor Ort die Übersetzungsarbeit der Europa-Anliegen am besten erbringen. Sie können zum Beispiel die kommunalen Aufgaben des Klimaschutzes, die auf europäischer Ebene beschlossen werden, in die Umsetzung bringen. Die Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte können viel zum Zusammenhalt der Gesellschaft und in der Union beitragen.
Was bringt der sogenannte europäische Aufbauplan den Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürgern?
In Österreich hat die Bundesregierung im Rahmen des Aufbauplans der EU einige Projekte entwickelt, die uns im Klimaschutz auf die Überholspur bringen und den Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürgern direkt zugutekommen.
So soll beispielsweise der Tausch von CO₂- intensiven Ölheizungen gefördert werden. Oder: Ortskerne werden gestärkt, um die Bodenversiegelung von immer größeren Flächen im Gemeindeumland einzudämmen. Thermische Sanierungen können dabei genauso unterstützt werden wie Fassadenbegrünung oder die Einrichtung erneuerbarer Energieträger. Im Zuge des Kommunalinvestitionsprogrammes haben wir eine Milliarde Euro für die Energieeffizienz, Umstellung der Straßenleuchten auf LED, Rad- und Gehwegefinanzierung und für den Schutz der Artenvielfalt aufgelegt. Und, last but not least, soll durch „Community Nurses“ die Pflege und kommunale Versorgung von älteren und gebrechlichen Menschen verbessert werden. Damit soll auch die Primärversorgung in Gemeinden gestärkt werden. Das stärkt ebenfalls regionale Strukturen.
Für viele Menschen in den Regionen ist ein Leben ohne Auto eigentlich undenkbar. Welche klimafreundlichen Antworten gibt es für die Mobilität?
Erstens soll der öffentliche Verkehr attraktiver werden. Da ist die Bahn natürlich die erste umweltfreundliche Wahl. Wir wollen auch Nebenbahnstrecken wiederbeleben und damit die Verkehrsverbindungen in die Regionen wesentlich verbessern. Zweitens ist eines der großen Projekte der Bundesregierung das Klimaticket. Die österreichweite Stufe, mit der man für drei Euro am Tag durch ganz Österreich kurven kann, kommt noch heuer! Drittens haben wir im Wiederaufbauplan der EU auch ein Projekt für die Umrüstung der Busflotte auf emissionsfreie Fahrzeuge entwickelt. Bis zu tausend solcher Busse sollen demnächst zusätzlich das Verkehrsnetz bundesweit verdichten und CO₂-frei machen.
Was kann die Konferenz zur Zukunft Europas zu mehr Bürgernähe und der Verwirklichung Ihrer Ziele beitragen?
Die EU-Zukunftskonferenz bringt eine wesentliche Neuerung: Es ist das erste europäische Forum, in dem Bürgerinnen und Bürger auch direkt beteiligt sind. Die Europa-Debatte ist damit breit geöffnet.
Ich finde auch, dass wir in der Zukunftskonferenz den Weg dafür bereiten sollten, dass bei den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament gemeinsame transnationale Listen antreten können. Das wäre ein weiterer Quantensprung für die europäische Demokratie.
Die Digitalisierungsinitiative der EU hat sich enorm weiterentwickelt. Grundlage und Rahmen für den „Digitalen Kompass 2030“ ist die Strategie zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas, die bereits Anfang 2020 als umfangreicher Plan vorgelegt wurde. Die letzten 18 Monate haben aber den Einsatz digitaler Technologien nicht nur vervielfacht und beschleunigt, sondern auch aufgezeigt, dass eine Anfälligkeit der Gesellschaft für neue digitale Ungleichheiten besteht, heißt es seitens der EU-Kommission. Die vier Kernthemen des „Digitalen Kompass 2030“ sind digital befähigte Bürgerinnen und Bürger, eine sichere und nachhaltige digitale Infrastruktur, der digitale Wandel in Unternehmen sowie die Digitalisierung öffentlicher Dienste.
Neu ist dabei vor allem der intensivere Fokus auf die sogenannten Humanressourcen, also die Vermittlung von Know-how an die EU-Bürgerinnen und -Bürger. Digitale Grundkompetenzen sollen spätestens 2030 bei mindestens 80 Prozent der europäischen Bevölkerung vorhanden sein; auch die Ausbildung von Informations- und Telekommunikationsfachkräften ist ein wesentlicher Punkt: 20 Millionen Menschen will die EU bis zur nächsten Dekade in diesem Bereich beschäftigt sehen.
Um diese Ziele zu erreichen, werden hohe Investitionen nötig sein. Diese kommen unter anderem aus dem europäischen Aufbauplan „Next Generation EU“. 750 Milliarden Euro sollen auf nachhaltige Weise die Erholung der Wirtschaft nach der COVID-19-Krise fördern. Die EU-Kommission hat für Österreich 3,5 Milliarden Euro genehmigt. Mindestens 20 Prozent dieser Mittel sollen laut EU-Vorgaben in die Digitalisierung fließen. Der österreichische Aufbau- und Resilienzplan, der bereits bewilligt wurde, sieht sogar 53 Prozent der verfügbaren Mittel für Digitalisierungsprojekte vor.
Digitalisierung definiert Raum und Zeit neu
Dass die neue digitale Generation eine tragfähige Infrastruktur braucht, ist selbstverständlich. Eine Steigerung der EU-Produktion von Halbleitern und die Errichtung von leistungsfähigen, klimaneutralen Rechenzentren sind ein Impuls für die Wirtschaft und zielen gleichzeitig auf mehr Autarkie der Union ab. Im individuellen Bereich erscheint das Ziel eines Breitbandanschlusses für jeden EU-Haushalt heute fast utopisch. Doch besonders rurale und strukturschwache Regionen könnten davon profitieren.
Matthias Firgo vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO sieht diese Chancen ebenfalls: „Digitalisierung verändert zweifelsfrei die Bedeutung von Raum und Distanz. Aufgrund der Verringerung der Transaktionskosten nehmen die Möglichkeiten der Leistungserbringung über größere Distanzen deutlich zu“, erklärt der Regionalökonom.
Entscheidend für die positiven Effekte der Digitalisierung auf die Entwicklung strukturschwacher Gebiete sei allerdings nicht die bloße Verfügbarkeit digitaler Technologien, sondern auch deren erfolgreiche Nutzung, also das, was lokale Unternehmen daraus machen können. „Für die erfolgreiche Entwicklung von strukturschwachen Regionen braucht es auch gut qualifizierte, kreative Menschen und Unternehmen, die sich in der Region niederlassen“, betont Firgo.
Apps für die Landwirtschaft, Vernetzung per Software in der Pflege
Dass durch den Einsatz aktueller Technologien ein regionaler Mehrwert sowohl für die Wirtschaft als auch für die Bevölkerung geschaffen werden kann, zeigen aktuelle Projekte aus dem Österreichischen Programm für ländliche Entwicklung. Hervorragende Medienresonanz konnte etwa die App „Mühlviertler Kernlandbauern“ erzielen, die es lokalen Produzentinnen und Produzenten sowie Direktvermarktern ermöglicht, ihre Produkte je nach Verfügbarkeit auf einem digitalen Marktplatz anzubieten. Und in Vorarlberg realisierte die Initiative „freiwillig. vernetzt“ eine Softwarelösung, die den Einsatz von Freiwilligen in den Bereichen Case-Management, Pflege und Integrationsarbeit besser koordiniert.
Digitalisierung in Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung
Der digitale Wandel in Unternehmen ist derzeit unterschiedlich weit fortgeschritten. Für viele ist die Nutzung von „Cloud-Computing“, Künstlicher Intelligenz und „Big Data“ bereits Realität, dennoch trifft man auch in Österreich immer noch auf Unternehmen, die am Anfang der digitalen Entwicklung stehen. Die Erreichung einer „digitalen Basisintensität“ für 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bis 2030 ist daher ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Kontinent. Digitalisierung dürfte an Kleinunternehmen, deren Unternehmenszweck etwa die Produktion von Waren des täglichen Bedarfs ist, eher vorbeigehen, wenn sich für sie dadurch keine spürbaren und verwertbaren Vorteile ergeben.
Auf einem guten Weg ist die Digitalisierung öffentlicher Dienste, und auch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist hoch: Bis Mitte Juni 2021 benutzten bereits 2,1 Millionen Österreicherinnen und Österreicher die Handy-Signatur; pro Tag wird die digitale Unterschrift etwa 100.000 Mal verwendet. Das große Interesse am „Grünen Pass“ – dem Nachweis für Genesene, Getestete und Geimpfte im Kontext von COVID-19 – zeigt, dass auch weniger technikaffine Bevölkerungsschichten durchaus zu einer Nutzung motiviert werden können, wenn es einen guten Grund gibt.
Wie wirkt sich der digitale Wandel gesellschaftlich aus?
Bislang noch wenig im öffentlichen Diskurs angekommen ist die Frage, wie sich die weitere Digitalisierung psychologisch und soziologisch auswirken wird. Vor allem der Eindruck, auch außerhalb der Kernarbeitszeiten ständig verfügbar zu sein, würde Menschen überfordern, warnen Gegnerinnen und Gegner einer fortschreitenden Digitalisierung. Im Gegensatz dazu steht der neue Begriff des „Work-Life-Blending“, der etwa von Zukunftsforscher Matthias Horx als großer Fortschritt gegenüber der oft vergebens angestrebten „Work-Life-Balance“ angesehen wird. Die Digitalisierung erlaubt ein räumlich unabhängiges Arbeiten; die logische Folge davon wäre mehr zeitliche Unabhängigkeit. Dies setzt allerdings großes Verantwortungsbewusstsein bei der Arbeitnehmerin oder beim Arbeitnehmer und einen Vertrauensvorschuss beim Arbeitgeber voraus und betrifft nur jene Branchen, in denen keine physische Präsenz erforderlich ist. Die ambitionierten Ziele des „Digitalen Kompass 2030“ setzen auf eine hohe Bereitschaft zur Veränderung in vielen Wirtschafts- und Lebensbereichen. Was jetzt teilweise wie eine Utopie klingt, wird vielleicht greifbarer, wenn man einen Kniff aus dem Repertoire von Zukunftsforscher Horx anwendet: Man müsse sich vorstellen, die schwierigen Ziele seien schon umgesetzt, und von diesem Standpunkt aus auf das Jetzt zurückschauen.
Zielvorstellungen des „Digitalen Kompass 2030”
Kompetenzen
- Expertinnen und Experten in Informationstechnologie (IT): EU-weit 20 Millionen mit tendenziellem Geschlechtergleichgewicht
- Digitale Grundkompetenzen: 80 Prozent der Bevölkerung
Sichere und nachhaltige digitale Infrastruktur
- Konnektivität: Gigabit für alle Haushalte, 5G überall
- Avantgarde-Halbleiter: Verdopplung des EU-Anteils an der weltweiten Produktion
- Daten (Edge Computing und Cloud): 10.000 hochsichere klimaneutrale Rechenzentren
- Informatik: Erster Computer mit Quantenbeschleunigung
Digitaler Wandel in Unternehmen
- Technologieübernahme: 75 Prozent der EU-Unternehmen nutzen Cloud/Künstliche Intelligenz (KI)/Big Data
- Innovatoren: Förderung von Skaleneffekten und Finanzierung zur Verdopplung der Zahl von Start-ups mit einem Wert von über 1 Milliarde Euro in der EU
- „Nachzügler“: Über 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) erreichen zumindest ein Basisniveau an digitaler Intensität
Digitalisierung öffentlicher Dienste
- Wesentliche öffentliche Dienste: 100 Prozent online
- Elektronische Gesundheitsdienste: 100 Prozent Verfügbarkeit von Patientinnen- und Patientenakten
- Digitale Identität: 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger nutzen die digitale Identität (ID)
Mit der „Konferenz zur Zukunft Europas“ sollen die EU-Bürgerinnen und -Bürger aktiv in die Weiterentwicklung der EU eingebunden werden. Was erhoffen Sie sich von der Konferenz? Wie würden Sie den „Erfolg“ der EU-Zukunftskonferenz definieren?
Ich hoffe vor allem, dass sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen und ihre Ideen zur Zukunft der EU äußern. Nach der COVID-Krise mit ihren historischen Verwerfungen ist es umso dringlicher, die EU sozialer, demokratischer, nachhaltiger und effizienter aufzustellen. Es hat sich zum Beispiel überdeutlich gezeigt, dass die EU im Bereich der Gesundheitspolitik nicht genügend Kompetenzen hat. Ich hoffe, dass solche Themen und die Vorschläge der Menschen ohne Tabus diskutiert werden und am Ende mutige Entscheidungen stehen.
Welche Themen sind aus Ihrer Sicht für Bürgerinnen und Bürger in der EU aktuell besonders relevant? Und welche Themen sind für das Europäische Parlament momentan besonders wichtig?
Die Pandemie überschattet momentan noch alles andere, und unsere Bürgerinnen und Bürger wünschen sich mit Sicherheit nichts sehnlicher, als dass wir diese Krise endlich überwinden. Das Europäische Parlament hat seinen Teil dazu beigetragen, indem es unter anderem gemeinsam mit Kommission und Mitgliedstaaten den milliardenschweren Wiederaufbaufonds auf den Weg gebracht hat. Davon abgesehen haben wir bei den Verhandlungen für das nächste EU-Budget darauf gepocht, andere Prioritäten nicht aus dem Blick zu verlieren, wie den Schutz unseres Planeten. Der Klimawandel duldet keinen Aufschub, daher bin ich sehr froh über das Klimapaket, das die Kommission gerade vorgestellt hat.
Wir müssen den Menschen besser erklären, was in Brüssel geschieht und was ihnen unsere Arbeit ganz konkret bringt.
David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments
Welche Rolle spielen die nationalen Parlamente in den 27 Mitgliedstaaten aus Ihrer Sicht? In Österreich gibt es zudem neun Bundesländer mit neun Landtagen; wie können diese Institutionen dazu beitragen, ein noch bürgernäheres Europa zu schaffen und die Debatte über EU-Themen auf regionaler Ebene zu verankern?
Die Zusammenarbeit mit nationalen Parlamenten ist mir ein besonderes Anliegen. Europa lebt von seinen Mitgliedstaaten und ihrem Engagement für das gemeinsame Projekt, und die Parlamente sind das Herzstück unserer Demokratien. Sie müssen unsere Politik mitgestalten und umgekehrt dem Willen der Bürgerinnen und Bürger Ausdruck verleihen. Sie können als wichtige Mittler fungieren, indem sie auf regionaler Ebene zeigen, was die EU ganz konkret vor Ort bewirkt.
Ist aus Ihrer Sicht das Einstimmigkeitsprinzip in bestimmten Bereichen wie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ein Faktor, der die rasche Entscheidungsfindung in der EU negativ beeinträchtigt?
Das Einstimmigkeitsprinzip lähmt die EU leider viel zu oft, wenn sie dringende Entscheidungen treffen muss. Und gerade in der Außenpolitik müssen wir nach COVID-19 schlagkräftiger werden, denn die Welt ist in den vergangenen Monaten nur komplexer geworden. So sehen wir beispielsweise vielerorts, dass autoritäre Regime versucht haben, die Krise auszunutzen, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen oder die Medienfreiheit zu beschneiden. In einem solchen Kontext muss Europa schlagkräftiger werden, um multilaterale Lösungen weiter zu fördern und die regelbasierte globale Ordnung wieder zu stärken.
Mit dem 750 Milliarden Euro schweren Hilfspaket „Next Generation EU“ plant die EU eine wirtschaftliche Erholung der Mitgliedstaaten nach der COVID-19-Pandemie. Die EU hat dabei zum ersten Mal Schulden aufgenommen. Handelt es sich hierbei um einen einmaligen Vorgang oder könnte die Kreditaufnahme in Zukunft zu einem gängigen Modell werden?
Die EU hat auf eine außerordentliche Situation mit außerordentlichen Maßnahmen reagiert, die gemeinsame Schuldenaufnahme war in dieser Situation richtig. Um die großen Herausforderungen der Zukunft zu schultern, muss Europa weiterhin auf Solidarität setzen.
Wie kann aus Ihrer Sicht die COVID-19-Krise die europäische Solidarität stärken und Gesellschaften gerechter machen?
Die Pandemie hat die europäische Solidarität auf eine harte Probe gestellt, aber im Großen und Ganzen haben wir diesen Test bestanden. Es haben sehr bald alle eingesehen, dass wir eine grenzüberschreitende Krise wie diese nur gemeinsam überwinden können. Die Krise hat aber auch soziale und regionale sowie Geschlechterungleichheiten in Europa vertieft. Umso wichtiger ist es, die Mittel des Wiederaufbaufonds sinnvoll einzusetzen, um Europa auf den Weg einer sozialeren und nachhaltigeren Entwicklung zu bringen.
Die „grüne“ Transformation soll in der EU möglichst gerecht erfolgen, so das Ziel der Union. Dennoch werden viele Herausforderungen auf Unternehmen, Arbeitskräfte, einzelne Regionen oder Standorte und die Gesellschaft allgemein zukommen. Was sollte die EU tun, um die Menschen auf diesem Weg möglichst gut einzubinden?
Klimaschutz muss gerecht gestaltet werden, wir dürfen niemanden dabei zurücklassen. Deshalb brauchen wir beispielsweise mehr Mittel, um Beschäftigte umzuschulen und für die Industrien der Zukunft fit zu machen.
Ich bin aber auch davon überzeugt, dass der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft neue Arbeitsplätze und Chancen in der gesamten EU schaffen wird. Jeder Sektor steht vor seinen eigenen Herausforderungen, hat aber auch seine spezifischen Chancen. Der Gebäudesektor hat zum Beispiel ein hohes Energiesparpotenzial und Potenzial für die Erzeugung erneuerbarer Energie, was die Beschäftigung ankurbeln und kleinen Unternehmen bei der Expansion helfen kann.
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie ist für viele Menschen in Europa das „Modell Homeoffice“ zur Normalität am Arbeitsplatz geworden, vieles wurde digitalisiert. Wie hat die Pandemie die Arbeit im Europäischen Parlament beeinflusst? Welchen besonderen Herausforderungen musste sich die Verwaltung des Parlaments dabei stellen?
Die Demokratie darf gerade in Krisenzeiten nicht pausieren. Wir mussten zu Beginn der Pandemie wegweisende Entscheidungen zur Bewältigung der Krise treffen. Unsere größte Herausforderung war es daher, das Parlament offen und arbeitsfähig zu halten. Dieses Ziel haben wir erreicht: Wir haben innerhalb kürzester Zeit Strukturen aufgebaut, die es uns erlaubt haben, aus der Ferne zu debattieren und abzustimmen. Aus der Erfahrung dieser Zeit können und sollten wir lernen.
Ich habe deshalb einen Reflexionsprozess über die Zukunft unserer parlamentarischen Arbeit angestoßen, und die Vorschläge, die unsere Parlamentarierinnen und Parlamentarier in verschiedenen Themenbereichen erarbeitet haben, sind hochinteressant.
Mit der Initiative „Europa fängt in den Gemeinden an“ engagieren sich schon über 1.200 Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte auf kommunaler und regionaler Ebene in ganz Österreich als Multiplikatoren für mehr EU-Wissen und -Diskussion in der Bevölkerung. Könnte die Initiative auch in anderen Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen?
Das würde ich sehr begrüßen! Für die Akzeptanz der EU bei den Bürgerinnen und Bürgern sind solche Initiativen Gold wert. Wir hören noch immer zu oft, dass die EU „zu weit weg“ sei. Das muss sich ändern. Wir müssen den Menschen besser erklären, was in Brüssel geschieht und was ihnen unsere Arbeit ganz konkret bringt.
Was war Ihr erster Berührungspunkt mit der EU und Ihr persönlicher „Europa-Moment“?
Zwar nicht der erste Berührungspunkt, aber doch ein besonderer Moment war der Fall der Berliner Mauer. Ich war damals ein junger Journalist und war dabei, als die Menschen sich in Berlin in den Armen lagen. Die Wiedervereinigung Deutschlands, die ja zugleich eine Wiedervereinigung Europas war, hat mich tief geprägt.
Die Erderwärmung und der damit verbundene Klimawandel sind eine weltweite Bedrohung. In Europa ist das Bewusstsein für Umweltschutz groß, und die Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise sollen in den nächsten Jahren noch größer werden. „Unser Ziel ist, dass Europa bis zum Jahr 2050 ein klimaneutraler Kontinent wird. Österreich ist dabei ein wichtiger Partner, zumal es seine Klimaneutralität bereits für 2040 anstrebt“, hebt Wolfgang Bogensberger, stellvertretender Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, hervor. Am 21. April 2021 erzielten die Verhandlerinnen und Verhandler des Rates der Europäischen Union und das Europäische Parlament eine politische Einigung zum neuen Europäischen Klimagesetz. Das Ziel der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, wird nun gesetzlich verankert. Damit der Kontinent klimaneutral wird, braucht es nachhaltige Veränderungen. „Der ‚Green Deal‘ ist die europäische Antwort auf die wahrscheinlich zentrale Herausforderung nach der Pandemie“, erklärt der Experte. Denn: „Er wirkt nicht punktuell, sondern berührt fast alle Lebensbereiche.“
Wie wir arbeiten, produzieren, konsumieren und den Alltag gestalten – all das wird sich durch die Maßnahmen aus dem großen Investitions-, Gesetzes- und Strategiepaket der Europäischen Union verändern. Landwirtschaft, Verkehr, Energiewirtschaft und Bauwesen sollen „grüner“ werden. Auf Europa wartet damit laut Bogensberger „in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten die wahrscheinlich größte strukturelle Transformation unserer Zeit. Es geht darum, ein besseres Leben für möglichst viele zu schaffen, ohne der Natur, der Umwelt und dem Klima zu schaden.“
Nachhaltige Wirtschaft
Der Weg hin zu einem Kontinent, der so viele CO2-Emissionen beseitigt, wie er produziert, wird laut dem Experten „so gestaltet sein, dass alle mitkommen und niemand zurückbleibt. Der ‚Green Deal‘ möchte dabei unterstützen, helfen und positiv motivieren. Für Verhaltensweisen, bei denen Ressourcen verschwendet werden, wo nicht nachhaltig gewirtschaftet und die Umwelt beschädigt wird, sollen negative Anreize gesetzt werden.“ Für den Strukturwandel gibt es finanzielle Unterstützung. In Polen wird beispielsweise in der Industrie, aber auch im Alltag der Bürgerinnen und Bürger noch viel Kohle verwendet: „Da sind Umstrukturierungsmaßnahmen wie Umschulungen oder die Ansiedelung neuer Industriezweige notwendig.“ Insgesamt 100 Milliarden Euro sind für den „Just Transition Mechanism“ für Industrie- und Kohleregionen sowie energieintensive Branchen vorgesehen. Damit wird der von der EU geplante „gerechte Übergang“ zu nachhaltiger Wirtschaft finanziert.
Zusätzlich gibt es die europaweite Verständigung darauf, dass mindestens 37 Prozent der Mittel aus dem Aufbauplan nach der Coronavirus-Krise für „grüne“ Investitionen und Reformen verwendet werden – insgesamt sind für „Next Generation EU“ 750 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen budgetiert. In Österreich sind sogar 46 Prozent der Mittel für „grüne“ Projekte vorgesehen. „Damit fließt mehr als ein Drittel dieses Geldes in klimaschonende Bereiche“, betont Wolfgang Bogensberger und hält etwa den österreichischen Plan des 1-2-3-Tickets zur Förderung des öffentlichen Verkehrs aus europäischer Sicht für positiv: „Öffentlichen Verkehr attraktiver zu gestalten ist wesentlich. Das sind Maßnahmen, die deutlich in die richtige Richtung gehen.“
Wegweisend ist auch der Fokus, der auf der Zukunftsfähigkeit des Kontinents liegt. „Europa hat mit dem Ziel, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu sein, Leadership in der weltweiten Debatte übernommen. Die Hoffnung ist, dass mit den Investitionen eine Technologie entsteht, die attraktiv für andere Kontinente sein wird, und damit viele neue Arbeitsplätze verbunden sein werden“, erklärt Bogensberger die mit dem Wandel verbundene Wachstumsstrategie. Bereits in Umsetzung sind EU-Pläne für den Ausbau der Batterieproduktion – ein Sektor, der für die Elektromobilität wichtig ist, um die Abhängigkeit von Asien zu reduzieren und qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Die Europäische Kommission rechnet bis 2025 mit drei bis vier Millionen neuen Jobs allein durch 70 europäische Industrie-Allianzen im Bereich der Produktion von Batteriezellen. Daran ist auch Österreich beteiligt: 45 Millionen Euro fließen in Batterietechnologie-Projekte von sechs heimischen Unternehmen. Parallel dazu fördert die EU im Rahmen des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft die Entwicklung von Batterien, die wiederaufbereitet oder recycelt werden können.
„Grüner“ Wasserstoff ist auch eine Zukunftstechnologie, auf die sowohl die EU als auch Österreich setzen. Um klimaneutral zu werden, muss Europa sein Energiesystem umgestalten, auf das derzeit 75 Prozent der Treibhausgasemissionen entfallen. Um in Österreich bis 2030 die Stromversorgung komplett aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten – derzeit sind es bereits 80 Prozent –, soll auch auf Wasserstoff gesetzt werden. Es ist wesentlich, die Industrie vor Ort dabei zu unterstützen, klimafreundliche und zukunftsfitte Technologien zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Zugleich ist der geplante CO2-Grenzausgleichsmechanismus, der Teil des „Green Deal“ ist, wichtig für die Bereinigung möglicher Wettbewerbsverzerrungen. Ab 2023 sollen Produkte aus Ländern mit mangelhaftem Klimaschutz einen Preisaufschlag bekommen.
Biologische Landwirtschaft im Zentrum
Weitere Bausteine für die Erreichung der Klimaziele sind die nachhaltige und wettbewerbsfähige Neuausrichtung des Agrarsektors und der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die Bäuerinnen und Bauern sind dabei wichtige Verbündete. „Landwirte sind am unmittelbarsten von Umwelt- und Witterungsveränderungen betroffen und müssen erleben, dass extreme Wetterereignisse von einem Tag auf den anderen die gesamte Ernte vernichten“, so Bogensberger. Die EU-Kommission hat jüngst mit dem Europäischen Bio-Aktionsprogramm 2021–2027 ein Maßnahmenpaket vorgestellt, mit dessen Hilfe die Bio-Landwirtschaft als wichtiges Instrument zur Erreichung der Klima- und Biodiversitätsziele des „Green Deal “ gestärkt werden soll. Bis 2030 sollen demnach 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen innerhalb der Europäischen Union biologisch genutzt werden. Im Vergleich zum EU-Durchschnitt von 8,5 Prozent ist Österreich mit 25,3 Prozent Bio-Anteil Spitzenreiter und erfüllt dieses Ziel bereits jetzt. Das Interesse, „dass sich ein Kontinent wie Europa mit qualitativ exzellenten Lebensmitteln weitgehend selbst versorgen kann“, sei groß, betont auch der Vertreter der Kommission.
Die Coronavirus-Pandemie hat der Bevölkerung zudem seit März 2020 vor Augen geführt, wie wichtig eine hochwertige Nahrungsmittelproduktion in Österreich gerade in Krisenzeiten ist. Bereits im Vorjahr hatte die EU-Kommission mit den präsentierten Strategien „Farm to Fork“ und „Biodiversität“ die zentrale Rolle der biologischen Landwirtschaft beim Übergang hin zu einer nachhaltigen Lebensmittelwirtschaft bekräftigt. Mit der „Farm to Fork“-Strategie will die EU-Behörde die Versorgung dadurch sichern, dass die Lebensmittel „nachhaltig vom Hof auf den Tisch“ kommen.
Eng damit verbunden ist die Biodiversitätsstrategie zur Erhaltung der Artenvielfalt. Bogensberger warnt am Beispiel der Bienen vor den Folgen des Artensterbens: „Wenn es die Bestäuber nicht mehr gibt, gibt es keine Äpfel und Birnen mehr. Geht das Bienensterben weiter, leiden alle Menschen darunter, da wichtige Produkte aus der Nahrungskette ausfallen – mit wahrscheinlich sehr unliebsamen Kettenreaktionen.“ Die „Farm to Fork“-Strategie sieht unter anderem vor, dass der Einsatz gefährlicher oder schädlicher Pflanzenschutzmittel innerhalb von zehn Jahren halbiert wird. Die Umstellung wird finanziell unterstützt, „auf lokale und regionale Gegebenheiten wird Rücksicht genommen“, versichert Bogensberger. Österreichs kleinere bäuerliche Strukturen sollen erhalten bleiben. Neben Hilfen für die Industrie und die Landwirtschaft sind die Bemühungen um den Erhalt intakter Natur vielfältig. Jüngst wurden mehr als 280 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt für über 120 neue LIFE-Projekte zum Schutz der Umwelt und des Klimas genehmigt. Rund 1.100 Projekte sind derzeit in Umsetzung, viele davon in Österreich. Die Widerstandsfähigkeit von Großstädten will die Initiative „LIFEEnCAM“ verbessern. Städte leiden stärker unter den „Heat Island“-Effekten und heizen sich aufgrund von Infrastruktur und menschlicher Aktivität mehr auf. Das Pflanzen von Bäumen entlang des Flusses Liesing im Süden von Wien verringert die Auswirkungen der Wärmeinsel. Das Projekt „LIFE3R“ verfolgt das Ziel einer Kreislaufwirtschaft für fluorierte Treibhausgase, die in industriellen Anwendungen eingesetzt werden und deren Emissionen seit 1990 um 60 Prozent gestiegen sind.
„Es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren!“
Für das Jahr 2030 – in neun Jahren – hat sich die Europäische Union vorgenommen, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken. „Es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren“, drängt Bogensberger. Das ambitionierte Vorhaben wird im ersten Europäischen Klimagesetz verbindlich festgehalten und verleiht dem Thema „eine neue Ernsthaftigkeit“, ist der EU-Experte überzeugt. Er will für die Umsetzung der Initiativen die Europäerinnen und Europäer mit an Bord holen: „Wir müssen die Herzen der Menschen erreichen. Wir alle sollten mit Kreativität und Engagement die Chancen, die der ‚Green Deal‘ bietet, nützen, aber auch eine Bereitschaft zeigen, manche lieb gewordenen Lebensgewohnheiten zu hinterfragen.“
Der Klimawandel sei kein elitäres Thema. Es gehe vielmehr um die Gesundheit von uns allen. Denn, so Bogensberger: „In Europa sterben jährlich 400.000 Menschen vorzeitig wegen Umwelt- und Luftverschmutzung.“ Diese „gewaltige Zahl“ mache die Dringlichkeit des gemeinsamen Handelns deutlich, betont er: „Letztlich profitiert ganz Europa – und damit wir alle – davon, denn in diesem Bereich sind Staatsgrenzen irrelevant.“
Übereinkommen von Paris
Der Weg der EU zur Klimaneutralität
Im Dezember 2015 einigten sich alle Länder weltweit erstmals auf gemeinsame Anstrengungen, um die Erderwärmung deutlich unter 2°C zu halten und die Auswirkungen des Klimawandels zu bekämpfen.
Laut Übereinkommen müssen die Vertragsparteien nationale Pläne zur Verringerung der Emissionen vorlegen und ihre Fortschritte alle 5 Jahre überprüfen.
Die Zusagen der EU
Im Jahr 2020 vereinbarte die EU, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55% zu senken. Im Vergleich: 2014 waren es noch 40%. Ziel der EU ist es, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen: Ein ambitionierter Übergang, der Maßnahmen in allen Bereichen der Wirtschaft erfordert, sozial ausgewogen und fair sein soll und die Wettbewerbsfähigkeit der EU nicht beeinträchtigen darf.
Infografik Paris Agreement: the EU's road to climate neutrality (Europäische Union, 2020)
Der europäische „Green Deal“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt bis 2050 die CO2-Neutralität für die ganze Union vor – das heißt, dass unser Leben und unsere Wirtschaft in Europa bis dahin keinen negativen Einfluss auf den CO2-Gehalt der Atmosphäre mehr haben sollen. Österreich will das sogar früher, bis 2040, schaffen. Frau Ministerin Edtstadler, welche Vorteile hat es für Österreich, ehrgeizigere Ziele zu verfolgen?
Edtstadler: Die Klimaveränderung ist eine der größten langfristigen Herausforderungen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Österreich übernimmt klar Verantwortung, wir wollen und werden unseren Beitrag zu einer klimaneutralen Zukunft leisten. Dabei darf man aber nie vergessen, dass wir gleichzeitig unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig und Arbeitsplätze in Österreich halten müssen. Das ist Klimaschutz mit Hausverstand und Augenmaß. Genau damit will Österreich auch für Europa vorangehen und das Ziel eines klimaneutralen Österreichs schon bis 2040 erreichen. Die Erderwärmung macht aber nicht an der Staatsgrenze halt. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Europäische Union das Pariser Klimaschutzabkommen wirklich in die Tat umsetzt und auch global eine Führungsrolle einnimmt – immer mit Blick auf die Kosten für die Haushalte und unsere Unternehmen.
Unter portugiesischem EU-Ratsvorsitz erfolgte am 21. April 2021 die vorläufige politische Einigung zwischen dem EU-Parlament und dem Rat der Europäischen Union für das Europäische Klimagesetz – das Herzstück des „Green Deal“. Das neue Gesetz soll sicherstellen, dass der Treibhausgas-Ausstoß in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 gesenkt wird. Dieses Klimaschutzziel ist ambitioniert, aber ist es auch machbar?
Edtstadler: Ja. Alle EU-Mitgliedstaaten haben dieses Ziel vereinbart und auch mit dem Europäischen Parlament eine vorläufige Einigung darüber erzielt. Wichtig ist, dass wir die Unternehmen und betroffenen Sektoren dabei begleiten und unterstützen. Klimaneutralität soll durch einen Mix an Maßnahmen in den Bereichen Energie, Mobilität, Landwirtschaft, Industrie, Kreislaufwirtschaft und Finanzierung erreicht werden. Dazu müssen natürlich alle Mitgliedstaaten beitragen. Österreich ist bereit, als Vorreiter zu agieren, da wir den „Green Deal“ als Wachstumsmotor und Innovationstreiber für die Betriebe verstehen. Und weltweit braucht es einen globalen Klimaschutzplan und die europäische Führungsrolle, weshalb die EU-Kommission noch im zweiten Quartal 2021 einen Vorschlag für den CO2-Grenzausgleichsmechanismus vorlegen wird, der ein wichtiges Instrument ist, um Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen. Denn es nützt natürlich nichts, wenn nur Europa sich anstrengt und wir Gefahr laufen, dass Unternehmen in Länder abwandern, in denen die Vorschriften viel lockerer sind.
Frau Ministerin Köstinger, kein Bereich ist so sehr von den Klimaveränderungen geprägt wie die Landwirtschaft. Die Ziele des „Green Deal“ sind ehrgeizig und bedeuten auch für die Landwirtschaft einen Systemwechsel. Sind die österreichischen Bäuerinnen und Bauern dafür gerüstet?
Köstinger: Die Landwirtschaft in Österreich zeigt vor, wie es gehen kann. Über 80 Prozent der Bäuerinnen und Bauern nehmen freiwillig am Agrarumweltprogramm teil, 26 Prozent der Fläche werden biologisch bewirtschaftet und wir sind bei vielen Tierschutz- und Nachhaltigkeitsrankings wie auch in der biologischen Landwirtschaft weltweit auf Platz eins. Die österreichische Landwirtschaft hat im Gegensatz zu anderen Sektoren ihre Hausaufgaben gemacht und seit 1990 ihre Treibhausgas-Emissionen um 14,3 Prozent reduziert. Der europäische Kommissar für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Janusz Wojciechowski hat bei seinem Besuch in Österreich sogar gemeint, dass wir den „Green Deal“ bereits umgesetzt hätten.
Die Agrarpolitik ist der mit Abstand größte Posten im EU-Haushalt, nun befürchten viele Landwirtinnen und Landwirte hohe Umweltauflagen. Ist diese Sorge berechtigt?
Köstinger: Diese Sorge habe ich in Österreich nicht. Wir legen den Fokus, anders als die meisten Mitgliedstaaten, auf die zweite Säule der Agrarpolitik, auf die Ländliche Entwicklung. Dort sind all unsere Vorzeigeprogramme wie Bio-, Bergbauern-, Agrarumweltprogramm und vieles mehr drin, die den entscheidenden Unterschied ausmachen. Wir setzen nämlich schon seit jeher auf Anreize bei Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen und gehen den Weg gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern. Mit unserem Verhandlungserfolg, an dem auch der Bundeskanzler einen riesigen Anteil hat, konnten wir ein drohendes Minus im Agrarbudget von 770 Millionen Euro sogar noch in ein Plus umwandeln. Damit haben wir den österreichischen Erfolgsweg abgesichert und können ihn weiterentwickeln.
Frau Neumann-Hartberger, Sie sind die neu gewählte Bundesbäuerin in Österreich. Wir haben gehört, was der „Green Deal“ für Europa und die Landwirtschaft bedeutet. Welche Hilfen bei der Transformation brauchen nun jene, die in diesen Bereichen arbeiten?
Neumann-Hartberger: Ich schließe an Bundesministerin Elisabeth Köstinger an, die schon aufgezeigt hat, welche Umweltleistungen auch bisher schon von den bäuerlichen Betrieben in Österreich erbracht wurden. Damit ist das große Verantwortungsbewusstsein der Bäuerinnen und Bauern belegt, denn es geht uns darum, unseren Kindern und Kindeskindern lebenswerte und bewirtschaftungsfähige Betriebe zu hinterlassen. Aber all das funktioniert in einem freien Markt nur, wenn die Mehrkosten für aufwendigere Produktion abgegolten werden, einerseits durch öffentliche Mittel und andererseits durch die Konsumentinnen und Konsumenten, die bereit sein müssen, unsere Qualitätslebensmittel zu einem höheren Preis einzukaufen. Wir wissen, dass die Österreicherinnen und Österreicher eine sehr hohe Meinung von der bäuerlichen Landwirtschaft haben; nur können sie diese zum großen Teil beim Einkauf auf den Lebensmittelverpackungen und beim Außer-Haus-Essen auf dem Teller nicht erkennen. Daher sind für uns Bäuerinnen und Bauern drei Punkte wesentlich: Erstens Ausgleichszahlungen für Umweltleistungen, zweitens der direkte Dialog zwischen Landwirtschaft und Kundinnen und Kunden und drittens eine schlüssige und nachvollziehbare Herkunftskennzeichnung.
Wie können insbesondere Frauen in der Landwirtschaft unterstützt werden?
Neumann-Hartberger: Das ist eine zentrale Fragestellung, mit der wir uns laufend in der ARGE Österreichische Bäuerinnen befassen, weil wir uns als die Stimme der Frauen in der Land- und Forstwirtschaft verstehen. Aus meiner Sicht sind mehrere Ebenen zu berücksichtigen: die persönliche, die familiäre, die betriebliche und die des Lebensumfelds – nämlich des ländlichen Raums. Um hier einige wichtige Bereiche zu nennen: Die Aus- und Weiterbildungsangebote für unternehmerische Kompetenzen müssen ausgebaut wer- den. Mit der Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) soll sowohl eine Wertschöpfung als auch eine hohe Lebensqualität in den bäuerlichen Familienbetrieben ermöglicht werden; eine ausreichende Beteiligung der Frauen in den Entscheidungsgremien der Land- und Forstwirtschaft und der Ausbau einer zeitgemäßen Infrastruktur betreffend Breitband, Dienstleistungsangebote und Arbeitsplätze im ländlichen Raum sind unerlässlich. Aber nicht alle Herausforderungen sind mit EU-Mitteln und EU-Maßnahmen zu lösen, manche Schritte müssen auf anderen Verantwortungsebenen diskutiert und entschieden werden.
Welche Auswirkungen haben die Vorhaben konkret auf den Alltag der Menschen? Wie wird sich der ländliche Raum weiter verändern?
Neumann-Hartberger: Der ländliche Raum mit seinen Vielfachfunktionen liegt spätestens seit der Coronavirus-Pandemie wieder voll im Trend und im Bewusstsein der Gesellschaft – als Grundlage für die Land- und Forstwirtschaft und regionale Versorgungssicherheit, als Naturraum zur Freizeitnutzung, als Wohnort, als „Sehnsuchtsort“ für Menschen aus den Städten, aber auch als Ort, an dem die Herausforderungen des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes deutlich werden. Es wird eine der zentralen Herausforderungen sein, diese Zielkonflikte als solche anzuerkennen und gemeinsam zu lösen. Ich bin überzeugt davon, dass jede Bürgerin und jeder Bürger mit ihrem oder seinem Alltagsverhalten zur Konfliktlösung beiträgt – und fordere dies auch ein! Das umfasst den bewussten Einkauf, die bewusste Nutzung regionaler Dienstleistungen, bewusste Mobilität, einen rücksichtsvollen Umgang mit der Natur und den natürlichen Ressourcen und vieles mehr.
Wie kann die Unterstützung für die Menschen aussehen, damit der Wandel fair ist und niemand zurückgelassen wird? Stellt sich die EU auch solchen Fragen?
Edtstadler: Solidarität ist in der Europäischen Union einer der zentralen Grundpfeiler. Der „Green Deal“ sieht deshalb einen Mechanismus vor, der einen gerechten Wandel und finanzielle Unterstützung für Regionen vorsieht, die vor großen Herausforderungen stehen. Auch in Österreich werden wir genau darauf achten, dass der Strukturwandel für die Menschen sozial abgefedert wird. Das reicht von Umstrukturierungsmaßnahmen wie Umschulungen bis zur Ansiedelung neuer Industriezweige. Dem Wandel müssen wir mit Innovationen und sozialem Hausverstand begegnen. So können wir die hohe Lebensqualität in Europa auch für die zukünftigen Generationen sichern.
Leitlinien zur Erreichung der „Green Deal“- Ziele sind die „Farm to Fork“- und die Biodiversitätsstrategie der EU. Frau Ministerin Köstinger, Sie üben immer wieder Kritik an den Strategien. Warum?
Köstinger: Auf der einen Seite erhöhen wir die Produktionsstandards durch die europäischen Strategien und Maßnahmen stetig. Das bringt viele Bäuerinnen und Bauern oft an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit. Auf der anderen Seite verhandeln wir Freihandelsabkommen, wie mit den Ländern Lateinamerikas (Mercosur), ohne Produktionsstandards zu hinterfragen, und nehmen weite Flug- oder Schiffstransportwege in Kauf. Es ist mir wichtig, auf diese Widersprüchlichkeiten klar und deutlich hinzuweisen. Bei der „Farm to Fork“-Strategie, also der Strategie „vom Hof bis zum Teller“, stehen etwa weniger die Lebensmittelproduktion und Transportwege im Fokus, sondern die Umwelt- und Klimaleistungen, die die Landwirtschaft erbringen muss. Noch nie waren Qualität, Herkunft und Regionalität so wichtig für die Konsumentinnen und Konsumenten. Die Einkäufe in der Direktvermarktung boomen, bei Ab-Hof-Läden haben wir einen Rekordwert erreicht. 23 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten kaufen dort immer wieder ein, das gab es noch nie. Dieser Trend spiegelt sich aber nicht in der Strategie wider. Zum Beispiel fehlen Regelungen für eine verpflichtende und transparente Herkunftskennzeichnung. Es darf nicht so sein, dass die Landwirtschaft für den Klimawandel alleinverantwortlich gemacht wird, wie es manchmal durchklingt.
Edtstadler: Es ist klar, dass zur vollständigen Umstellung unseres Energiesystems alle Sektoren beitragen müssen. Das reicht von der Land- und Forstwirtschaft über ökologisches Bauen und die Abfallwirtschaft bis zur CO2-freien Mobilität und einer neuen, klimafreundlichen Gewerbewirtschaft und Industrie. Wir wollen Österreich als führenden Wirtschaftsstandort für hochwertige und ressourcenschonende Produktion positionieren. Das sichert langfristig unsere Arbeitsplätze und unsere österreichische Lebensqualität.
Zum Abschluss: Europaministerin Edtstadler bezeichnete in der ersten Ausgabe unseres Magazins ihre Erfahrungen als 14-jährige Salzburgerin rund um Österreichs EU-Beitritt 1995 und ihre Tätigkeit beim EGMR in Straßburg als ihre persönlichen Europa-Momente. Frau Köstinger, Frau Neumann-Hartberger, was sind Ihre Europa-Momente?
Köstinger: Brüssel ist für mich fast wie meine zweite Heimat. Acht Jahre durfte ich als Abgeordnete im EU-Parlament arbeiten. Diese Zeit hat mich enorm geprägt und es gibt zahlreiche schöne Erinnerungen, an die ich gerne zurückdenke. Mein EU-Moment war aber die österreichische EU-Ratspräsidentschaft, als wir in der letzten Woche vor Weihnachten 2018 in vielen schlaflosen Nächten in einem Rekordtempo noch zahlreiche Gesetzesvorhaben, wie zum Beispiel das Einwegplastikverbot, umgesetzt haben.
Neumann-Hartberger: Die österreichischen Bäuerinnen setzen seit vielen Jahren den Lehrgang für Funktionärinnen „ZAMm – Professionelle Vertretungsarbeit im ländlichen Raum“ um, den auch ich 2011 absolviert habe. Höhepunkt war für mich die Exkursion nach Brüssel, wo wir Einblicke in die EU-Systematik erhielten und es uns möglich war, mit vielen Vertreterinnen und Vertretern der europäischen Einrichtungen über aktuelle Themen zu diskutieren. Allerdings wurde mir auch bewusst, dass den meisten Menschen diese Hintergründe und direkten Erfahrungen mit der EU fehlen und es von europäischer und nationaler Seite noch viel mehr Anstrengungen bedarf – sei es über die tolle Initiative der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte oder mit Exkursionen nach Brüssel, damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ihre persönlichen Europa-Momente erleben können.
„Österreich ist bei vielen Tierschutz- und Nachhaltigkeitsrankings wie auch in der biologischen Landwirtschaft weltweit auf Platz eins.”
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger
„Konsumentinnen und Konsumenten sollten bereit sein, unsere heimischen Qualitätslebensmittel zu einem höheren Preis einzukaufen."
Bundesbäuerin Irene Neumann-Hartberger
„Dem Wandel müssen wir mit Innovationen und sozialem Hausverstand begegnen. So können wir die hohe Lebensqualität in Europa auch für die zukünftigen Generationen sichern.”
Europaministerin Karoline Edtstadler
Der Europatag am 9. Mai erinnert jährlich an die historische Schuman-Erklärung: Am 9. Mai 1950 hielt der damalige französische Außenminister Robert Schuman in Paris eine Rede, in der er seine Vision einer neuen Art der politischen Zusammenarbeit in Europa vorstellte. Mit seiner Erklärung legte er das Fundament für ein bis heute einzigartiges politisches Projekt: die Europäische Union.
Auch der diesjährige Europatag ging in die Geschichte der EU ein, bildete er doch den Auftakt zur „Konferenz zur Zukunft Europas“, die bis ins Frühjahr 2022 dauern soll. Mit einem Jahr pandemiebedingter Verspätung beraten die europäischen Institutionen und Mitgliedstaaten gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern über notwendige Reformen. Das große Ziel: Europa handlungsfähiger, krisenfester und demokratischer zu machen.
Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt
Neben den EU-Institutionen beteiligen sich an der Zukunftskonferenz auch alle Mitgliedstaaten, die nationalen Parlamente, zivilgesellschaftliche Organisationen, Sozialpartner sowie Vertreterinnen und Vertreter regionaler Institutionen. Im Mittelpunkt stehen aber die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Wünsche und Erwartungen an die EU einbringen sollen – online unter futureu.europa.eu und, wenn es die Pandemie erlaubt, auch bei physischen Veranstaltungen. Inhaltlich liegen die Bewältigung der Coronavirus-Krise mitsamt ihren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, die Bekämpfung des Klimawandels sowie Digitalisierung und Migration im Fokus. Darüber hinaus werden grundlegende Fragen der europäischen Zusammenarbeit diskutiert: die Verbesserung demokratischer Prozesse ebenso wie institutionelle Fragen. Die Gespräche finden im Rahmen von Veranstaltungen auf europäischer, nationaler, transnationaler und regionaler Ebene sowie auf der digitalen Plattform der EU-Zukunftskonferenz statt.
Edtstadler: Ehrliche Diskussion
„Die Zukunftskonferenz soll ein öffentliches Diskussionsforum schaffen und eine ergebnisoffene Debatte in ganz Europa ermöglichen“, sagt Europaministerin Karoline Edtstadler. Wie wichtig es sei, den europäischen Zusammenhalt zu stärken und jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen, habe nicht nur die Coronavirus-Krise gezeigt: „Kein Mitgliedstaat kann die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimakrise, Digitalisierung, Migration, Wirtschaftsaufbau nach Corona – allein meistern. Wir müssen uns jetzt die richtigen Fragen stellen und gemeinsam an den richtigen Lösungen arbeiten“, so Edtstadler. Gleichzeitig sei die Konferenz auch eine Chance, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU zurückzugewinnen und zu stärken. Dazu braucht es laut der Europaministerin einen offenen, transparenten Dialog, auch über die Probleme der Union. Edtstadler: „Die EU ist nicht in Straßburg oder Brüssel, sondern beginnt bei den Menschen in den Regionen und Gemeinden. Wird das wieder klarer, können wir wieder stolz auf diese Europäische Union sein.“
Gespräche mit „Europa vor Ort“ Seit 2020
Unter dem Motto „Unsere Zukunft – EU neu denken“ startete Europaministerin Edtstadler schon 2020 den Dialog. Seit Juni 2020 führt sie Gespräche auf regionaler und lokaler Ebene – mit all jenen, die „Europa vor Ort“ darstellen, darunter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte. Die Europaministerin tauschte sich zum Auftakt mit Schülerinnen und Schülern aus und steht in laufendem Kontakt mit anerkannten Persönlichkeiten aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Dabei stehen jene Fragen im Mittelpunkt, welche die EU aktuell und in den kommenden Jahren beschäftigen werden: Wie können wir die Union widerstandsfähiger und unabhängiger machen? Wie können wir von der Digitalisierung profitieren, ohne dass die Steuereinnahmen ins Ausland abfließen? Wie können wir Solidarität leben und unsere Grenzen vor illegaler Migration schützen? Wie stärken wir Europa im internationalen Wettbewerb? In Österreich war und ist das Interesse an den Gesprächen groß; schon jetzt konnten wertvolle Ideen für die EU-weiten Diskussionen gesammelt werden.
Zuspruch für die EU-Zukunftskonferenz
In fast allen EU-Ländern findet die „Konferenz zur Zukunft Europas“ großen Anklang, wie eine im Herbst 2020 in allen 27 Mitgliedstaaten durchgeführte „Eurobarometer“-Studie zeigte: Drei Viertel der Befragten gaben an, dem Vorhaben positiv gegenüberzustehen. Und 92 Prozent der Befragten in der EU sowie 87 Prozent in Österreich forderten, dass ihre Meinung bei Entscheidungen über die Zukunft der EU stärker einbezogen wird. Mehr als die Hälfte der Befragten beabsichtigt, sich an der Diskussion zu beteiligen. Am engagiertesten sind mit 81 Prozent die Iren, am geringsten ist der Enthusiasmus in Bulgarien und Portugal (je 34 Prozent). Nun gilt es, das Interesse in tatsächliche Beteiligung zu verwandeln.
Wie wird die Konferenz ablaufen und was passiert mit den Ergebnissen? Darüber gab es im Vorfeld viele Diskussionen. Kein Wunder: Die EU-Zukunftskonferenz ist ein komplexes Projekt mit hoch gesteckten Zielen, bei dem unterschiedliche Ansprüche unter einen Hut gebracht werden müssen. Unter anderem verpflichteten sich die EU-Institutionen dazu, die in der Konferenz erarbeiteten Empfehlungen unter Berücksichtigung der Zuständigkeiten und der in den europäischen Verträgen verankerten Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzipien zu befolgen. Dieses Bekenntnis ist laut Christina Hainzl, Leiterin des Research Labs Society in Transition an der Donau-Universität Krems, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. „Bei Beteiligungsstrukturen dieser Art besteht die Gefahr, dass tolle Ideen aufkommen, die aber nicht realistisch umsetzbar sind. Wenn ein Diskussionsprozess in Gang kommt, die Ergebnisse aber nicht weiterverfolgt werden, geht Vertrauen verloren“, sagt sie.
Europäische Vielfalt in den Diskussionen
Bei der „Konferenz zur Zukunft Europas“ sollen alle Interessengruppen zu Wort kommen. Es wird eine hinsichtlich der geografischen Herkunft, des Geschlechts, Alters, sozioökonomischen Hintergrundes und Bildungsniveaus repräsentative Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern gebildet (Europäische Bürgerforen). Zwar sollen persönliche Treffen stattfinden; angesichts der Einschränkungen durch die Pandemie ist eine Ergänzung durch digitale Tools aber von enormer Bedeutung. Die Online-Beteiligung bietet laut Hainzl einen niederschwelligen Zugang, der die Teilnahme für viele Bevölkerungsgruppen erleichtert. Auf der Plattform futureu.europa.eu werden die Beiträge aller konferenzbezogenen Veranstaltungen gesammelt, analysiert und veröffentlicht. Ein Feedback-Mechanismus soll sicherstellen, dass die Ideen zu konkreten Empfehlungen führen.
Die Gemeinden spielen bei der EU-Zukunftskonferenz eine Schlüsselrolle: Denn die EU fordert ihre Mitgliedstaaten explizit dazu auf, Veranstaltungen zu organisieren. „Die Gemeindevertreterinnen und -vertreter wissen am besten, mit welchen Themen sie Bezugspunkte zum Lebensalltag der Menschen schaffen können. Und sie sind wichtige Multiplikatoren“, sagt Hainzl. Die Expertin rät, lokal relevante Themen auszuwählen und zu behandeln. Die Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich zu informieren, ohne selbst aktiv werden zu müssen – das sei für viele eine Hemmschwelle. So könne man auch jene Bevölkerungsgruppen ins Boot holen, die sich sonst nicht artikulieren würden, erklärt Hainzl. Damit soll bei der Bevölkerung das Interesse an Politik geweckt und ein nachhaltiger Mehrwert für die österreichische und europäische Demokratie geschaffen werden.
Wie soll sich die EU positionieren, um „weltpolitikfähig“ zu sein?
Der Begriff „weltpolitikfähig“ besagt, dass die Stimme der EU auf der Weltbühne gehört werden soll, um eine Welt nach europäischen Werten und Interessen zu formen. Eine Welt, die fair, ausgeglichen und friedlich ist. Um dies zu ermöglichen, müssen wir eine gemeinsame Wahrnehmung von bestehenden Bedrohungen haben, und wir müssen versuchen, die „Sprache der Macht“ zu sprechen. Eine gemeinsame Sicht auf internationale Probleme haben wir aber noch nicht. Aktuell arbeiten wir am „strategischen Kompass“. Dieser wird einen Überblick über die Bedrohungen und Herausforderungen für Europa bieten: Rivalitäten zwischen Weltmächten, Klimawandel, Bedrohungen durch Cyberangriffe, Desinformationskampagnen oder Terrorismus, sowie die Schwächung des Multilateralismus. Die Herausforderungen sind gewaltig, und sie können nur durch eine gemeinsame europäische Antwort bewältigt werden. Kein Mitgliedstaat kann sich ihnen allein stellen. Ich bin überzeugt: In einer unsicheren und oft feindseligen Welt brauchen wir eine starke EU, die in der Lage ist, zu handeln und europäische Werte und Interessen zu schützen.
Für Österreich ist die europäische Perspektive für die Westbalkan-Staaten essenziell. Wie kann diese Region an die EU herangeführt werden?
Der Westbalkan ist im Herzen Europas, und die Zukunft unserer Partner liegt in der Europäischen Union. Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, die Region zu integrieren und ihren Wohlstand, ihre Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Ich werde weiterhin den Belgrad-Priština-Dialog fördern, der ermöglichen soll, endlich ein Normalisierungsabkommen zwischen Serbien und Kosovo zu erreichen. Parallel dazu können wir daran arbeiten, mit unseren Partnern die sektorielle Zusammenarbeit auszubauen. Unser Engagement wird auch in Zukunft stark bleiben, um die Region schneller an die EU heranzuführen. Sie sind für die Sicherheitspolitik der EU verantwortlich.
Wie können die EU-Außengrenzen vor illegaler Migration geschützt werden?
In der Tat ist die Migration eine der größten Herausforderungen für die EU, und weltweit auch für Herkunfts- und Transitstaaten. Und um sich dieser anzunehmen, hat die Europäische Kommission einen neuen Migrationspakt für ein effektives Migrationsmanagementsystem vorgeschlagen. Unsere Politik muss den notwendigen Schutz für Flüchtlinge ermöglichen, zu dem wir gemäß der Genfer Konvention verpflichtet sind, muss Wege für legale Migration inkludieren – und muss gleichzeitig für einen wirksamen Schutz der EU-Grenzen sorgen.
Die Digitalisierung ist zu einem außenpolitischen Faktor geworden. Wie kann Europa verhindern, überholt zu werden, und Standards wie jene im Datenschutz hochhalten?
In einer Welt, die vom geopolitischen Wettbewerb um technologische Vorherrschaft geprägt ist, müssen wir sicherstellen, dass sich die europäische Vision der Digitalisierung – basierend auf offenen Gesellschaften, Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten – gegenüber autoritären Systemen durchsetzt, die digitale Technologien auch zur Überwachung und Unterdrückung einsetzen. Deswegen hat die Europäische Kommission eine Vision für ein europäisches „digitales Jahrzehnt“ vorgestellt.
In Österreich bringen über 1.200 Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte die EU in ihre Gemeinden. Wie könnte dieses Projekt der Bevölkerung die europäische Außenpolitik näherbringen?
Um ein starkes Europa in der Welt – das ja auch in meinem Titel als Vize-Präsident der Europäischen Kommission reflektiert ist – aufbauen und projizieren zu können, brauchen wir ein starkes Europa zu Hause. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sich nicht nur als Innsbrucker, als Andalusier oder als Ungarn fühlen, sondern auch als Europäerinnen und Europäer. Die Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte sind wichtige Botschafterinnen und Botschafter und übernehmen eine große Verantwortung. Ich finde dieses Projekt, das die Europäische Kommission mit dem österreichischen Außenministerium vor über zehn Jahren ins Leben gerufen hat, sehr wichtig, da es einen Beitrag zur Bildung einer tatsächlichen Gemeinschaft leistet. Dazu müssen wir die Europäische Union an unsere Bürgerinnen und Bürger herantragen, besser kommunizieren und erklären, dass das viel zitierte „Brüssel“ keine ferne Macht ist, sondern dass EU-Entscheidungen dort von allen EU-Mitgliedstaaten gemeinsam getroffen werden – und wir müssen verständlich kommunizieren, welche Auswirkungen diese Entscheidungen auf das tägliche Leben in unseren Gemeinden haben. Umgekehrt geht es aber genauso darum, die Anliegen der Gemeinden wahrzunehmen und in die Formulierung unserer Politik einzubeziehen.
Im Mai startet die EU-Zukunftskonferenz. Welche Erwartungen haben Sie?
Für mich wird die Konferenz ein Erfolg sein, wenn es uns gelingt, die „schweigende Mehrheit“ der Europäerinnen und Europäer zu erreichen und über Brüssel und die nationalen Hauptstädte hinauszugehen. Dies ist ein innovatives Experiment der aktiven Demokratie, und ich freue mich darauf, daran teilzunehmen. Zweifelsfrei wird den Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäten dabei eine wichtige Rolle zukommen. Denn es geht eben genau darum, die Diskussion über die Ziele der EU in die Gemeinden zu bringen und die Zukunft Europas gemeinsam mit allen Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren und zu gestalten.
Sie bezeichnen sich als überzeugten Europäer. Was verbinden Sie mit Österreich?
Österreich ist für mich natürlich Berge und Musik! Beides ist sehr wichtig für mich und wer mich kennt, weiß, dass ich in meiner Freizeit am liebsten in der Natur und wann immer möglich in den Bergen auf dem Weg hinauf auf einen Gipfel zu finden bin – von denen es in Österreich ganz herausragende gibt. Und die wunderbaren Komponisten Österreichs begleiten mich oft zuhause – wenn ich ein wenig zur Ruhe kommen kann, lasse ich mich dabei sehr gerne von Mozart und Strauß begleiten. Abgesehen davon verbinde ich damit die eng verwobene österreichisch-spanische Geschichte und die Ursprünge unseres Europas, die schon im 16. Jahrhundert zu finden sind. Meine Generation hat in Spanien den Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie gestaltet. Europa war in meiner Jugend und in den Anfängen meiner politischen und professionellen Karriere die Idee von Freiheit, und Wohlstand. Heute bin ich noch immer davon überzeugt, dass wir ein wahnsinniges Glück haben, in Europa leben zu können. Dem Ort, der wie kein anderer auf der Welt für politische Freiheit, wirtschaftlichen Wohlstand und sozialem Zusammenhalt steht. Die lebenswerteste Stadt der Welt – Wien – ist nicht zufällig im Herzen von Europa zu finden.
2004 wurden Sie in das Europäische Parlament gewählt und übten die Funktion des EU-Parlamentspräsidenten aus. War dies Ihr persönlicher Europa-Moment?
Ein wahrlich „europäischer Moment“ war für mich die Mitarbeit am Europäischen Konvent, der 2002/2003 den Vertrag über eine Verfassung für Europa entworfen hat. Auch wenn der Verfassungsvertrag nach negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden nicht in Kraft trat. Und ich habe viele „europäische Momente“ im Europäischen Parlament erlebt. Hervorzuheben ist die erfolgreiche EU-Erweiterung mit zehn osteuropäischen Ländern während meiner Mitgliedschaft und Präsidentschaft. Diese historische Erweiterung war in vielerlei Hinsicht von fundamentaler Bedeutung – und was mich immer wieder berührt hat in dieser Zeit, das war das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger zu erleben, was es für sie bedeutet, ab jetzt „zu Europa zu gehören“.
Die Pandemie verändert Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Was wird von ihr bleiben?
Alle Bemühungen sind darauf konzentriert, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen – damit wir unser Leben wieder normalisieren können. Dafür müssen wir zusammenhalten und globale Lösungen suchen. Sicher wird es bleibende Veränderungen geben, wie wir reisen, arbeiten, lernen. Aber im Moment geht es mir wie den meisten Europäerinnen und Europäern: Ich hoffe auf eine Realität, in der mein Arbeitstag nicht vorrangig aus Videokonferenzen besteht und ich wieder sorgenfrei mit meiner Familie und Freunden zusammen sein kann.
Sie sind als Präsidentin der Europäischen Kommission eine der obersten Repräsentantinnen von 447 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Was ist der Kern dieses "Europa" für Sie?
Die Europäische Union ist für mich eine starke demokratische Gemeinschaft, die gemeinsam erfolgreich sein will. Sie beruht auf tief verwurzelten Werten, geteilten Erfahrungen und Traditionen. Unser gemeinsames Europa hat die Größe und das Gewicht, um bei den großen Herausforderungen, denen die ganze Welt gegenübersteht, die Führung zu übernehmen. Das sehen wir aktuell im Kampf gegen die Pandemie und ihre Folgen. Dasselbe gilt aber auch für den Klimaschutz oder die Aufgabe, Regeln für das digitale Zeitalter aufzustellen. Das können einzelne Staaten nicht allein. Für dieses starke Europa setze ich mich jeden Tag mit voller Kraft ein.
Die Konferenz zur Zukunft Europas nimmt nun endlich Fahrt auf. Was erwarten Sie sich vom geplanten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern?
Die einzigartige Vielfalt der Europäischen Union mit ihren 447 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und 24 verschiedenen Sprachen bedeutet ein riesiges Reservoir an Chancen und Möglichkeiten. Ein Schatz, den wir nutzen müssen. Unsere Europäische Union ist das, was wir aus ihr machen. Die Konferenz zur Zukunft Europas bietet jeder Europäerin und jedem Europäer die Chance, die Zukunft unseres Kontinents mitzugestalten. Ich freue mich daher, dass die österreichische Regierung bereits im vergangenen Jahr diese Debatte in ganz Österreich und in allen Gemeinden angestoßen hat. Unsere Vertretung in Österreich organisiert dieses Jahr gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik in allen Bundesländern Diskussionsveranstaltungen, um möglichst viele Bürgerinnen und Bürger einzubinden. Da geht es dann etwa darum, was wir gegen den Klimawandel tun, oder für den Schutz von persönlichen Daten im Netz, oder generell um unser demokratisches Miteinander, das durch Fake News oder Hasskampagnen im Internet herausgefordert wird. Auf all diese Fragen kann Europa Antworten liefern.
Welche Rolle sollte die EU bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie spielen? Was tut die EU ganz konkret, um die Auswirkungen der Pandemie zu bewältigen, etwa auf lokaler und regionaler Ebene?
Wir alle in der Union sind gleichermaßen von diesem Virus betroffen. Und den Weg aus der Krise schaffen wir am besten gemeinsam. Zu Beginn der Pandemie habe ich mich dafür eingesetzt, dass die Europäische Union solidarisch wie eine echte Familie reagiert. Ich erinnere mich gut daran, als Österreich Intensivpatientinnen und -patienten aus Italien und Frankreich in seine Spitäler aufgenommen hat. Oder auch Handschuhe und Desinfektionsmittel nach Kroatien geliefert hat. Das war gelebte Solidarität! Europa ging und geht gemeinsam durch diese Krise. Wir haben gemeinsam Schutzausrüstung gekauft; wir haben staatliche Beihilfen – auch für die österreichische Wirtschaft – rasch und flexibel genehmigt; wir haben ein neues Instrument zur Unterstützung von Kurzarbeit für ganz Europa auf den Weg gebracht; und wir haben nun unseren 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauplan "NextGenerationEU" für ein grünes, modernes und starkes Europa. Österreich wird daraus übrigens rund 3 Milliarden Euro an Finanzhilfen erhalten. Und schließlich: In enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten hat die Kommission ein großes Portfolio unterschiedlicher Impfstoffe angelegt, die sicher, wirksam und erschwinglich sein sollen. Vor Ende des letzten Jahres haben wir mit Impfungen in der EU begonnen!
Unter dem Motto "Europa fängt in der Gemeinde an" gibt es in Österreich bereits über 1.200 Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte. Wie weit fühlen sich die Menschen in den Regionen von Brüssel entfernt? Und wie kann man die Sichtbarkeit der EU in den Gemeinden verstärken?
Jeder Weg nach Brüssel beginnt vor der eigenen Haustür, und Europa beginnt in den Köpfen der Menschen. Als Gemeinderätin meiner Heimatstadt und später als Ministerin in der niedersächsischen Landesregierung habe ich vieles von der Kommunalpolitik gelernt. Für unsere Bauern ist etwa enorm wichtig, welche Absatzmärkte die EU für sie erschließt. Gerade der ländliche Raum profitiert stark von der EU-Förderung. Umgekehrt haben die lokalen und regionalen Politikerinnen und Politiker den Finger direkt am Puls der Bürgerinnen und Bürger. Daraus will die EU gerne einen größeren Nutzen ziehen. Die Coronavirus-Pandemie hat uns einmal mehr die verborgene Stärke Europas gezeigt – sie liegt in unseren Gemeinden und Regionen. Die EU tut unglaublich viel, gerade in Österreich. Auch mit "NextGenerationEU" stehen die Gemeinden, Städte und Regionen im Mittelpunkt unseres Handelns. Bei den Investitionen und Initiativen dieses großen Aufbauplans sollen die lokalen Verantwortlichen das Sagen haben. Etwa, auf welche Weise wir die digitale Infrastruktur in der Fläche ausbauen. Die Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte sind übrigens eine ganz bemerkenswerte Einrichtung. Als die Europäische Kommission vor mehr als 10 Jahren gemeinsam mit dem österreichischen Außenministerium diese Initiative ins Leben rief, waren einige skeptisch, ob genug Gemeinderätinnen und Gemeinderäte mitmachen würden. Heute gibt es in Österreich über 1.200 engagierte und kompetente Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte! Das ist gelebte Subsidiarität vor Ort. Wir sollten im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas darüber nachdenken, ob das österreichische Modell nicht auch in anderen Mitgliedstaaten Nachahmer finden sollte.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine weltweite Herausforderung, der European Green Deal steht ganz oben auf Ihrer Agenda. Beim Thema Klimapolitik sind die Interessen der Staaten, aber auch privater Akteure sehr unterschiedlich. Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen, dass das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 tatsächlich erreicht werden kann? Wie können einzelne EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, aber auch Gemeinden und Firmen dazu beitragen?
Der Kampf gegen den Klimawandel ist die größte Verpflichtung unserer Generation und zugleich unsere größte Chance. Die österreichische Regierung ist dabei ein starker Partner für uns, schließlich will Österreich bereits 2040 klimaneutral sein. Beim vergangenen Europäischen Rat haben sich die Staats- und Regierungschefs auf den Kommissionsvorschlag geeinigt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht um 40 Prozent, sondern um mindestens 55 Prozent zurückzufahren. Wir alle wissen, dass wir etwas ändern müssen – und die Kommission zeigt mit konkreten Vorschlägen den Weg vor: von Biodiversität und nachhaltigeren Lebensmitteln über eine gewinnbringende Kreislaufwirtschaft bis hin zur Renovierung von Millionen von Gebäuden. Österreich hat hochinnovative Unternehmen und eine starke Industrie. Viele Bürgerinnen und Bürger setzen in ihrem Alltag bereits auf Nachhaltigkeit. Ich bin daher überzeugt, dass wir gemeinsam unsere ambitionierten Ziele erreichen können, wenn wir beharrlich dranbleiben und uns anstrengen. Die Investitionsmittel stehen bereit und die Pläne auch. Jetzt geht es ans Umsetzen.
Die Coronavirus-Pandemie hat uns allen die Chancen, aber auch die Herausforderungen der Digitalisierung klar vor Augen geführt. Zum einen können viele Bürgerinnen und Bürger mobil und grenzenlos arbeiten, einkaufen, lernen und sich online in Debatten einbringen. Zum anderen zeigen sich die Kehrseiten der digitalen Welt, etwa durch Hass und Gewalt im Netz, Desinformationskampagnen, Datenschutzlücken und die dominierende Rolle großer Technologieplattformen. Wie wollen Sie die europäischen Regeln im digitalen Raum den aktuellen Erfordernissen anpassen und eine Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen finden?
Digitaler und grüner Wandel gehen Hand in Hand: Wenn wir das Digitale mit dem Grünen verbinden, sind wir sicherer und umweltfreundlicher unterwegs. Das bedeutet mehr Lebensqualität für uns alle. Ich will, dass Europa hier ebenso selbstbewusst auftritt wie in der Klimapolitik und wir dieses
Jahrzehnt zur "digitalen Dekade" Europas machen. Dabei müssen wir freilich auch die Herausforderungen im Auge behalten, welche die Digitalisierung mit sich bringt. Meine Kommission hat daher eine ehrgeizige Reform des digitalen Raums auf den Tisch gelegt. Dabei haben wir die Bürgerinnen und Bürger sowie die europäischen Werte ins Zentrum gerückt. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre Grundrechte im Internet besser schützen und der Macht großer Plattformen Grenzen setzen. Beim wichtigen Thema Hassrede im Netz arbeiten wir eng mit der österreichischen Regierung zusammen. Wir sind auch mit Fake News und Desinformation konfrontiert, die uns – und unsere Werte – unauffällig, aber permanent angreifen. Dagegen gehen wir jeden Tag gezielt an. Den Social-Media-Giganten kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu. Wir wollen für einen sicheren digitalen Raum sorgen, in dem die Österreicherinnen und Österreicher und alle Europäerinnen und Europäer geschützt sind.
Die Coronavirus-Pandemie hat zahlreiche Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte mit sich gebracht, die uns alle im täglichen Leben betreffen. Worauf freuen Sie sich persönlich, wenn ein Ende der Pandemie absehbar ist?
Ich verbringe wegen der Einschränkungen sehr viel Zeit in den Brüsseler Dienstgebäuden und fahre auch nur selten zu mir nach Niedersachsen aufs Land. Ich bin so gerne draußen an der frischen Luft. Und die spontanen Begegnungen mit anderen Menschen, die fehlen mir sehr.
Welches ist Ihr persönlicher EU-Moment? Eine Speise, ein Land, ein Lied, ein Ereignis, das für Sie die Union verkörpert?
Ich bin ja in Brüssel geboren und in die Schule gegangen. Für mich ist das deswegen seit Kindertagen die Europäische Hymne. Wenn Beethovens "Ode an die Freude" erklingt, geht mir jedes Mal das Herz auf.
Als Europaministerin sind Sie seit kurzem auch für die rund 1.200 österreichischen Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte zuständig. Welche Botschaft haben Sie zum Einstand an diese?
Die Europäische Union findet nicht in Brüssel oder Straßburg statt, sondern sie ist da, wo die Menschen Probleme haben und sich Lösungen erwarten. Sie findet in der Gemeinde als der kleinsten Einheit unseres demokratischen Rechtsstaates statt.
Die Initiative wurde unter dem Motto "Europa fängt in der Gemeinde an" vor etwa 10 Jahren ins Leben gerufen. Ist es gelungen, den europäischen Gedanken in den Gemeinden zu verankern?
Ja, das Gefühl habe ich sehr deutlich. Allerdings braucht es noch viel mehr Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte. Mein Ziel ist, dass es sie in jeder Gemeinde Österreichs gibt, idealerweise auch in jeder im Gemeinderat vertretenen Partei. Sie sollen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sein, und ich wünsche mir, dass Probleme bis zu mir transportiert werden und ich diese dann auf EU-Ebene ansprechen kann.
Was fehlt noch, damit sich überall Europa-Gemeinderätinnen und -Gemeinderäte finden?
Wir brauchen Begeisterung für die EU. Mit viel Passion kann man die Menschen davon überzeugen, dass sie sich nicht nur für die Europäische Union interessieren, sondern sich auch engagieren. Das bedeutet eine zusätzliche Anstrengung für die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, weil sie sich einlesen und ihr Wissen für die Bevölkerung aufbereiten müssen. Dabei werden wir sie aber mit regelmäßigen Informationen unterstützen. Es ist auch wichtig, miteinander zu reden: Reden wir darüber, welche Projekte nur möglich sind, weil die EU Kofinanzierungen übernommen hat. Reden wir darüber, welche Probleme gelöst worden sind. Reden wir aber auch darüber, was in Zukunft besser sein muss und wo es noch keine Lösungen gibt.
Sie haben bei Ihrer Bundesländertour vergangenes Jahr mit vielen Menschen gesprochen. Welche Probleme und Ideen sind an Sie herangetragen worden?
Es ist klar geworden, dass wir bis zu dieser Krise die Errungenschaften der Europäischen Union schon so sehr als selbstverständlich hingenommen haben, dass wir sie gar nicht mehr gespürt haben. Und als es dann plötzlich nicht mehr einfach möglich war, über die Grenze einkaufen oder arbeiten zu fahren, ist vielen bewusst geworden, was wir vermissen würden, wenn wir die EU nicht hätten. Dieses Momentum möchte ich nützen, um jetzt über die Zukunft zu reden.
Durch die Covid-19-Pandemie wurde die Konferenz zur Zukunft der EU, die die Stimmung der Menschen einfangen und Europa wieder bürgernäher machen soll, verzögert. Wie geht es weiter?
Ich arbeite daran, dass sie so rasch wie möglich gestartet wird. Ja, wir kämpfen gegen Covid-19. Aber gerade jetzt müssen wir beginnen, die Zukunft zu planen. Wenn wir eine Erleichterung bei der Covid-19-Krise erleben, werden uns die Menschen fragen, was wir sonst noch planen: Welche Lehren aus der Krise ziehen wir? Wie kann Europa unabhängiger werden? Wenn wir dann sagen müssen, dass wir nur mit Covid-19 beschäftigt waren, dann sind wir gescheitert.
Kann die Konferenz diese Fragen beantworten?
Die Zukunftskonferenz ist aus meiner Sicht ein notwendiger Schritt, um die Union wieder in die Gedankenwelt der Menschen zu bringen, um in einer ehrlichen Interaktion mit ihnen ihre Meinungen einzufangen. Das ist in letzter Zeit verloren gegangen, man hat gar nicht mehr gespürt, dass die EU in der Gemeinde beginnt. Die Konferenz wird zwar nicht alle Fragen für jeden zufriedenstellend lösen, aber sie kann uns Politikerinnen und Politikern die Richtung zeigen. Wo braucht es mehr, wo weniger Europa? Bei großen Fragen wie Migration, Klimapolitik und Digitalisierung kann es nur gemeinsame Lösungen geben. Bei der regionalen Zusammenarbeit kann man aber auf Empfehlungen aus Brüssel verzichten.
Braucht es eine Änderung der Verträge?
Seit dem Vertrag von Lissabon vor 11 Jahren hat sich so viel geändert, dass es Sinn machen würde, einen völlig neuen Vertrag aufzusetzen. Ich bin aber Realistin und weiß, dass Österreich mit dieser ambitionierten Haltung wohl allein dasteht. Dennoch habe ich mich vom ersten Moment an dafür eingesetzt, dass wir ein Mandat im Rat verabschieden, das Vertragsänderungen wenigstens nicht ausschließt. Ich hoffe, dass wir uns zumindest auf ein paar Dinge einigen können, etwa in der Frage der Subsidiarität.
Sie waren juristische Mitarbeiterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg und Delegationsleiterin der Volkspartei in Brüssel. Wann haben Sie Ihren persönlichen Europa-Moment erlebt?
Seit ich denken kann, denke ich europäisch. Ich war 14 Jahre alt, als Österreich der EU beigetreten ist. Als Salzburgerin bin ich immer wieder nach Deutschland oder Tschechien gefahren – ich kenne die Grenzen und das Niemandsland dazwischen. Der Moment, als Österreich beigetreten ist, war für mich ein Aufbruch. Am Ende meines Studiums, 2003, war ich mit meinem damaligen Diplomvater auf einer Exkursion beim EGMR. Damals dachte ich mir, ich möchte gerne an dieser großen Sache Menschenrechtsgerichtshof mitarbeiten. 2016 hat sich der Traum erfüllt und ich bin vom Justizministerium nach Straßburg entsandt worden. Ich werbe immer dafür, dass junge Menschen ins Ausland gehen. Denn mich hat die internationale Community extrem geprägt. Weltoffenheit, die Perspektive des anderen immer mitzuberücksichtigen – diese Eigenschaften brauchen wir auch für Verhandlungen auf europäischer Ebene.
Sind diese Eigenschaften aus Ihrer Sicht bei Verhandlungen in der EU ausreichend vorhanden? Oder verfolgen die Mitgliedstaaten zu oft Partikularinteressen?
"In Vielfalt geeint", das Motto der Europäischen Union, beschreibt schon ganz gut, dass Europa eben das Vereinen von verschiedensten Meinungen und Perspektiven ausmacht. Verständlicherweise gehen die einzelnen Vertreterinnen und Vertreter mit den Interessen des jeweiligen Mitgliedstaates in Verhandlungen auf EU-Ebene, am Ende – und oft in letzter Minute – findet sich dann ein Kompromiss, der für alle Mitgliedstaaten tragbar ist. Aber wer wären wir, als österreichische Politikerinnen und Politiker, wenn wir nicht für unsere österreichischen Interessen auf allen Ebenen einstehen?
Was ist Ihre Vision der Europäischen Union in 20 oder 30 Jahren? Was muss sich ändern, damit sie von der Weltpolitik als stärkere Partnerin wahrgenommen wird?
Weltpolitisch betreten wir in diesen Jahrzehnten ein neues multilaterales Zeitalter, Europa bewegt sich zwischen den Polen USA auf der einen und China auf der anderen Seite. Um hier zu bestehen, müssen wir unsere Stärken besser ausspielen: Die EU ist der größte Binnenmarkt, mit rund 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern – eine Riesenchance für die heimische Wirtschaft. Die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten weist weltweit die höchsten Standards auf, unsere individuellen Grund- und Freiheitsrechte haben einen hohen Stellenwert. Und was die Lebensqualität in der EU und in Österreich angeht, möchte ich mit keinem anderen Staat der Welt tauschen. Dies alles sind unsere gemeinsamen Stärken. Diese müssen wir ausspielen. Diese Stärken machen Europa zum Sehnsuchtsort für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Schützen wir sie und gehen wir mit ihnen mutig in die Zukunft.
Die Heranführung der 6 Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien an die Europäische Union gehört seit jeher zu den zentralen Prioritäten der österreichischen Außenpolitik und ist der Bundesregierung ein ganz besonderes Anliegen. Denn ohne den Westbalkan bliebe die europäische Einigung unvollständig. Eine Annäherung unserer unmittelbaren Nachbarschaft an die EU ist im ureigenen Interesse Österreichs. Schließlich geht es um die Sicherheit vor der eigenen Haustür.
Österreich ist historisch, wirtschaftlich und kulturell eng mit dieser Region verbunden. Wir engagieren uns aktiv vor Ort und setzen uns mit Nachdruck dafür ein, dass der Westbalkan kein weißer Fleck auf der Landkarte der EU bleibt. Es war ein bewusstes Zeichen unserer Verbundenheit mit dieser Region, dass Bundesminister Alexander Schallenberg – gemeinsam mit Bundesministerin Karoline Edtstadler – im Mai 2020 eine Reise nach Albanien, Serbien und Kosovo unternommen hat, um Hilfsgüter im Kampf gegen Covid-19 zu übergeben.
Diese von EU-Mitgliedstaaten umgebene Region hat auch eine wichtige Bedeutung für die Sicherheit und Stabilität Europas. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass auch Ende des 20. Jahrhunderts noch unmenschliche Gräuel in unserer direkten Nachbarschaft möglich waren. Es ist daher in unserem Interesse, diese Länder auf ihrem europäischen Weg zu unterstützen und einen Raum des Friedens, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie zu schaffen. Unsere Arbeit steht unter dem Motto: Stabilität in unsere Nachbarschaft exportieren, und nicht Instabilität importieren.
Südosteuropa auch wirtschaftlich von größter Bedeutung
Die Westbalkan-Staaten sind eine große Chance für unsere Wirtschaft. In Bosnien und Herzegowina ist Österreich bereits Investor Nummer 1, in Serbien und Nordmazedonien sind wir an zweiter Stelle. Um diesen Wirtschaftsraum noch besser nutzen zu können, ist es besonders wichtig, dass sich die Gesetze und das Regelwerk an unsere europäischen Normen angleichen, und dass es für unsere Unternehmen Rechtssicherheit gibt.
Der EU-Annäherungsprozess ist dabei das beste Instrument, um eine möglichst rasche Heranführung an EU-Standards zu erreichen. Die europäische Perspektive ist auch die größte Motivation für dringende, aber oft schwierige Reformen, von denen wiederum wir in der direkten Nachbarschaft profitieren.
Kein weißer Fleck auf der Landkarte Europas
Diese geostrategisch und wirtschaftlich wichtige Region haben aber auch andere Staaten schon länger im Fokus. Falls wir Europäer den Westbalkan nicht mehr ganz oben auf der Agenda haben, werden dort Drittstaaten wie Russland, China und die Türkei noch stärker Fuß fassen. Klar ist nämlich: Es gibt in der Politik kein Vakuum! Schon jetzt sind diese Länder durch große Investitionen in Schlüsselbereichen wie Industrie, Infrastruktur und Energie sehr präsent. Es kann nicht in unserem Interesse sein, eine so wichtige Region Europas dem Einfluss von Akteuren außerhalb der EU zu überlassen.
Für Außenminister Schallenberg ist die Überwindung der Teilung Europas im 20. Jahrhundert erst dann endgültig vollbracht, wenn alle Staaten des Westbalkans Vollmitglieder der EU sind. In der historischen Funktion des Brückenbauers setzt sich Österreich daher innerhalb der EU für eine realistische und greifbare EU-Heranführung der 6 südosteuropäischen Beitrittswerber ein. Dabei handelt es sich um einen mehrjährigen Prozess, in dem Schritt für Schritt der gesamte Rechtsbestand der EU übernommen werden muss. Derzeit verhandelt die EU mit Montenegro und Serbien. Mit den Kandidatenländern Albanien und Nordmazedonien sollen die Verhandlungen heuer beginnen.
Österreich und die EU leisten dabei auch finanzielle Unterstützung. Mit dem EU-Instrument für Heranführungshilfe (IPA) werden die wesentlichen Reformen finanziell und personell unterstützt. Österreich leistet auch im Wege von EU-finanzierten Verwaltungspartnerschaften (Twinning) und mit der Entsendung von Expertinnen und Experten in den Bereichen Umwelt, Justiz und Inneres, Finanzen, Gesundheit sowie Steuer- und Zollwesen einen wichtigen Beitrag. Während der Covid-19-Pandemie unterstützte die EU die Staaten des Westbalkans 2020 mit Soforthilfen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro. Des Weiteren wurden 70 Millionen Euro für die Finanzierung von Impfstoffen zur Verfügung gestellt.
Neben all den wirtschaftlichen Faktoren ist auch die enge menschliche Verbundenheit mit Südosteuropa hervorzuheben. So haben über eine halbe Million Menschen mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien eine neue Heimat in Österreich gefunden. Erkennen und nutzen wir gemeinsam die Chancen, die der Westbalkan für uns bietet!
Beim Geld hört sich die Freundschaft auf, sagt der Volksmund. Andererseits benötigt jedes gemeinsame Ziel angemessene Ausstattung – vor allem finanzielle. An Aufgaben, die nur gemeinsam zu bewältigen sind, mangelt es der europäischen Gemeinschaft derzeit wahrlich nicht: Zu der Herausforderung von historischem Ausmaß, dem Kampf gegen die Klimakatastrophe, und der Mammutaufgabe der Digitalisierung kam im vergangenen Jahr der Schock durch die Covid-19-Pandemie. Umso ernster wurden die Verhandlungen über das gemeinsame EU-Budget genommen. In unzähligen Verhandlungsstunden rangen die Mitgliedstaaten, die EU-Kommission und das Europäische Parlament um einen Haushaltsplan, der den Interessen aller Beteiligten gerecht werden und Europa stärken sollte. Das Ergebnis, der Mehrjährige Finanzrahmen für 2021 bis 2027 sowie das Aufbauprogramm zur Überwindung der Corona-Krise, stellt eine beispiellose Weichenstellung dar.
So funktioniert das neue Budget
In den kommenden 7 Jahren werden die EU und ihre Mitgliedstaaten so viel Geld in die Hand nehmen wie noch nie zuvor in einer Budgetperiode. Die geplanten Ausgaben sollen insgesamt 1.824,3 Milliarden Euro betragen. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf den üblichen Mehrjährigen Finanzrahmen, der alle 7 Jahre festgelegt wird. Angesichts der tiefgreifenden wirtschaftlichen Verwerfungen durch das Coronavirus wurde diesmal zusätzlich ein Volumen von 750 Milliarden Euro für einen europäischen Aufbauplan beschlossen. Dieser vereint unter dem Namen "NextGenerationEU" Finanzhilfen und Darlehen, zu deren Finanzierung die Mitgliedstaaten erstmals gemeinsam Schulden aufnehmen. Damit wird unter anderem die Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility – RRF) im Umfang von 672,5 Milliarden Euro finanziert.
Eine zweite grundsätzliche Neuerung ist die Schaffung innovativer Eigenmittel. Damit sind Geldquellen abseits von Beitragszahlungen einzelner Staaten gemeint. So erhält die EU seit Jahresbeginn 2021 Beiträge, deren Höhe sich an der Menge von nicht recycelten Plastikabfällen bemisst. In den kommenden Jahren sollen eine CO2-Grenzausgleichsabgabe sowie weitere Beiträge aus dem Emissionshandel und eine Digitalabgabe hinzukommen. Sie sollen auch dazu beitragen, die im Zuge von "NextGenerationEU" aufgenommenen Darlehen zurückzuzahlen. Margit Schratzenstaller, Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), sieht darin 2 wesentliche Vorteile: "Diese Eigenmittel haben Lenkungseffekte, etwa die Eindämmung von CO2-Emissionen. Außerdem können mehr Eigenmittel es langfristig ermöglichen, die nationalen Beiträge zu reduzieren, was Spielraum beispielsweise für die Entlastung des Faktors Arbeit schaffen würde", sagt sie.
Auflagen sollen Ziele und Werte sicherstellen
Die Ausgaben sind bis zu einem gewissen Ausmaß zweckgebunden, damit bei besonders wichtigen Vorhaben rasch Erfolge verbucht werden können. Dies ist bei den beiden großen Herausforderungen Klimaschutz und digitaler Wandel der Fall. Mit dem sogenannten Mainstreaming werden diese Aspekte zu Kriterien in allen Entscheidungen gemacht – laut Ökonomin Schratzenstaller ein "prinzipieller Fortschritt". 30 Prozent aller Ausgaben des Haushaltsplans und 37 Prozent des RRF sollen damit für Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen eingesetzt werden. Restriktive Maßnahmen werden künftig sicherstellen, dass Vereinbarungen und Grundwerte eingehalten werden. Besonders prominent wurde dies im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit diskutiert. So wird eine Regelung zum Schutz des Haushalts und des Aufbauplans "NextGenerationEU" eingeführt: Bei Rechtsstaatlichkeitsverstößen kann die Gemeinschaft künftig ein Verfahren einleiten, das zur Kürzung der Subventionen für den betroffenen Staat führen kann. Dies stellt ebenfalls eine grundlegende Neuerung in der europäischen Budgetpolitik dar und gibt der EU Effektivität bei der Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit im gesamten EU-Raum.
Das hat Österreich davon
In der kommenden Haushaltsperiode wird für Österreich der wichtigste Rückstrom von Geld aus dem EU-Finanzrahmen weiterhin die Agrarförderung sein. Sie wird rund 8 Milliarden Euro betragen. Aus dem Struktur- und Kohäsionsfonds wird Österreich eine Milliarde erhalten, und abhängig von der Akquise heimischer Forschungseinrichtungen könnten um die 2 Milliarden Euro aus der Forschungsförderung "Horizon Europe" abgerufen werden. Zusätzlich stehen Österreich rund 3 Milliarden Euro aus der neuen Aufbau- und Resilienzfazilität zu. Dennoch werden auch in der nächsten Finanzperiode die österreichischen EU-Beiträge weit über dem Rückstrom nach Österreich liegen. Zum Schutz der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler konnte Österreich eine substanzielle Ermäßigung des Beitrags erreichen.
Über direkte Zahlungen hinaus kommt Österreich ein besonderer Effekt zugute: "Investitionen unserer Handelspartner in ganz Europa werden dazu führen, dass heimische Unternehmen Aufträge erhalten und mehr absetzen können", sagt Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE). Margit Schratzenstaller vom WIFO gehen die Pläne nicht weit genug: "Ich hätte mir mehr strukturelle Veränderung beim Mehrjährigen Finanzrahmen gewünscht. Die Schritte zu mehr Klimaschutz und besserer Digitalisierung gehen in die richtige Richtung, da wäre aber mehr drin gewesen." Generalsekretär Schmidt betont unterdessen den positiven Effekt der Einigung der 27 Staaten: "Was hier unter sehr hohem Druck der Corona-Krise zustande gebracht wurde, ist schon beachtlich." Europa sei die Kunst des Kompromisses.
Bundeskanzler Kurz: Sehr gutes Ergebnis für die EU und für Österreich
Das EU-Budget sei "Ausdruck gelebter europäischer Solidarität", betont Bundeskanzler Sebastian Kurz, der auf die schwierigen Verhandlungen im Juli 2020 verweist, die sich über 4 Tage und Nächte gezogen hätten. Letztlich sei der intensive Einsatz jedoch von Erfolg gekrönt gewesen: "Wir haben ein sehr gutes Ergebnis für die Europäische Union und für die Republik Österreich erreicht. So ist es uns etwa gelungen, dass der österreichische Rabatt von jährlich 137 auf 565 Millionen Euro angestiegen und somit vervierfacht worden ist." Dadurch wird Österreichs EU-Beitrag deutlich entlastet. Die Bemühungen der "Frugalen" oder "Sparsamen Vier" (neben Österreich Dänemark, Schweden und die Niederlande) sowie Finnland hätten sich ebenfalls bewährt: "Durch den Zusammenschluss in dieser Gruppe konnten wir unsere Ideen, unsere Interessen stärker einbringen und ein Ergebnis erzielen, das sonst nicht möglich gewesen wäre. Der Aufbauplan zur wirtschaftlichen Erholung nach Covid-19 stellt ein einmaliges, zeitlich befristetes Instrument dar. Wir haben den Einstieg in eine Schuldenunion verhindert und es geschafft, die Zuschüsse von 500 Milliarden auf 390 Milliarden Euro zu reduzieren." Wichtig sei zudem, dass die Mittel in den Bereichen Ökologisierung, Digitalisierung und Reformen eingesetzt würden. Das EU-Budget sei nämlich auch als eine Investition in eine nachhaltige, handlungsfähige und zukunftsfitte Europäische Union zu sehen.
Heimische Gemeinden stehen bereit
Viel Potenzial bieten die EU-Budgetvorgaben den Gemeinden und Städten. Denn den nötigen Rahmen für europäische Förderungen schafft zwar die Bundesregierung, dann liegt es aber auch an den Kommunen, konkrete Projekte zur Förderung einzureichen und schließlich zu realisieren. "Auf unserer Ebene liegen zahlreiche Zuständigkeiten", sagt Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, der auch im Rat der Gemeinden und Regionen Europas vertreten ist. Die Bandbreite reicht von der Sanierung öffentlicher Gebäude wie Schulen und anderer Einrichtungen über den Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebots bis hin zu Begrünungsmaßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels, die in Städten besonders stark zu spüren sind. Damit erfülle man die Intention des Budgetrahmens, nicht nur die Wirtschaft in Europa zu beleben, sondern gleichzeitig eine Transformation der Lebensräume hin zu mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, erklärt Weninger. Soziale Anliegen wie die Unterstützung von Kinderbetreuung fallen ebenfalls in die Zuständigkeit der Städte und Gemeinden. Da Covid-19 in den Kassen der Kommunen deutliche Spuren hinterlassen habe, sei dort jeder Euro willkommen: "Darüber hinaus fließen die Förderungen über diese Projekte direkt in die lokale und regionale Wirtschaft", sagt Weninger.
In neue Kulturen eintauchen, Kontakte knüpfen, Wissen vertiefen und weit weg von zu Hause sich selbst ein Stück näherkommen: Das Erasmus-Programm der Europäischen Union blickt auf eine 34-jährige Erfolgsgeschichte zurück. Im Jahr 1987 als Austauschprogramm für Studierende ins Leben gerufen, entwickelte sich die Initiative zu einem umfassenden Mobilitätsprogramm. Ein wesentlicher Meilenstein war die Verschmelzung mit verschiedenen Jugend- und Sportinitiativen zu Erasmus+ im Jahr 2014. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Allein in Österreich wurden bisher 3.462 Projekte gefördert. Von 2014 bis 2019 sind 121.077 Menschen mit Erasmus+ mobil geworden und haben zum Beispiel von Studienaufenthalten, Praktika und Freiwilligendiensten im Ausland profitiert.
Erasmus+ versteht sich als Programm gegen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit und zelebriert europäische Werte wie Freiheit und Vielfalt. Besonders in Zeiten von Flüchtlingskrise, Brexit und erstarkenden nationalistischen Strömungen sind verbindende Elemente wichtiger denn je. Befragungen zeigen: Für die EU-Bürgerinnen und -Bürger zählt das Erasmusprogramm – neben Frieden und offenen Grenzen – zu den größten Errungenschaften der EU. Nicht nur für die Teilnehmenden selbst ist das Programm eine Erfolgsgeschichte, sondern auch für die Institutionen: "Das Wichtigste an Erasmus+ ist, den eigenen Horizont zu erweitern. Das bezieht sich auch auf die institutionelle Zusammenarbeit: Man hinterfragt seine Positionen und lernt fundamental Neues", erzählt Jakob Calice, Geschäftsführer des Österreichischen Austauschdienstes (OeAD).
3 neue Schwerpunkte
Die neue Programmperiode 2021-2027 knüpft an die Erfolge der vergangenen 34 Jahre an: Vieles bleibt gleich, 3 neue Schwerpunkte kommen hinzu. Zum einen die Inklusion: "Es geht darum, nicht nur Menschen mit Erasmus-Affinität zu erreichen, sondern eine breitere Zielgruppe anzusprechen", erklärt Calice. Zum anderen soll das Programm unter dem Schlagwort "Green Erasmus" die negativen Auswirkungen des Reisens auf die Umwelt minimieren und ein Bewusstsein für nachhaltiges Handeln schaffen. Besonders im Jugendbereich sind die Erwartungen hoch: "Die jungen Menschen sind es, die Nachhaltigkeit am stärksten einfordern. Bestimmt werden dazu viele spannende Projekte kommen", freut sich Gerhard Moßhammer, zuständig für das "Erasmus+"-Jugendprogramm des OeAD.
Als dritter Schwerpunkt bereichert die Digitalisierung das "Erasmus+"-Programm: "Virtuelle Mobilität" kann den physischen Aufenthalt nicht ersetzen, soll aber dazu beitragen, diesen zu erweitern – etwa indem man einen kürzeren Auslandsaufenthalt vorab online anbahnt und hinterher digital vertieft. Die Covid-19-Pandemie wirkte hier als Beschleuniger: Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich schon 2020 dafür entschieden, ihren Aufenthalt im Ausland abzubrechen und in Österreich virtuell fortzusetzen.
Strukturell gibt es ebenfalls Veränderungen: Statt zweier Nationalagenturen koordiniert nun der OeAD alle Angebote in den Bereichen Bildung und Jugend. Der Sportbereich wird weiterhin zentral auf EU-Ebene von der Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur abgewickelt, die auch als Einreichstelle fungiert. Gefördert werden gemeinnützige europäische Sportveranstaltungen und Kooperationspartnerschaften mit mindestens 3 Organisationen aus 3 verschiedenen Programmländern. Außerdem wurde das Programm finanziell deutlich aufgestockt: Das Budget beträgt für die Periode 2021-2027 europaweit insgesamt 26,2 Milliarden Euro.
Projekte im Trend
Die Bildung ist der traditionellste und auch größte Bereich des Programms. War Erasmus ursprünglich den Studierenden vorbehalten, stammt mittlerweile die Hälfte der geförderten Projekte aus der Schul-, Berufs- und Erwachsenenbildung. Außerdem wuchs die Schiene der Projektförderungen: 3 Partner aus 3 Ländern arbeiten dabei gemeinsam an einem Thema. Im Herbst 2020 veröffentlichte die EU beispielsweise einen Call zum Thema Digitalisierung und rief dazu auf, Projektideen für digitale Unterrichtsinstrumente oder Verwaltungsmaßnahmen zu entwickeln. So sei Erasmus+ von einem simplen Austauschprogramm zu einem Entwicklungstool für Innovation in der Bildungslandschaft geworden, erklärt Calice.
Erasmus+ leistet einen wesentlichen Beitrag, um Heranwachsenden die EU näherzubringen. Die inhaltliche Ausrichtung hat sich dabei laut Gerhard Moßhammer immer wieder aktuellen Herausforderungen angepasst. Vor 7 Jahren stand die Beschäftigungsfähigkeit im Mittelpunkt, derzeit dreht sich alles um die Klimakrise.
Gerade im Jugendbereich nehmen viele kleine Organisationen an Erasmus+ teil. Sie profitieren seit 2021 von administrativen Erleichterungen und besserer langfristiger Planbarkeit ihrer Vorhaben. Statt jedes Projekt einzeln einzureichen, können sie sich einmalig als Partner akkreditieren lassen.
Unterstützung für Bewerberinnen und Bewerber
Die erste Anlaufstelle ist die Website des OeAD, die neben Informationen auch Formulare für Anträge bereithält. Beratungsbedarf besteht insbesondere bei Projektanträgen: Hier steht der OeAD den Antragstellerinnen und Antragstellern zur Seite und bietet in Seminaren und Webinaren Hilfestellungen an. Moßhammers Tipp: "Unbedingt mitmachen! Erasmus+ bietet großartige Möglichkeiten, es ist für jeden etwas dabei."